Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Um sich ihre Niedertracht einzuschärfen, faßt er den Tag ins Auge, an dem sogar die verlorenen Frauen, die Ausgestoßenen, so weit sein werden, einer geordneten Lebensweise das Wort zu reden, über die Libertinage den Stab zu brechen und nichts mehr außer dem Gelde bestehen zu lassen. Verraten von diesen seinen letzten Verbündeten, geht Baudelaire gegen die Menge an; er tut es mit dem ohnmächtigen Zorne dessen, der gegen den Regen oder den Wind angeht. So ist das Erlebnis beschaffen, dem Baudelaire das Gewicht einer Erfahrung gegeben hat. Er hat den Preis bezeichnet, um welchen die Sensation der Moderne zu haben ist: die Zertrümmerung der Aura im Chockerlebnis. Das Einverständnis mit dieser Zertrümmerung ist ihn teuer zu stehen gekommen. Es ist aber das Gesetz seiner Poesie. Sie steht am Himmel des zweiten Kaiserreiches als »ein Gestirn ohne Atmosphäre«1231.

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      〈1〉

      Laforgues Hypothese über Baudelaires Verhalten im Bordell rückt die gesamte psychoanalytische Betrachtung, die er Baudelaire angedeihen laßt, ins rechte Licht. Diese Betrachtung reimt sich Stück für Stück mit der konventionellen »literarhistorischen«⁠〈.〉

      Die besondere Schönheit sovieler baudelairescher Gedichtanfänge ist: das Auftauchen aus dem Abgrunde.

      George hat spleen et idéal mit »Trübsinn und Vergeistigung« übersetzt und damit die wesentliche Bedeutung des Ideals bei Baudelaire getroffen.

      Wenn man sagen kann, daß das moderne Leben bei Baudelaire der Fundus der dialektischen Bilder ist, so ist dabei eingeschlossen die Tatsache, daß Baudelaire dem modernen Leben ähnlich gegenüber stand wie das siebenzehnte Jahrhundert der Antike.

      Will man sich vergegenwärtigen, wie sehr Baudelaire als Dichter eigene Setzungen, eigene Einsichten und eigene Tabus zu respektieren hatte, wie genau umschrieben auf der andern Seite die Aufgaben seiner poetischen Arbeit waren, so kommt ein heroischer Zug in seine Erscheinung.

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      Spleen als Staudamm gegen den Pessimismus. Baudelaire ist kein Pessimist. Er ist es nicht, weil bei ihm ein Tabu auf der Zukunft liegt. Dies ist es, was seinen Heroismus am deutlichsten gegen den von Nietzsche abhebt. Es gibt bei ihm keinerlei Reflexion auf die Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft und das ist angesichts des Charakters seiner intimen Aufzeichnungen erstaunlich. An diesem einzigen Umstand ist zu ermessen, wie wenig er für die Fortdauer seines Werkes auf den Effekt rechnete und wie sehr die Struktur der Fleurs du mal eine monadologische ist.

      Die Struktur der Fleurs du mal wird nicht durch irgendwelche ingeniöse Anordnung der einzelnen Gedichte, geschweige durch einen geheimen Schlüssel bestimmt; sie liegt in der unnachsichtlichen Ausschließung jeden lyrischen Themas, das nicht von der eigensten leidvollen Erfahrung Baudelaires geprägt war. Und gerade weil Baudelaire wußte, daß sein Leiden, der spleen, das taedium vitae uralt ist, war er imstande, auf das genaueste die Signatur seiner eigenen Erfahrung an ihm abzuheben. Darf man eine Vermutung aufstellen, so ist es die, daß weniges ihm einen so hohen Begriff von seiner Originalität gegeben haben dürfte wie die Lektüre der römischen Satiriker.

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      Die »Würdigung« oder Apologie ist bestrebt, die revolutionären Momente des Geschichtsverlaufs zu überdecken. Ihr liegt die Herstellung einer Kontinuität am Herzen. Sie legt nur auf diejenigen Elemente des Werks Gewicht, die schon in seine Nachwirkung eingegangen sind. Es entgehen ihr die Schroffen und Zacken, die demjenigen einen Halt bieten, der über dieses hinausgelangen will.

      Der kosmische Schauer bei Victor Hugo hat niemals den Charakter des nackten Schreckens, der Baudelaire im spleen heimsuchte. Er kam dem Dichter aus einem Weltenraum, der zu dem Interieur paßte, in dem er sich heimisch fühlte. Er fühlte sich in dieser Geisterwelt eigentlich heimisch. Sie ist das Komplement der Gemütlichkeit seines Hauswesens, in dem es auch nicht ohne den Schrecken abging.

      »Dans le cœur immortel qui toujours veut fleurir« – zur Erläuterung der fleurs du mal und der Unfruchtbarkeit. Die vendanges bei Baudelaire – sein schwermütigstes Wort (semper eadem; l’imprévu).

      Widerspruch zwischen der Theorie der natürlichen Korrespondenzen und der Absage an die Natur. Wie ist er aufzulösen?

      Sprunghafte Ausfälle, Geheimniskrämerei, überraschende Entschlüsse gehören zur Staatsraison des second empire und waren für Napoleon III kennzeichnend. Sie machen den entscheidenden Gestus in Baudelaires theoretischen Verlautbarungen aus.

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      Das entscheidend neue Ferment, das, in das taedium vitae eintretend, dieses zum spleen macht, ist die Selbstentfremdung. Von dem unendlichen Regreß der Reflexion, die in der Romantik den Lebensraum spielhaft zugleich in immer ausgespanntern Kreisen erweiterte und im immer enger gefaßten Rahmen verkleinerte, ist der Trauer bei Baudelaire nur das tête-à-tête sombre et limpide des Subjekts mit sich selbst geblieben. Hier liegt der spezifische »Ernst« bei Baudelaire. Eben er hinderte die wirkliche Assimilation der katholischen Weltansicht durch den Dichter, die sich mit dem der Allegorie nur unter der Kategorie des Spiels versöhnt. Die Scheinbarkeit der Allegorie ist hier nicht mehr wie im Barock eine eingeständliche.

      Baudelaire wurde von keinem Stil getragen und er hat keine Schule gehabt. Das hat seine Rezeption sehr erschwert.

      Die Einführung der Allegorie antwortet auf ungleich bedeutungsvollere Art der gleichen Krisis der Kunst, der um 1852 die Theorie des l’art pour l’art entgegenzutreten bestimmt war. Diese Krisis der Kunst hatte sowohl in der technischen wie in der politischen Situation ihre Gründe.

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      Es gibt zwei Legenden von Baudelaire. Deren eine hat er selbst verbreitet, und in ihr erscheint er als Unmensch und Bürgerschreck. Die andere ist mit seinem Tode entstanden und hat seinen Ruhm begründet. In ihr erscheint er als Märtyrer. Dieser falsche theologische Nimbus ist auf der ganzen Linie zu zerstreuen. Für diesen Nimbus die Formel der Monnier.

      Man kann sagen: das Glück durchschauerte ihn; vom Unglück kann man Analoges nicht sagen. Unglück kann im Naturzustande nicht in uns eingehen.

      Der spleen ist das Gefühl, das der Katastrophe in Permanenz entspricht.

      Der Geschichtsverlauf, wie er sich unter dem Begriffe der Katastrophe darstellt, kann den Denkenden eigentlich nicht mehr in Anspruch nehmen als das Kaleidoskop in der Kinderhand, dem bei jeder Drehung alles Geordnete zu neuer Ordnung zusammenstürzt. Das Bild hat sein gründliches, gutes Recht. Die Begriffe der Herrschenden sind allemal die Spiegel gewesen, dank deren das Bild einer »Ordnung« zustande kam. – Das Kaleidoskop muß zerschlagen werden.

      Das Grab als die geheime Kammer, in der Eros und Sexus ihren alten Streit vergleichen.

      Die Sterne stellen bei Baudelaire das Vexierbild der Ware dar. Sie sind das Immerwiedergleiche in großen Massen.

      Die Entwertung der Dingwelt in der Allegorie wird innerhalb der Dingwelt selbst durch die Ware überboten.

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