Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Worten es festgehalten hat, in denen er dank der innigsten Anschauung von dem Dichter zugleich tiefer auf das Geheimnis seines Werkes hinweist als er ahnen mochte. »Unterwegs kamen wir dann auf die Wahlverwandtschaften zu sprechen. Er legte Gewicht darauf, wie rasch und unaufhaltsam er die Katastrophe herbeigeführt. Die Sterne waren aufgegangen; er sprach von seinem Verhältnis zur Ottilie, wie er sie lieb gehabt und wie sie ihn unglücklich gemacht. Er wurde zuletzt fast rätselhaft ahndungsvoll in seinen Reden. – Dazwischen sagte er dann wohl einen heitern Vers. So kamen wir müde, gereizt, halb ahndungsvoll, halb schläfrig im schönsten Sternenlicht … nach Heidelberg.« Wenn es dem Berichtenden nicht entgangen ist, wie mit dem Aufgang der Sterne Goethes Gedanken auf sein Werk sich hinlenkten, so hat, er selbst wohl kaum gewußt – wovon doch seine Sprache Zeugnis ablegt – wie über Stimmung erhaben der Augenblick war und wie deutlich die Mahnung der Sterne. In ihr bestand als Erfahrung was längst als Erlebnis verweht war. Denn unter dem Symbol des Sterns war einst Goethe die Hoffnung erschienen, die er für die Liebenden fassen mußte. Jener Satz, der, mit Hölderlin zu reden, die Cäsur des Werkes enthält und in dem, da die Umschlungenen ihr Ende besiegeln, alles inne hält, lautet: »Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel fällt, über, ihre Häupter weg«. Sie gewahren sie freilich nicht und nicht deutlicher konnte gesagt werden, daß die letzte Hoffnung niemals dem eine ist, der sie hegt, sondern jenen allein, für die sie gehegt wird. Damit tritt denn der innerste Grund für die »Haltung des Erzählers« zutage. Er allein ist’s, der im Gefühle der Hoffnung den Sinn des Geschehens erfüllen kann, ganz so wie Dante die Hoffnungslosigkeit der Liebenden in sich selber aufnimmt, Wenn er nach den Worten der Francesca da Rimini fällt »als fiele eine Leiche«. Jene paradoxeste, flüchtigste Hoffnung taucht zuletzt aus dem Schein der Versöhnung, wie im Maß, da die Sonne verlischt, im Dämmer der Abendstern aufgeht, der die Nacht überdauert. Dessen Schimmer gibt freilich die Venus. Und auf solchem geringsten beruht alle Hoffnung, auch die reichste kommt nur aus ihm. So rechtfertigt am Ende die Hoffnung den Schein der Versöhnung und der Satz des Platon, widersinnig sei es, den Schein des Guten zu wollen, erleidet seine einzige Ausnahme. Denn der Schein der Versöhnung darf, ja er soll gewollt werden: er allein ist das Haus der äußersten Hoffnung. So entringt sie sich ihm zuletzt und nur wie eine zitternde Frage klingt jenes »wie schön« am Ende des Buches den Toten nach, die, wenn je, nicht in einer schönen Welt wir erwachen hoffen, sondern in einer seligen. Elpis bleibt das letzte der Urworte: der Gewißheit des Segens, den in der Novelle die Liebenden heimtragen, erwidert die Hoffnung auf Erlösung, die wir für alle Toten hegen. Sie ist das einzige Recht des Unsterblichkeitglaubens, der sich nie am eigenen Dasein entzünden darf. Doch gerade dieser Hoffnung wegen sind jene christlich-mystischen Momente fehl am Ort, die sich am Ende – ganz anders wie bei den Romantikern – aus dem Bestreben alles Mythische der Grundschicht zu veredeln, eingefunden haben. Nicht also dies nazarenische Wesen, sondern das Symbol des über die Liebenden herabfahrenden Sterns ist die gemäße Ausdrucksform dessen, was vom Mysterium im genauen Sinn dem Werke einwohnt. Das Mysterium ist im Dramatischen dasjenige Moment, in dem dieses aus dem Bereiche der ihm eigenen Sprache in einen höheren und ihr nicht erreichbaren hineinragt. Es kann daher niemals in Worten, sondern einzig und allein in der Darstellung zum Ausdruck kommen, es ist das »Dramatische« im strengsten Verstande. Ein analoges Moment der Darstellung ist in den Wahlverwandtschaften der fallende Stern. Zu ihrer epischen Grundlage im Mythischen, ihrer lyrischen Breite in Leidenschaft und Neigung, tritt ihre dramatische Krönung im Mysterium der Hoffnung. Schließt eigentliche Mysterien die Musik, so bleibt dies freilich eine stumme Welt, aus welcher niemals ihr Erklingen steigen wird. Doch welcher ist es zugeeignet, wenn nicht dieser, der es mehr als Aussöhnung verspricht: die Erlösung. Das ist in jene »Tafel« gezeichnet, die George über Beethovens Geburtshaus in Bonn gesetzt hat:

      Eh ihr zum kampf erstarkt auf eurem sterne

      Sing ich euch streit und sieg von oberen sternen.

      Eh ihr den leib ergreift auf diesem sterne

      Erfind ich euch den traum bei ewigen sternen.

      Erhabner Ironie scheint dies »Eh ihr den leib ergreift« bestimmt zu sein. Jene Liebenden ergreifen ihn nie – was tut es, wenn sie nie zum Kampf erstarkten? Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.

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      1928

      Damals wie heute meiner Frau gewidmet

      Da im Wissen sowohl als in der Reflexion kein Ganzes zusammengebracht werden kann, weil jenem das Innre, dieser das Äußere fehlt, so müssen wir uns die Wissenschaft notwendig als Kunst denken, wenn wir von ihr irgend eine Art von Ganzheit erwarten. Und zwar haben wir diese nicht im Allgemeinen, im Überschwänglichen zu suchen, sondern, wie die Kunst sich immer ganz in jedem einzelnen Kunstwerk darstellt, so sollte die Wissenschaft sich auch jedesmal ganz in jedem einzelnen Behandelten erweisen.

      Johann Wolfgang von Goethe:

      Materialien zur Geschichte der Farbenlehre320

      Es ist dem philosophischen Schrifttum eigen, mit jeder Wendung von neuem vor der Frage der Darstellung zu stehen. Zwar wird es in seiner abgeschlossenen Gestalt Lehre sein, solche Abgeschlossenheit ihm zu leihen aber liegt nicht in der Gewalt des bloßen Denkens. Philosophische Lehre beruht auf historischer Kodifikation. So ist sie denn auch more geometrico nicht zu beschwören. Wie deutlich es Mathematik belegt, daß die gänzliche Elimination des Darstellungsproblems, als welche jede streng sachgemäße Didaktik sich gibt, das Signum echter Erkenntnis ist, gleich bündig stellt sich ihr Verzicht auf den Bereich der Wahrheit, den die Sprachen meinen, dar. Was an den philosophischen Entwürfen Methode ist, das geht nicht auf in ihrer didaktischen Einrichtung. Und dies besagt nichts anderes, als daß ihnen eine Esoterik eignet, die abzulegen sie nicht vermögen, die zu verleugnen ihnen untersagt ist, die zu rühmen sie richten würde. Die Alternative der philosophischen Form, welche durch die Begriffe von der Lehre und von dem esoterischen Essay gestellt wird, ist’s, die der Systembegriff des XIX. Jahrhunderts ignoriert. Soweit er die Philosophie bestimmt, droht diese einem Synkretismus sich zu bequemen, der die Wahrheit in einem zwischen Erkenntnissen gezogenen Spinnennetz einzufangen sucht als käme sie von draußen herzugeflogen. Aber ihr angelernter Universalismus bleibt weit entfernt, die didaktische Autorität der Lehre zu erreichen. Will die Philosophie nicht als vermittelnde Anleitung zum Erkennen, sondern als Darstellung der Wahrheit das Gesetz ihrer Form bewahren, so ist der Übung dieser ihrer Form, nicht aber ihrer Antizipation im System, Gewicht beizulegen. Diese Übung hat sich allen Epochen, denen die unumschreibliche Wesenheit des Wahren vor Augen stand, in einer Propädeutik aufgenötigt, die man mit dem scholastischen Terminus des Traktats darum ansprechen darf, weil er jenen wenn auch latenten Hinweis auf die Gegenstände der Theologie enthält, ohne welche der Wahrheit nicht gedacht werden kann. Traktate mögen lehrhaft zwar in ihrem Ton sein; ihrer innersten Haltung nach bleibt die Bündigkeit einer Unterweisung ihnen versagt, welche wie die Lehre aus eigener Autorität sich zu behaupten vermöchte. Nicht weniger entraten sie der Zwangsmittel des mathematischen Beweises. In ihrer kanonischen Form wird als einziges Bestandstück einer mehr fast erziehlichen als lehrenden Intention das autoritäre Zitat sich einfinden. Darstellung ist der Inbegriff ihrer Methode. Methode ist Umweg. Darstellung als Umweg – das ist denn der methodische Charakter des Traktats. Verzicht auf den unabgesetzten Lauf der Intention ist sein erstes Kennzeichen. Ausdauernd hebt das Denken stets von neuem an, umständlich geht es auf die Sache selbst zurück. Dies unablässige Atemholen ist die eigenste Daseinsform der Kontemplation. Denn indem sie den unterschiedlichen Sinnstufen bei der Betrachtung eines und desselben Gegenstandes folgt, empfängt sie den Antrieb ihres stets erneuten Einsetzens ebenso wie die Rechtfertigung ihrer intermittierenden Rhythmik. Wie bei der Stückelung in kapriziöse Teilchen die Majestät den Mosaiken bleibt, so bangt auch philosophische СКАЧАТЬ