Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ sich erweisen. Hier gründet die uralte Anschauung, daß in der Enthüllung das Verhüllte sich verwandelt, daß es »sich selbst gleich« nur unter der Verhüllung bleiben wird. Also wird allem Schönen gegenüber die Idee der Enthüllung zu der der Unenthüllbarkeit. Sie ist die Idee der Kunstkritik. Die Kunstkritik hat nicht die Hülle zu heben, vielmehr durch deren genaueste Erkenntnis als Hülle erst zur wahren Anschauung des Schönen sich zu erheben. Zu der Anschauung, die der sogenannten Einfühlung niemals und nur unvollkommen einer reineren Betrachtung des Naiven sich eröffnen wird: zur Anschauung des Schönen als Geheimnis. Niemals noch wurde ein wahres Kunstwerk erfaßt, denn wo es unausweichlich als Geheimnis sich darstellte. Nicht anders nämlich ist jener Gegenstand zu bezeichnen, dem im letzten die Hülle wesentlich ist. Weil nur das Schöne und außer ihm nichts verhüllend und verhüllt wesentlich zu sein vermag, liegt im Geheimnis der göttliche Seinsgrund der Schönheit. So ist denn der Schein in ihr eben dies: nicht die überflüssige Verhüllung der Dinge an sich, sondern die notwendige von Dingen für uns. Göttlich notwendig ist solche Verhüllung zu Zeiten, wie denn göttlich bedingt ist, daß, zur Unzeit enthüllt, in nichts jenes Unscheinbare sich verflüchtigt, womit Offenbarung die Geheimnisse ablöst. Kants Lehre, daß ein Relationscharakter die Grundlage der Schönheit sei, setzt demnach in einer sehr viel höheren Sphäre als der psychologischen siegreich ihre methodischen Tendenzen durch. Alle Schönheit hält wie die Offenbarung geschichtsphilosophische Ordnungen in sich. Denn sie macht nicht die Idee sichtbar, sondern deren Geheimnis.

      Um jener Einheit willen, die Hülle und Verhülltes in ihr bilden, kann sie wesentlich da allein gelten, wo die Zweiheit von Nacktheit und Verhüllung noch nicht besteht: in der Kunst und in den Erscheinungen der bloßen Natur. Je deutlicher hingegen diese Zweiheit sich ausspricht, um zuletzt im Menschen sich aufs höchste zu bekräftigen, desto mehr wird es klar: in der hüllenlosen Nacktheit ist das wesentlich Schöne gewichen und im nackten Körper des Menschen ist ein Sein über aller Schönheit erreicht – das Erhabene, und ein Werk über allen Gebilden – das des Schöpfers. Damit erschließt sich die letzte jener rettenden Korrespondenzen, in denen mit unvergleichlich strenger Genauigkeit die zart gebildete Novelle dem Roman entspricht. Wenn dort der Jüngling die Geliebte entblößt, so ist es nicht um der Lust, es ist um des Lebens willen. Er betrachtet nicht ihren nackten Körper und gerade darum nimmt er seine Hoheit wahr. Der Dichter wählt nicht müßige Worte, wenn er sagt: »Hier überwand die Begierde zu retten jede andere Betrachtung«. Denn in der Liebe vermag nicht Betrachtung zu herrschen. Nicht dem Willen zum Glück, wie es ungebrochen nur flüchtig in den seltensten Akten der Kontemplation, in der »halkyonischen« Stille der Seele verweilt, ist die Liebe entsprungen. Ihr Ursprung ist die Ahnung des seligen Lebens. Wie aber die Liebe als bitterste Leidenschaft sich selbst vereitelt, wo in ihr die vita contemplativa dennoch die mächtigste, die Anschauung der Herrlichsten ersehnter als die Vereinigung mit der Geliebten ist, das stellen die Wahlverwandtschaften im Schicksal Eduards und der Ottilie dar. Dergestalt ist kein Zug der Novelle vergeblich. Sie ist der Freiheit und Notwendigkeit nach, die sie dem Roman gegenüber zeigt, dem Bild im Dunkel eines Münsters vergleichbar; das dies selber darstellt und so mitten im Innern eine Anschauung vom Orte mitteilt, die sich sonst versagt. Sie bringt damit zugleich den Abglanz des hellen, ja des nüchternen Tages hinein. Und wenn diese Nüchternheit heilig scheint, so ist das Wunderlichste, daß sie es vielleicht nur Goethe nicht ist. Denn seine Dichtung bleibt dem Innenraum im verschleierten Lichte zugewendet, das in bunten Scheiben sich bricht. Kurz nach ihrer Vollendung schreibt er an Zelter: »Wo Ihnen auch mein neuer Roman begegnet, nehmen Sie ihn freundlich auf. Ich bin überzeugt, daß Sie der durchsichtige und undurchsichtige Schleier nicht verhindern wird, bis auf die eigentlich intentionierte Gestalt hineinzusehen«. Dies Wort vom Schleier war ihm mehr als Bild – es ist die Hülle, welche immer wieder ihn bewegen mußte, wo er um Einsicht in die Schönheit rang. Drei Gestalten seines Lebenswerks sind diesem Ringen, das wie kein anderes ihn erschütterte, entwachsen: Mignon, Ottilie, Helena. »So laßt mich scheinen bis ich werde | Zieht mir das weiße Kleid nicht aus! I Ich eile von der schönen Erde I Hinab in jenes feste Haus. I Dort ruh ich eine kleine Stille I Dann öffnet sich der frische Blick | Ich lasse dann die reine Hülle | Den Gürtel und den Kranz zurück.« Und auch Helena läßt sie zurück: »Kleid und Schleier bleiben ihm in den Armen«. Goethe kennt, was über den Trug dieses Scheins gefabelt wurde. Er läßt den Faust mahnen: »Halte fest, was dir von allem übrig blieb. | Das Kleid, laß es nicht los. Da zupfen schon | Dämonen an den Zipfeln, möchten gern | Zur Unterwelt es reißen. Halte fest! | Die Göttin ist’s nicht mehr, die du verlorst | Doch göttlich ist’s«. Unterschieden von diesen aber bleibt die Hülle von Ottilie als ihr lebendiger Leib. Nur mit ihr spricht sich klar das Gesetz aus, das gebrochner an den andern sich kundgibt: Je mehr das Leben entweicht, desto mehr alle scheinhafte Schönheit, die ja am Lebendigen einzig zu haften vermag, bis im gänzlichen Ende des einen auch die andere vergehn muß. Unenthüllbar ist also nichts Sterbliches. Wenn daher den äußersten Grad solcher Unenthüllbarkeit wahrheitsgemäß die Maximen und Reflektionen mit dem tiefen Worte bezeichnen: »Die Schönheit kann nie über sich selbst deutlich werden« so bleibt doch Gott, vor dem kein Geheimnis und alles Leben ist. Als Leiche erscheint uns der Mensch und als Liebe sein Leben, wenn sie vor Gott sind. Daher hat der Tod Macht zu entblößen wie die Liebe. Unenthüllbar ist nur die Natur; die ein Geheimnis verwahrt, so lange Gott sie bestehn läßt. Entdeckt wird die Wahrheit im Wesen der Sprache. Es entblößt sich der menschliche Körper, ein Zeichen, daß der Mensch selbst vor Gott tritt. – Dem Tod muß die Schönheit verfallen, die nicht in der Liebe sich preisgibt. Ottilie kennt ihren Todesweg. Weil sie im Innersten ihres jungen Lebens ihn vorgezeichnet erkennt, ist sie – nicht im Tun sondern im Wesen – die jugendhafteste aller Gestalten, die Goethe geschaffen. Wohl verleiht das Alter die Bereitschaft zum Sterben, Jugend aber ist Todesbereitschaft. Wie verborgen hat doch Goethe von Charlotte es ausgesagt, daß sie »gern leben mochte«. Nie hat in einem Werk er der Jugend gegeben, was er in Ottilien ihr zugestand: das ganze Leben wie es aus seiner eigenen Dauer seinen eigenen Tod hat. Ja man darf sagen, daß er in Wahrheit, wenn für irgend etwas, gerade hierfür blind war. Wem dennoch Ottiliens Dasein in dem Pathos, das von allen andern es unterscheidet, auf das Leben der Jugend hinweist, so konnte nur durch das Geschick ihrer Schönheit Goethe mit diesem Anblick, dem sein Wesen sich verweigerte, ausgesöhnt werden. Hierauf gibt es einen eigenartigen und gewissermaßen quellenmäßigen Hinweis. Im Mai 1809 richtete Bettina an Goethe einen Brief, der den Aufstand der Tiroler berührt und in dem es heißt: »Ja Goethe, während diesem hat es sich ganz anders in mir gestaltet … düstre Hallen, die prophetische Monumente gewaltiger Todeshelden umschließen, sind der Mittelpunkt meiner schweren Ahnungen … Ach vereine Dich doch mit mir« der Tiroler »zu gedenken … es ist des Dichters Ruhm, daß er den Helden die Unsterblichkeit sichere!« Im August desselben Jahres schrieb Goethe die letzte Fassung des dritten Kapitels aus dem zweiten Teil der Wahlverwandtschaften, wo es im Tagebuch der Ottilie heißt: »Eine Vorstellung der alten Völker ist ernst und kann furchtbar scheinen. Sie dachten sich ihre Vorfahren in großen Höhlen, ringsumher auf Thronen sitzend, in stummer Unterhaltung. Dem Neuen, der hereintrat, wenn er würdig genug war, standen sie auf und neigten ihm einen Willkommen. Gestern, als ich in der Kapelle saß und meinem geschnitzten Stuhle gegenüber noch mehrere umhergestellt sah, erschien mir jener Gedanke gar freundlich und anmutig. Warum kannst du nicht sitzen bleiben? dachte ich bei mir selbst, still und in dich gekehrt sitzen bleiben, lange, lange, bis endlich die Freunde kämen, denen du aufstündest und ihren Platz mit freundlichem Neigen anwiesest«. Es liegt nahe, diese Anspielung auf Walhall als unbewußte oder wissentliche Erinnerung an die Briefstelle Bettinens zu verstehen. Denn die Stimmungsverwandtschaft jener kurzen Sätze ist auffallend, auffallend bei Goethe der Gedanke an Walhall, auffallend endlich, wie unvermittelt er in die Aufzeichnung der Ottilie eingeführt ist. Wäre es nicht ein Hinweis darauf, daß Goethe sich Bettinens heldisches Gebaren in jenen sanftern Worten der Ottilie näher brachte?

      Man ermesse nach alledem, ob es Wahrheit ist oder eitel Mystifikation, wenn Gundolf mit gespieltem Freisinn behauptet: »Die Gestalt Ottiliens ist weder der Hauptgehalt, noch das eigentliche Problem der Wahlverwandtschaften« und ob es einen Sinn gibt, wem er hinzufügt: »aber ohne den Augenblick, da Goethe das geschaut, was im Werk als Ottilie erscheint, wäre wohl weder der Gehalt verdichtet noch das Problem so gestaltet worden«. Denn was ist in alledem klar, wenn nicht eins: daß die Gestalt, ja der Name der Ottilie es ist, der Goethe an diese Welt СКАЧАТЬ