Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke
Автор: Walter Benjamin
Издательство: Ingram
Жанр: Контркультура
isbn: 9789176377444
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O vase de tristesse, ô grande taciturne,
Et t’aime d’autant plus, belle, que tu me fuis,
Et que tu me parais, ornement de mes nuits,
Plus ironiquement accumuler les lieues
Qui séparent mes bras des immensités bleues. 1216
Blicke dürften um so bezwingender wirken, je tiefer die Abwesenheit des Schauenden, die in ihnen bewältigt wurde. In spiegelnden Augen bleibt sie unvermindert. Eben darum wissen diese Augen von Ferne nichts. Ihre Glätte hat Baudelaire einem verschlagenen Reim einverleibt:
Plonge tes yeux dans les yeux fixes
Des Satyresses ou des Nixes. 1217
Satyrfrauen und Nixen gehören der Familie menschlicher Wesen nicht mehr an. Sie sind abgesondert. Denkwürdigerweise hat Baudelaire den von Ferne beschwerten Blick als regard familier ins Gedicht eingebracht1218. Er, der keine Familie gegründet hat, hat dem Wort familier eine von Verheißung und von Verzicht gesättigte Textur mitgegeben. Er ist blicklosen Augen verfallen und begibt sich ohne Illusionen in ihren Machtbereich.
Tes yeux, illuminés ainsi que des boutiques
Et des ifs flamboyants dans les fêtes publiques,
Usent insolemment d’un pouvoir emprunté. 1219
»Der Stumpfsinn«, schreibt Baudelaire in einer seiner ersten Veröffentlichungen, »ist oft eine Zier der Schönheit. Ihm hat man es zu verdanken, wenn die Augen trist und durchsichtig wie die schwärzlichen Sümpfe sind oder aber die ölige Ruhe der tropischen Meere haben.«1220 Kommt Leben in solche Augen, so ist es das des Raubtiers, das nach Beute Ausschau haltend zugleich sich sichert. (So ist die Hure, auf die Passanten achtend, zugleich auf der Hut vor den Polizeibeamten. Den physiognomischen Typus, den diese Lebensweise erzeugt, fand Baudelaire auf den zahlreichen Blättern wieder, die Guys der Prostituierten gewidmet hat. »Sie läßt ihren Blick wie das Raubtier am Horizont verweilen; er hat das Unstete des Raubtiers …, doch manchmal auch dessen jähes gespanntes Aufmerken.«1221) Daß das Auge des Großstadtmenschen mit Sicherungsfunktionen überlastet ist, leuchtet ein. Auf eine minder zu Tage liegende Beanspruchung desselben weist Simmel hin. »Wer sieht, ohne zu hören, ist viel … beunruhigter als wer hört, ohne zu sehen. Hier liegt etwas für die … Großstadt Charakteristisches. Die wechselseitigen Beziehungen der Menschen in den Großstädten … zeichnen sich durch ein merkliches Übergewicht der Aktivität des Auges über die des Gehörs aus. Die Hauptursache davon sind die öffentlichen Verkehrsmittel. Vor der Entwicklung der Omnibusse, der Eisenbahnen, der Tramways im neunzehnten Jahrhundert waren die Leute nicht in die Lage gekommen, lange Minuten oder gar Stunden sich gegenseitig ansehen zu müssen, ohne aneinander das Wort zu richten.«1222
Der sichernde Blick enträt der träumerischen Verlorenheit an die Feme. Er kann dahin kommen, etwas wie Lust an ihrer Entwürdigung zu empfinden. In diesem Sinne dürften die folgenden merkwürdigen Sätze zu lesen sein. Im »Salon von 1859« läßt Baudelaire die Landschaftsbilder Revue passieren, um mit dem Eingeständnis zu schließen: »Ich wünsche mir die Dioramen zurück, deren ungeheure und grobschlächtige Magie mir eine nützliche Illusion aufzwingt. Ich sehe mir lieber ein paar Theaterhintergründe an, auf denen ich kunstfertig, in tragischer Konzision, meine liebsten Träume behandelt finde. Diese Dinge, die so ganz falsch sind, sind eben darum der Wahrheit unendlich viel näher; dagegen sind unsere meisten Landschafter Lügner, gerade weil sie zu lügen verabsäumen.«1223 Man möchte auf die ›nützliche Illusion‹ weniger Wert legen als auf die ›tragische Konzision‹. Baudelaire dringt auf den Zauber der Ferne; er mißt das Landschaftsbild geradezu am Maßstab von Malereien in Jahrmarktsbuden. Will er den Zauber der Ferne durchstoßen wissen, wie sich das für den Beschauer ereignen muß, der zu nahe an einen Prospekt herantritt? Das Motiv ist in einen der großen Verse der »Fleurs du mal« eingegangen:
Le Plaisir vaporeux fuira vers l’horizon
Ainsi qu’une sylphide au fond de la coulisse. 1224
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XII
Die »Fleurs du mal« sind das letzte lyrische Werk gewesen, das eine europäische Wirkung getan hat; kein späteres ist über einen mehr oder weniger beschränkten Sprachkreis hinausgedrungen. Dem ist zur Seite zu stellen, daß Baudelaire sein produktives Vermögen fast ausschließlich diesem einen Buch zugewandt hat. Und endlich ist nicht von der Hand zu weisen, daß unter seinen Motiven einige, von denen die vorliegende Untersuchung gehandelt hat, die Möglichkeit lyrischer Poesie problematisch machen. Dieser dreifache Tatbestand determiniert Baudelaire geschichtlich. Er zeigt, daß er unbeirrbar zu seiner Sache stand. Unbeirrbar war Baudelaire im Bewußtsein seiner Aufgabe. Das geht so weit, daß er es als sein Ziel »eine Schablone zu kreieren«1225 bezeichnet hat. Er sah darin die Kondition eines jeden künftigen Lyrikers. Von denen, die sich ihr nicht gewachsen zeigten, hielt er wenig. »Trinkt Ihr Kraftbrühen aus Ambrosia? Eßt Ihr Koteletts von Paros? Wieviel gibt man im Leihhaus auf eine Lyra?«1226 Der Lyriker mit der Aureole ist für Baudelaire antiquiert. Er hat ihm seine Stelle als Figurant in einem Prosastück angewiesen, das »Verlust einer Aureole« betitelt ist. Der Text ist erst spät ans Licht gekommen. Bei der ersten Sichtung des Nachlasses wurde er als »zur Publikation nicht geeignet« ausgeschieden. Bis heute blieb er in der Literatur über Baudelaire unbeachtet.
»›Was sehe ich, mein Lieber! Sie! hier! In einem schlecht beleumundeten Lokal finde ich Sie – den Mann, der Essenzen schlürft, den Mann, der Ambrosia zu sich nimmt! Wirklich! für mich zum Verwundern!‹ – ›Sie wissen, mein Lieber, von der Angst, die mir Pferde und Wagen machen. Eben überquerte ich eilig den Boulevard, und wie ich in diesem bewegten Chaos, wo der Tod von allen Seiten auf einmal im Galopp auf uns zustürmt, eine verkehrte Bewegung mache, löst sich die Aureole von meinem Haupt und fällt in den Schlamm des Asphalts. Ich hatte den Mut nicht, sie aufzuheben. Ich habe mir gesagt, daß es minder empfindlich ist, seine Insignien zu verlieren als sich die Knochen brechen zu lassen. Und schließlich, habe ich mir gesagt, zu irgend etwas ist Unglück immer gut. Ich kann mich jetzt inkognito bewegen, schlechte Handlungen begehen und mich gemein machen wie ein gewöhnlicher Sterblicher. So bin ich, wie Sie sehen, hier, ganz wie Sie!‹ – ›Sie sollten doch den Verlust der Aureole bekanntgeben oder auf dem Fundbüro danach fragen lassen.‹ – ›Ich denke nicht daran! mir ist wohl hier! Nur Sie haben mich erkannt. Außerdem ist Würde mir langweilig. Und dann habe ich Freude an dem Gedanken, daß irgendein schlechter Dichter sie aufheben und keinen Anstand nehmen wird, sich mit ihr herauszuputzen. Einen Glücklichen machen! darüber geht mir nichts! Und vor allem einen Glücklichen, über den ich lache! Stellen Sie sich X. vor oder auch Z. Nein, wird das komisch sein!‹«1227 – Das gleiche Motiv steht in den Tagebüchern; der Schluß weicht ab. Der Dichter hebt die Aureole schnell wieder auf. Nun beunruhigt ihn aber das Gefühl, der Zwischenfall sei von böser Vorbedeutung12281229.
Der Verfasser dieser Niederschriften ist kein Flaneur. Sie legen ironisch die gleiche Erfahrung nieder, die Baudelaire ohne jedwede Ausstaffierung, im Vorbeigehen dem Satze anvertraut: »Perdu dans ce vilain monde, coudoyé par les foules, je suis comme un homme lassé dont l’œil ne voit en arrière, dans les années profondes, que désabusement et amertume, et, devant lui, qu’un orage où rien de neuf n’est contenu, ni enseignement ni douleur.«1230 Von der Menge mit Stößen bedacht worden zu sein, hebt Baudelaire unter allen Erfahrungen, die sein Leben zu СКАЧАТЬ