Название: H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813628
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»Stellen Sie sich vor, es wäre da!«, sagte Cavor, der die Miene eines Trainers annahm, und er zeigte auf eine Stelle, die von meinen Zehen etwa vier Fuß entfernt war. Diesen Sprung brachte ich ohne Schwierigkeit fertig, und ich muss gestehen, ich fand eine gewisse Befriedigung darin, dass Cavor um einen Fuß oder so zu kurz sprang und die Dornen des Gestrüpps zu kosten bekam. »Man muss sich in acht nehmen, sehen Sie!«, sagte er und zog sich die Dornen heraus, und damit hörte er auf, mein Mentor zu sein und wurde mein Mitlehrling in der Kunst der Bewegung auf dem Monde.
Wir wählten einen noch leichteren Sprung und taten ihn ohne Schwierigkeit; dann sprangen wir wieder zurück, und so mehrmals hin und her, indem wir unsere Muskeln an den neuen Maßstab gewöhnten. Ich hätte es nie geglaubt, wenn ich es nicht ausprobiert hätte, wie schnell diese Anpassung vor sich gehen würde. In ganz kurzer Zeit, sicher nach weniger als dreißig Sprüngen, konnten wir die für eine Entfernung nötige Anstrengung mit fast irdischer Sicherheit beurteilen.
Und noch während all der Zeit wuchsen die Mondpflanzen um uns, immer höher und dichter und wirrer, jeden Augenblick dicker und größer, dornige Pflanzen, grüne Kaktusmassen, Pilze, fleischige und flechtenartige Dinge, die seltsamsten strahligen und gewundenen Gestalten. Aber wir waren so mit unserm Springen beschäftigt, dass wir eine Zeit lang nicht auf ihre unentwegte Entfaltung achteten.
Eine außerordentliche Gehobenheit hatte uns ergriffen. Zum Teil glaube ich, war es das Gefühl der Befreiung aus dem Gefängnis der Sphäre. Hauptsächlich aber war es die dünne Frische der Luft, die, wie ich sicher glaube, einen viel höheren Bruchteil Sauerstoff enthielt als unsere irdische Atmosphäre. Trotz der Fremdartigkeit unserer ganzen Umgebung fühlte ich mich so abenteuerlich und experimentell, wie sich ein Cockney fühlen würde, den man zum ersten Mal unter die Berge stellte; und ich glaube nicht, dass es einem von uns einfiel, obgleich wir dem Unbekannten von Angesicht zu Angesicht gegenüber standen, uns sehr zu fürchten.
Wir waren von einem Unternehmungsgeist gebissen. Wir wählten eine flechtenbedeckte Kopje in etwa fünfzehn Meter Entfernung und landeten glatt einer nach dem anderen auf seinem Gipfel. »Gut!«, riefen wir einander zu, »gut!«, und Cavor machte drei Schritte und sprang zu einem verlockenden Schneehang, reichliche zwanzig Meter und mehr entfernt, davon. Einen Moment blieb ich von der grotesken Wirkung seiner auffliegenden Gestalt – seiner schmutzigen Kricketmütze und des borstigen Haars, seines kleinen, runden Rumpfes, seiner Arme und seiner in Kniehosen eng eingeknöpften Beine – vor der magischen Geräumigkeit der Mondszenerie – gebannt stehen. Mich fasste ein plötzliches Lachen, und dann sprang ich ab, ihm zu folgen. Plumps! fiel ich neben ihm nieder.
Wir machten ein paar gargantuanische Schritte, sprangen noch drei oder viermal und setzten uns schließlich in einer flechtenbedeckten Höhlung nieder. Unsere Lungen schmerzten. Wir saßen da und hielten uns die Seiten und suchten wieder zu Atem zu kommen, indem wir einander Beifall zublickten. Cavor keuchte etwas von »erstaunlichen Empfindungen«. Und dann kam mir ein Gedanke in den Kopf. Im Moment erschien er nicht als ein besonders erschreckender Gedanke, nur als eine natürliche Frage, die sich aus der Situation ergab.
»Nebenbei«, sagte ich, »wo mag die Sphäre des Genaueren liegen?«
Cavor blickte mich an. »Eh?«
Die volle Bedeutung dessen, was wir sagten, blitzte mir scharf auf.
»Cavor!«, rief ich und legte ihm eine Hand auf den Arm, »wo ist die Sphäre?«
10 – Auf dem Mond verirrte Menschen
Sein Gesicht nahm etwas von meinem Entsetzen an. Er stand auf und starrte um sich in das Gestrüpp, das uns umzäunte und um uns aufstieg und in leidenschaftlichem Wachstum nach oben rang. Er legte sich eine zweifelnde Hand an die Lippen. Er sprach mit einem plötzlichen Mangel an Sicherheit. »Ich glaube«, sagte er langsam, »wir haben sie … irgendwo … daherum gelassen.«
Er zeigte mit zögerndem Finger, der über einen Bogen schwankte.
»Ich bin nicht sicher.« Die Bestürzung in seinem Blicke vertiefte sich. »Auf jeden Fall«, sagte er, die Augen auf mich gerichtet, »kann es nicht weit sein.«
Wir waren beide aufgestanden. Wir stießen bedeutungslose Ausrufe aus, unsere Augen suchten in dem sich verschlingenden, dichter werdenden Dschungel rings um uns.
Überall rings um uns schäumten und schwankten die strahlenden Büsche, die schwellenden Kakteen, die kriechenden Flechten. Überall dort, wo Schatten war, blieben die Schneewehen liegen. Nach Norden, nach Süden, nach Osten und Westen erstreckte sich die gleiche Monotonie ungewohnter Formen. Und irgendwo begraben schon in diesem verschlungenen Wirrwarr, lag unsere Sphäre, unser Haus, unser einziger Vorrat, unsere einzige Hoffnung auf Rettung aus dieser fantastischen Wildnis ephemerer Pflanzen, in die wir geraten waren.
»Ich glaube doch«, sagte er, plötzlich zeigend, »es könnte da drüben sein.«
»Nein«, sagte ich. »Wir haben uns in einer Kurve gedreht! Seh’n Sie! da ist die Spur meines Absatzes. Es ist klar, sie muss mehr nach Osten liegen, viel mehr. Nein! – die Sphäre muss da drüben sein.«
»Ich glaube«, sagte Cavor, »ich habe die Sonne die ganze Zeit über rechts gehabt.«
»Bei jedem Sprung, scheint mir«, sagte ich, »ist mein Schatten vor mir hergeflogen.«
Wir starrten uns gegenseitig in die Augen. Das Gebiet des Kraters war unserer Fantasie ungeheuer weit geworden, das wachsende Dickicht bereits undurchdringlich dicht.
»Gütiger Himmel! Was für Narren wir gewesen sind!«
»Es ist klar, dass wir sie wiederfinden müssen«, sagte Cavor, »und das bald. Die Sonne wird stärker. Wir würden schon jetzt vor Hitze ohnmächtig werden, wenn СКАЧАТЬ