Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ contrefaçon (Hugo)⁠〈.〉 Baudelaire hat vielleicht als erster die Vorstellung von einer marktgerechten Originalität gehabt, die eben dadurch damals origineller war als jede andere (créer un poncif). Diese création schloß eine gewisse Intoleranz ein. Baudelaire wollte für seine Gedichte Platz schaffen und mußte zu diesem Zweck andere verdrängen. Er entwertete gewisse poetische Freiheiten der Romantiker durch seine klassische Handhabung des Alexandriners und die klassizistische Poetik durch die ihm eignen Bruchstellen und Ausfallserscheinungen im klassischen Verse selbst. Kurz seine Gedichte enthielten besondere Vorkehrungen zur Verdrängung der mit ihnen konkurrierenden.

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      Die Figur Baudelaires geht in einem entscheidenden Sinne in seinen Ruhm ein. Seine Geschichte ist für die kleinbürgerliche Masse der Leser eine image d’Epinal, der bebilderte »Lebenslauf eines Wollüstlings« gewesen. Dieses Bild hat zu Baudelaires Ruhm viel beigetragen – mochten die, die es verbreiteten, noch so wenig zu seinen Freunden zählen. Über dieses Bild legte sich ein anderes, das viel weniger in die Breite, dafür aber vielleicht nachhaltiger in der Zeit gewirkt hat: darauf erscheint Baudelaire als Träger einer ästhetischen Passion, wie sie um dieselbe Zeit (in »Entweder-Oder«) Kierkegaard konzipierte. Keine in die Kraft der Sache eingehende Betrachtung Baudelaires kann es geben, die sich mit dem Bild seines Lebens nicht auseinandersetzt. In Wahrheit wird dieses Bild dadurch bestimmt, daß er zuerst und auf die folgenreichste Art der Tatsache inne ward, daß das Bürgertum im Begriffe stand, seinen Auftrag an den Dichter zurückzuziehn. Welcher gesellschaftliche Auftrag konnte an seine Stelle treten? Er war bei keiner Klasse zu erfragen; er war am ehesten dem Markt und seinen Krisen zu entnehmen. Nicht die offenkundige kurzfristige sondern die latente und langfristige Nachfrage beschäftigte Baudelaire. Die Fleurs du mal beweisen, daß er sie richtig einschätzte. Aber das Medium des Marktes, in dem sie sich ihm zu erkennen gab, bedingte eine Produktions- und auch eine Lebensweise, die von der früherer Poeten sehr unterschieden war. Baudelaire war genötigt, die Würde des Dichters in einer Gesellschaft zu beanspruchen, die keinerlei Würde mehr zu vergeben hatte. Daher die bouffonnerie seines Auftretens.

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      In Baudelaire meldet der Dichter zum ersten Mal seinen Anspruch auf einen Ausstellungswert an. Baudelaire ist sein eigener Impresario gewesen. Die perte d’auréole betrifft zu allererst den Poeten. Daher seine Mythomanie.

      Die umständlichen Theoreme, mit denen das l’art pour l’art nicht nur von seinen damaligen Verfechtern sondern vor allem von der Literaturgeschichte (nicht zu reden von seinen heutigen) bedacht wurde, laufen schlicht und recht auf den Satz hinaus: die Sensibilität ist das wahre Sujet der Poesie. Die Sensibilität ist ihrer Natur nach leidend. Wenn sie ihre höchste Konkretion, ihre gehaltvollste Bestimmung in der Erotik erfährt, so findet sie ihre absolute Vollendung, die mit ihrer Verklärung zusammenfällt, in der Passion. Die Poetik des l’art pour l’art ging bruchlos in die poetische Passion der »Fleurs du mal« ein.

      Blumen schmücken die einzelnen Stationen dieses Kalvarienbergs. Es sind die Blumen des Bösen.

      Das von der allegorischen Intention Betroffene wird aus den Zusammenhängen des Lebens ausgesondert: es wird zerschlagen und konserviert zugleich. Die Allegorie hält an den Trümmern fest. Sie bietet das Bild der erstarrten Unruhe. Dem destruktiven Impuls Baudelaire⁠〈s〉 ist nirgends an der Abschaffung dessen interessiert, was ihm verfällt.

      Die Schilderung des Verwirrten ist nicht dasselbe wie eine verwirrte Schilderung.

      Victor Hugos »Attendre c’est la vie« – die Weisheit des Exils.

      Die neue Trostlosigkeit von Paris (vgl die Stelle über croque-morts) geht als ein wesentliches Moment i⁠〈n〉 das Bild der Modern⁠〈e〉 ein (vgl Veuillot D 2, 2)⁠〈.〉

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      Die Figur der lesbischen Frau gehört im genauen Sinn zu den heroischen Leitbildern Baudelaires. In der Sprache seines Satanismus bringt er das selbst zum Ausdruck. Es bleibt ebensowohl in einer unmetaphysischen, kritischen faßlich, die sein Bekenntnis zur »Moderne« in seine⁠〈r〉 politischen Bedeutung aufgreift. Das neunzehnte Jahrhundert begann, die Frau rückhaltlos in den Prozeß der Warenproduktion einzubeziehen. Alle Theoretiker waren sich darin einig, daß ihre spezifische Weiblichkeit so gefährdet wurde, männliche Züge mußten im Laufe der Zeit notwendig an der Frau in Erscheinung treten. Baudelaire bejaht diese Züge; gleichzeitig aber will er 〈sie〉 der ökonomischen Botmäßigkeit streitig machen. So kommt er dazu, dieser Entwicklungstendenz der Frau den rein sexuellen Akzent zu geben. Das Leitbild der lesbischen Frau stellt den Protest der »Moderne« gegen die technische Entwicklung dar. (Es wäre wichtig zu ermitteln, wie seine Abneigung gegen George Sand sich in diesem Zusammenhange begründet.)

      Die Frau bei Baudelaire: das kostbarste Beutestück im »Triumph der Allegorie« – das Leben, welches den Tod bedeutet. Diese Qualität eignet am unabdinglichsten der Hure. Sie ist das einzige, was man ihr nicht abhandeln kann und für Baudelaire kommt es nur darauf an.

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      Den Weltlauf zu unterbrechen – das war der tiefste Wille in Baudelaire. Der Wille Josuas. Nicht so sehr der prophetische: denn er dachte an Umkehr nicht. Aus diesem Willen entsprang seine Gewalttätigkeit, seine Ungeduld und sein Zorn; aus ihm entsprangen auch die immer erneuten Versuche, die Welt ins Herz zu stoßen, oder in Schlaf zu singen. Aus diesem Willen begleitet er den Tod bei seine⁠〈n〉 Werken mit seiner Ermunterung.

      Man muß annehmen, daß die Gegenstände, die die Mitte von Baudelaires Dichtung ausmachen, einem planvollen zielstrebigen Bemühen nicht erreichbar waren: Jene entscheidend neuen Gegenstände – die große Stadt, die Masse – werden denn auch nicht als solche von ihm visiert. Nicht sie sind die Melodie, die er im Sinne hat. Vielmehr ist das der Satanismus, der Spleen und die abwegige Erotik. Die wahren Gegenstände der Fleurs du mal sind an unscheinbarer Stelle zu finden. Sie sind, um im Bilde zu bleiben, die noch niemals berührten Saiten des unerhörten Instruments, auf dem Baudelaire phantasiert.

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      Das Labyrinth ist der richtige Weg für den, der noch immer früh genug am Ziel ankommt. Dieses Ziel ist der Markt.

      Hasardspiel, Flanieren, Sammeln – Betätigungen, die gegen den spleen eingesetzt werden.

      Baudelaire zeigt, wie das Bürgertum in seinem Niedergang sich die asozialen Elemente nicht mehr integrieren kann. Wann wurde die garde nationale aufgelöst?

      Mit den neuen Herstellungsverfahren, die zu Imitationen führen, schlägt sich der Schein in den Waren nieder.

      Es gibt für die Menschen wie sie heute sind nur eine radikale Neuigkeit – und das ist immer die gleiche: der Tod.

      Erstarrte Unruhe ist auch die Formel für Baudelaires Lebensbild, das keine Entwicklung kennt.

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