Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ an dieser Dichtung noch nichts veraltet.

      Die Signatur des Heroismus bei Baudelaire: im Herzen der Unwirklichkeit (des Scheins) zu leben. Es gehört hinzu, daß Baudelaire die Nostalgie nicht gekannt hat. Kierkegaard!

      Baudelaires Dichtung bringt das Neue am Immerwiedergleichen und das Immerwiedergleiche am Neuen in Erscheinung.

      Mit allem Nachdruck ist darzustellen, wie die Idee der ewigen Wiederkunft ungefähr gleichzeitig in die Welt Baudelaires, Blanquis und Nietzsches hineinrückt. Bei Baudelaire liegt der Akzent auf dem Neuen, das mit heroischer Anstrengung dem »Immerwiedergleichen« abgewonnen wird, bei Nietzsche auf dem »Immerwiedergleichen«, dem der Mensch mit heroischer Fassung entgegensieht. Blanqui steht Nietzsche sehr viel näher als Baudelaire, aber die Resignation ist bei ihm vorwiegend. Bei Nietzsche projeziert sich diese Erfahrung kosmologisch in der These: es kommt nichts Neues mehr.

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      Baudelaire hätte nicht Gedichte geschrieben, wenn er nur die Motive zum Dichten gehabt hätte, die Dichter gewöhnlich haben.

      Die historische Projektion der Erfahrungen, die den Fleurs du mal zugrunde lagen, hat diese Arbeit zu liefern.

      Höchst bestimmte Bemerkungen von Adrienne Monnier: das spezifisch Französische an ihm: la rogne. Sie sieht in ihm den Revoltierten: sie vergleicht ihn mit Fargue⁠〈:〉 »maniaque, révolté contre sa propre impuissance, et qui le sait«. Sie nennt auch Céline. Die gauloiserie ist das Französische an Baudelaire.

      Weitere Bemerkung von Adrienne Monnier: Baudelaires Leser sind die Männer. Die Frauen lieben ihn nicht. Für die Männer bedeutet er die Darstellung und die Transzendierung des côté ordurier in ihrem Triebleben. Wenn man weiter geht, so ist in diesem Lichte die Passion Baudelaires für viele seiner Leser ein rachat gewisser Seiten ihres Trieblebens.

      Für den Dialektiker kommt es darauf an, den Wind der Weltgeschichte in den Segeln zu haben. Denken heißt bei ihm: Segel setzen. Wie sie gesetzt werden, das ist wichtig. Worte sind bei ihm nur die Segel. Wie sie gesetzt werden, das macht sie zum Begriff.

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      Die unabgesetzte Resonanz, die die Fleurs du mal bis heute gefunden haben, hängt tief mit einem bestimmten Aspekt zusammen, den die Großstadt, hier da sie zum ersten Mal in den Vers einging, empfangen hat. Es ist der am wenigsten zu erwartende. Was bei Baudelaire mitschwingt, wo er in seinen Versen Paris beschwört, das ist Hinfälligkeit und Gebrechlichkeit dieser großen Stadt. Sie ist vielleicht nie vollendeter angedeutet worden als im Crépuscule du matin; der Aspekt selbst aber ist mehr oder minder sämtlichen tableaux parisiens gemeinsam; er kommt in der Transparenz der Stadt, wie le soleil sie heraufzaubert ebenso zum Ausdruck wie in der Kontrastwirkung des Rêve parisien.

      Die entscheidende Grundlage für Baudelaires Produktion ist das Spannungsverhältnis, in dem bei ihm eine aufs höchste gesteigerte Sensitivität zu einer aufs höchste konzentrierten Kontemplation steht. Es reflektiert sich theoretisch in der Lehre von den correspondances und der Lehre von der Allegorie. Baudelaire hat niemals den geringsten Versuch gemacht, zwischen diesen ihm angelegensten Spekulationen irgend eine Beziehung herzustellen. Seine Dichtung entspringt aus dem Zusammenwirken dieser beiden in ihm angelegten Tendenzen. Was zunächst rezipiert wurde (Pechméja) und in der poésie pure fortwirkte, war die sensitive Seite seines Ingeniums.

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      Das Schweigen als Aura. Maeterlinck treibt die Entwicklung des Auratischen bis zum Unwesen.

      Brecht bemerkte: bei den Romanen vermindert die Verfeinerang des Sensoriums nicht die Energie des Zugriff⁠〈s〉. Für den Deutschen wird die Verfeinerung, die zunehmende Kultur des Genießens immer mit einer Abnahme in der Kraft des Zugriffs erkauft. Die Genußfähigkeit verliert an Dichtigkeit, wo sie an Sensibilität gewinnt. Diese Bemerkung anläßlich der »odeur de futailles« in le vin des chiffonniers.

      Noch wichtiger die folgende Bemerkung: die eminente sinnliche Verfeinerung eines Baudelaire hält sich gänzlich frei von Gemütlichkeit. Diese grundsätzliche Inkompatibilität des sinnlichen Genusses mit der Gemütlichkeit ist das entscheidende Merkmal wirklicher Sinneskultur. Der Snobismus Baudelaires ist die exzentrische Formel dieser unverbrüchlichen Absage an die Gemütlichkeit und sein »Satanismus« nichts als die stete Bereitschaft, sie zu stören, wo und wann immer sie auf treten sollte.

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      In den Fleurs du mal gibt es nicht die leisesten Ansätze zu einer Schilderung von Paris. Das würde genügen, um sie von der späteren »Großstadtlyrik« entscheidend abzuheben. Baudelaire spricht in das Brausen der Stadt Paris hinein wie einer der in die Brandung spräche. Seine Rede lautet deutlich soweit sie vernehmbar ist. Aber es mischt sich etwas hinein, was sie beeinträchtigt. Und sie bleibt in dieses Brausen gemischt, das sie weiterträgt und das ihr eine dunkle Bedeutung mitgibt.

      Das fait⁠〈s〉 divers ist die Hefe, die die Masse der großen Städte in Baudelaires Phantasie aufgehen läßt.

      Was Baudelaire so ausschließend an die lateinische, zumal spätlateinische, Literatur fesselte, dürfte zum Teil der nicht sowohl abstrakte als allegorische Gebrauch sein, den die spätlateinische Literatur von den Götternamen macht. Baudelaire konnte da ein dem seinen verwandtes Vorgehen erkennen.

      In der Opposition, die Baudelaire gegen die Natur anmeldet, steckt zuvörderst ein tiefer Protest gegen das »Organische«. Im Vergleich zum Anorganischen ist die Werkzeug-Qualität des Organischen gänzlich eingeschränkt. Es hat weniger Disponibilität. Vgl Courbets Zeugnis, Baudelaire habe jeden Tag anders ausgesehen.

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      Die heroische Haltung von Baudelaire dürfte der Nietzsches auf das nächste verwandt sein. Wenn Baudelaire am Katholizismus festhält, so ist doch seine Erfahrung des Universums genau der Erfahrung zugeordnet, die Nietzsche in den Satz faßte: Gott ist tot.

      Die Quellen, aus denen die heroische Haltung von Baudelaire sich speist, brechen aus den tiefsten Fundamenten der gesellschaftlichen Ordnung hervor, die sich um die Jahrhundertmitte anbahnte. Sie bestehen in nichts anderm als den Erfahrungen, kraft deren Baudelaire über die einschneidenden Veränderungen der Bedingungen künstlerischer Produktion belehrt wurde. Diese Veränderungen bestanden darin, daß am Kunstwerk die Warenform, an seinem Publikum die Massenform unmittelbarer und vehementer als jemals vordem zum Ausdruck kam. Eben diese Veränderungen führten späterhin neben andern Veränderungen im Bereiche der Kunst vor allem den Untergang der lyrischen Dichtung herauf. Es macht die einmalige Signatur der Fleurs du mal, daß Baudelaire auf diese Veränderungen mit einem Gedichtbuche erwidert. Das ist zugleich das außerordentlichste Exempel heroischer Haltung, das in seinem Dasein zu finden ist.

      »L’appareil sanglant de la Destruction« – das ist der verstreute Hausrat, der – in der innersten Kammer der Dichtung von Baudelaire – zu Füßen der Hure liegt, die alle Vollmachten der barocken Allegorie geerbt hat.

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