Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ die Neigung als das eigentliche Werk des Ἔρως ϑἀνατος: das Eingeständnis, daß der Mensch nicht lieben könne. Während in aller geretteten, wahren Liebe die Leidenschaft secundiert wie die Neigung bleibt, macht deren Geschichte und der Übergang der einen in die andere das Wesen des Eros. Freilich führt nicht ein Tadel der Liebenden, wie Bielschowsky ihn wagt, darauf hin. Dennoch läßt selbst sein banaler Ton die Wahrheit nicht verkennen. Nachdem er nämlich die Unart, ja die zügellose Selbstsucht des Liebhabers angedeutet, heißt es von Ottiliens unbeirrter Liebe weiter: »Es mag im Leben hie und da eine solche abnorme Erscheinung anzutreffen sein. Aber dann zucken wir die Achseln und sagen: wir verstehen es nicht. Eine solche Erklärung, gegenüber einer dichterischen Erfindung abgegeben, ist ihre schwerste Verurteilung. In der Dichtung wollen und müssen wir verstehen. Denn der Dichter ist Schöpfer. Er schafft die Seelen«. Inwiefern dies zuzugeben sei, wird gewiß höchst problematisch bleiben. Unverkennbar aber ist, daß jene Goetheschen Gestalten nicht geschaffen, noch auch rein gebildet, sondern eher gebannt erscheinen können. Daher eben stammt die Art von Dunkel, welche Kunstgebilden fremd und dem allein, der dessen Wesen in dem Schein kennt, zu ergründen ist. Denn der Schein ist in dieser Dichtung nicht sowohl dargestellt, als in ihrer Darstellung selber. Darum allein kann er so viel bedeuten, darum allein bedeutet sie so viel. Bündiger enthüllt den Bruch jener Liebe dies, daß jedwede in sich gewachsne Herr dieser Welt werden muß: sei es in ihrem natürlichen Ausgang, dem gemeinsamen – nämlich streng gleichzeitigen – Tode, sei es in ihrer übernatürlichen Dauer, der Ehe. Dies hat Goethe in der Novelle ausgesprochen, da der Augenblick der gemeinsamen Todesbereitschaft durch göttlichen Willen das neue Leben den Liebenden schenkt, auf das alte Rechte ihren Anspruch verlieren. Hier zeigt er das Leben der beiden gerettet in eben dem Sinne, in dem es den Frommen die Ehe bewahrt; in diesem Paare hat er die Macht wahrer Liebe dargestellt, die in religiöser Form auszusprechen er sich verwehrte. Demgegenüber steht im Roman in diesem Lebensbereich das zwiefache Scheitern. Während die einen, vereinsamt, dahinsterben, bleibt den Überlebenden die Ehe versagt. Der Schluß beläßt den Hauptmann und Charlotten wie die Schatten in der Vorhölle. Weil in keinem der Paare der Dichter die wahre Liebe konnte walten lassen, welche diese Welt hätte sprengen müssen, gab er unscheinbar aber unverkennbar in den Gestalten der Novelle ihr Wahrzeichen seinem Werke mit.

      Über schwankende Liebe macht die Rechtsnorm sich Herr. Die Ehe zwischen Eduard und Charlotte bringt, noch verfallend, jener den Tod, weil in ihr – und sei’s in mythischer Entstellung – die Größe der Entscheidung eingebettet liegt, welcher die Wahl niemals gewachsen ist. Und so spricht über sie der Titel des Romans das Urteil; Goethen halb unbewußt, wie es scheint. Denn in der Selbstanzeige sucht er den Begriff der Wahl für das sittliche Denken zu retten. »Es scheint, daß den Verfasser seine fortgesetzten physikalischen Arbeiten zu diesem seltsamen Titel veranlaßten. Er mochte bemerkt haben, daß man in der Naturlehre sich sehr oft ethischer Gleichnisse bedient, um etwas von dem Kreise menschlichen Wissens weit Entferntes näher heranzubringen; und so hat er auch wohl, in einem sittlichen Falle, eine chemische Gleichnisrede zu ihrem geistigen Ursprunge zurückführen mögen, um so mehr als doch überall nur Eine Natur ist und auch durch das Reich der heitern Vernunftfreiheit die Spuren trüber leidenschaftlicher Notwendigkeit sich unaufhaltsam hindurchziehen, die nur durch eine höhere Hand, und vielleicht auch nicht in diesem Leben, völlig auszulöschen sind.« Aber deutlicher als diese Sätze, die vergeblich Gottes Reich, wo die Liebenden wohnen, in dem der heiteren Vernunftfreiheit zu suchen scheinen, spricht das bloße Wort. »Verwandtschaft« ist an und für sich bereits das denkbar reinste, um nächste menschliche Verbundenheit sowohl nach Wert als auch nach Gründen zu bezeichnen. Und in der Ehe wird es stark genug, buchstäblich auch sein Metaphorisches zu machen. Weder vermag das durch die Wahl verstärkt zu werden, noch wäre insbesondere das Geistige solcher Verwandtschaft auf die Wahl gegründet. Diese rebellische Anmaßung aber beweist am unwidersprechlichsten der Doppelsinn des Wortes, das nicht abläßt, mit dem im Akt Ergriffnen zugleich den Wahlakt selber zu bedeuten. Allein in jedem Falle da Verwandtschaft zum Gegenstand einer Entschließung wird, schreitet die über die Stufe der Wahl zur Entscheidung hinüber. Diese annihiliert die Wahl, um die Treue zu stiften: nur die Entscheidung, nicht die Wahl ist im Buche des Lebens verzeichnet. Denn Wahl ist natürlich und mag sogar den Elementen eignen; die Entscheidung ist transzendent. – Weil jener Liebe noch das höchste Recht nicht zukommt, nur darum also eignet dieser Ehe noch die größere Macht. Doch niemals hat der untergehenden der Dichter im mindesten ein eigenes Recht zusprechen wollen. Die Ehe kann in keinem Sinne Zentrum des Romans sein. Darüber hat, wie ungezählte andre, auch Hebbel in vollkommenem Irrtum sich befunden, wenn er sagt: »In Goethes Wahlverwandtschaften ist doch eine Seite abstrakt geblieben, es ist nämlich die unermeßliche Bedeutung der Ehe für Staat und Menschheit wohl räsonnierend angedeutet, aber nicht im Ring der Darstellung zur Anschauung gebracht worden, was gleichwohl möglich gewesen wäre und den Eindruck des ganzen Werkes noch sehr verstärkt hätte«. Und früher schon im Vorwort zur »Maria Magdalene«; »Wie Goethe, der durchaus Künstler, großer Künstler war, in den Wahlverwandtschaften einen solchen Verstoß gegen die innere Form begehen konnte, daß er, einem zerstreuten Zergliederer nicht unähnlich, der statt eines wirklichen Körpers ein Automat auf das anatomische Theater brächte, eine von Haus aus nichtige, ja unsittliche Ehe, wie die zwischen Eduard und Charlotte, zum Mittelpunkt seiner Darstellung machte und dies Verhältnis behandelte und benützte, als ob es ein ganz entgegengesetztes, ein vollkommen berechtiges wäre, wüßte ich mir nicht zu erklären«. Abgesehen davon, daß die Ehe im Geschehen nicht die Mitte ist, sondern Mittel – so wie Hebbel sie erfaßt, hat Goethe nicht und so wollte er sie nicht erscheinen lassen. Denn zu tief wird er empfunden haben, daß »von Haus aus« gar nichts über sie gesagt werden, ihre Sittlichkeit allein als Treue, nur als Untreue ihre Unsittlichkeit sich erweisen könnte. Geschweige, daß etwa die Leidenschaft ihre Grundlage bilden könnte. Platt, doch nicht falsch sagt der Jesuit Baumgartner: »Sie lieben sich, aber ohne jene Leidenschaft, welche für krankhafte und empfindsame Gemüter den einzigen Reiz des Lebens ausmacht«. Aber darum nicht weniger ist die eheliche Treue bedingt. Bedingt in dem doppelten Sinne: durchs notwendig wie durchs hinreichend Bedingende. Jenes liegt in dem Fundamente der Entscheidung. Sie ist gewiß nicht willkürlicher darum, weil die Leidenschaft nicht ihr Kriterium ist. Vielmehr steht dies nur umso unzweideutiger und strenger in dem Charakter der Erfahrung vor ihr. Nur diejenige Erfahrung nämlich vermag die Entscheidung zu tragen, welche, jenseits alles späteren Geschehens und Vergleichens, wesensmäßig dem Erfahrenden sich einmalig zeigt und einzig, während jeder Versuch aufs Erlebnis Entscheidung zu gründen früher oder später den aufrechten Menschen mißlingt. Ist diese notwendige Bedingung ehelicher Treue gegeben, dann heißt Pflichterfüllung ihre hinreichende. Nur wenn von beiden eine frei vom Zweifel ob sie da war bleiben kann, läßt sich der Grund des Bruchs der Ehe sagen. Nur dann ist klar, ob er »von Hause aus« notwendig ist, ob noch durch Umkehr eine Rettung zu erhoffen steht. Und hiermit gibt sich jene Vorgeschichte, die Goethe dem Roman ersonnen hat, als Zeugnis des untrüglichsten Gefühls. Früher schon haben sich Eduard und Charlotte geliebt, doch des ungeachtet beide ein nichtiges Ehebündnis geschlossen, bevor sie einander sieh vereinten. Nur auf diese einzige Weise vielleicht konnte in der Schwebe bleiben, worin im Leben beider Gatten der Fehltritt liegt: ob in der frühern Unschlüssigkeit, ob in der gegenwärtigen Untreue. Denn die Hoffnung mußte Goethe erhalten, daß schon einmal siegreicher Bindung auch nun zu dauern bestimmt sei. Daß aber dann nicht als rechtliche Form noch auch als bürgerliche diese Ehe dem Schein, der sie verführt, begegnen könne, ist schwerlich dem Dichter entgangen. Nur im Sinne der Religion wäre dies ihr gegeben, in dem »schlechtere« Ehen als sie ihren unantastbaren Bestand haben. Demnach ist ganz besonders tief das Mißlingen aller Einigungsversuche dadurch motiviert, daß diese von einem Manne ausgehen, welcher mit der Weihe des Geistlichen selber die Macht und das Recht abgelegt hat, die allein solche rechtfertigen können. Doch da ihnen Vereinigung nicht mehr vergönnt, bleibt am Ende die Frage siegreich, die entschuldigend alles begleitet: war das nicht nur die Befreiung aus von Anfang verfehltem Beginnen? Wie dem nun sei – diese Menschen sind aus der Bahn der Ehe gerissen, um unter andern Gesetzen ihr Wesen zu finden.

      Heiler als Leidenschaft doch nicht hilfreicher führt auch Neigung nur dem Untergang die entgegen, die der ersten entsagen. Aber nicht die Einsamen richtet sie zugrunde wie jene. Unzertrennlich geleitet sie die Liebenden hinab, ausgesöhnt erreichen sie das Ende. Auf diesem letzten Weg wenden sie СКАЧАТЬ