Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Was zum Teufel soll denn das alles bedeuten?«, fragte der Nachbar meines Bruders.
Mein Bruder antwortete nur so obenhin und begann sich anzuziehen. Mit jedem Kleidungsstück eilte er ans Fenster, um nur ja nichts von der wachsenden Erregung der Straßen zu versäumen. Auf einmal tauchten Leute auf, die ganz frühe Zeitungsblätter verkauften und mit ihrem Gebrüll die Straße erfüllten.
»London droht Ersticken! Die Verteidigung von Kingston und Richmond erstürmt! Furchtbares Massaker im Themsetal!«
Und rings um ihn herum — in den Zimmern unten, in den Häusern nebenan und gegenüber, und hinten in den Park Terrace und in den hundert Gassen jenes Teiles von Marylebone, und im Westbourne-Park-Bezirk und in St. Pancras,2 und westlich und nördlich in Kilburn und St. John’s Wood und Hampstead, und östlich in Shoreditch und Highbury und Haggerston und Hoxton und mehr noch, durch das ganze Riesengewirre Londons hin von Ealing bis East Ham — rieben sich die Leute die Augen und öffneten ihre Fenster, um hinauszustarren und zwecklose Fragen zu stellen, und kleideten sich hastig an, als der erste Windstoß, der dem kommenden Sturm der Angst voranging, durch die Straßen fuhr. Es war das Heraufdämmern der großen Panik. London, das Sonntag nachts schlaff und stumpf schlafen gegangen war, war nun in den ersten Stunden des Montagmorgens zu einer starken Empfindung der Gefahr erwacht.
Außerstande, von seinem Fenster aus zu erfahren, was eigentlich vorgefallen sei, ging mein Bruder hinab und trat auf die Straße hinaus, gerade als die Morgendämmerung die Wolken zwischen den Firsten der Häuser rosig färbte. Die fliehende Menge zu Fuß und im Wagen wurde jeden Augenblick zahlreicher. »Schwarzer Rauch!«, hörte er die Leute rufen, immer wieder »Schwarzer Rauch!«, die Ansteckung einer so einmütig gefühlten Furcht war unvermeidlich. Als mein Bruder an der Torschwelle zögerte, sah er einen anderen Zeitungsverkäufer herauskommen und kaufte ihm ein Blatt ab. Der Mann eilte mit seiner Ware wieder weiter und verkaufte die Blätter zu einem Schilling das Stuck — ein groteskes Gemisch von Habgier und Angst.
Und in jener Zeitung las mein Bruder jene verhängnisvolle Meldung des Oberkommandanten:
»Die Marsleute sind imstande, vermittels einer Art von Raketen ungeheure Wolken eines schwarzen und giftigen Dampfes zu versenden. Sie haben unsere Batterien erstickt, Richmond, Kingston und Wimbledon zerstört und rücken nun langsam gegen London vor, indem sie unterwegs alles vernichten. Es ist unmöglich, sie aufzuhalten. Es gibt keine andere Rettung vor dem schwarzen Rauch als unverzügliche Flucht.«
Das war alles, aber es war genug. Die ganze Bevölkerung der Sechsmillionenstadt schreckte auf, lief und stürzte in tollem Wirrwarr durcheinander; in Kürze würde sie sich wohl in Massen nordwärts ergießen.
»Schwarzer Rauch!«, hallte es von allen Seiten. »Feuer!«
Die Glocken der benachbarten Kirche verursachten einen bimmelnden Lärm, ein achtlos gelenkter Karren zerschellte unter Schreien und Fluchen an einem Wassertrog auf der Straße. Matte Lichter tanzten auf und ab in den Häusern, und auf manchen der vorübereilenden Droschken schienen noch die nicht gelöschten Laternen. Und über uns wuchs die Dämmerung zur Helle, klar und ruhig und mild.
Mein Bruder hörte in den Stuben und hinter ihm treppauf und treppab eilige Schritte. Seine Hausfrau, nur in einen Schlafrock und einen Schal gehüllt, trat ans Tor; unter kräftigen Ausrufen folgte ihr Gatte.
Als mein Bruder anfing, sich die Bedeutung aller dieser Dinge klarzumachen, ging er hastig auf sein Zimmer zurück, steckte alles vorrätige Geld — alles in allem etwa zehn Pfund — in seine Tasche und trat wieder hinaus auf die Straße.
1 Eine nur durch eine Häuserreihe vom Themseufer getrennte Vergnügungsstraße in London. Sie ist die Fortsetzung der oben erwähnten Fleetstreet, in der sich fast sämtliche Londoner Zeitungsredaktionen befinden. <<<
2 St Pancras ist einer der Hauptbahnhöfe von London. Er befindet sich im Stadtbezirk London Borough of Camden. <<<
XV. In Surrey
Während der Kurat dasaß und an der Hecke auf der ebenen Wiese bei Halliford verwirrte Reden führte, während mein Bruder den Flüchtlingen zusah, wie sie über die Westminster-Brücke strömten, hatten sich die Marsleute zum Angriff entschlossen. Soweit man aus den widersprechenden Berichten, die darüber abgefasst wurden, klug werden kann, blieb die Mehrheit, eifrig mit Vorbereitungen beschäftigt, bis neun Uhr abends in der Horsell-Grube. Sie arbeiteten mit großer Hast; und riesige Mengen grünen Rauches wurden ausgeschieden.
Gewiss aber ist, dass drei Marsleute etwa um acht Uhr aus der Grube herauskamen und, langsam und behutsam vorrückend, sich ihren Weg durch Byfleet und Pyrford nach Ripley und Weybridge bahnten. So kamen sie, die sinkende Sonne im Rücken, in den Bereich der ihrer harrenden Batterien. Diese Marsleute rückten nicht geschlossen vor, sondern in einer Linie, jeder etwa anderthalb Meilen vom anderen entfernt. Sie setzten sich durch ein sirenenartiges Geheul miteinander in Verbindung, das auf- und niedersteigend alle Noten der Tonleiter umfasste.
Dieses Geheul und das Feuern der Geschütze in Ripley und auf dem St.-Georg’s-Hügel waren es, was wir in Ober-Halliford gehört hatten. Die Kanoniere in Ripley, unerfahrene Artillerie-Freiwillige, denen man diese Aufgabe nie zuweisen hätte sollen, feuerten eine wilde, vorzeitige und wirkungslose Salve ab und flohen dann zu Pferd und zu Fuß kopfüber durch das verödete Dorf. Der Marsmann stieg ganz gemächlich über ihre Geschütze hinweg, ohne von seinem Hitzestrahl Gebrauch zu machen, fuhr sachte zwischen ihnen hindurch, überholte sie und kam so ganz unvermutet zu den Geschützen in Painshill Park, die er vernichtete.
Die Leute auf dem St.-Georg’s-Hügel aber standen unter besserer Führung oder waren von besserer СКАЧАТЬ