Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ zwei­ten zu be­su­chen. Aber als sie im Lau­fe des nächs­ten Ta­ges mit ih­ren Freun­din­nen zu­sam­men­traf und über das Fest re­de­te, schäm­te sie sich, ihre Mei­nung zu ge­ste­hen, und ver­si­cher­te, wie die an­de­ren Mäd­chen alle – auch Lis­beth Wend­ha­gen mit den en­gen Schu­hen – dass sie sich himm­lisch amü­siert habe.

      VII.

      Ein großer Kampf war in Sieg und Glück be­en­det, ein deut­scher Kai­ser war glor­reich ge­krönt, dem Traum ei­ner Na­ti­on war Er­fül­lung er­run­gen – Tau­sen­de von kraft­vol­len Män­nern la­gen zer­schos­sen und ver­we­send un­ter blut­ge­düng­tem Erd­reich.

      Von den Gra­nat­split­tern, die ihr Ziel nicht ge­trof­fen, ver­fer­tig­te man Tin­ten­fäs­ser und nied­li­che klei­ne Blu­men­scha­len, mit de­nen die jun­gen Da­men ihre Bou­doirs schmück­ten. Das Mi­li­tär zu eh­ren war Recht und Pf­licht des deut­schen Mäd­chens.

      Eu­ge­nie Wu­trow hat­te im­mer einen si­che­ren In­stinkt für das Not­wen­di­ge, für das Ziel, dem die öf­fent­li­che Mei­nung ih­res klei­nen Krei­ses zu­streb­te, sie trug einen Pa­le­tot, der bei­na­he ein Uni­form­rock war, ihr Zim­mer glich ei­ner Sei­ten­ab­tei­lung des Zeug­hau­ses, die zu ei­nem krie­ge­ri­schen Fes­te mit Blu­men und den Bil­dern der ho­hen Feld­her­ren fei­er­lich ge­schmückt wor­den war. Der Pa­trio­tis­mus stand ihr wie jede neue Mode und jede idea­le Pf­licht, wo­mit sie ihre an­mu­ti­ge Per­son her­aus­putz­te. Sie hat­te so einen be­son­de­ren Griff, durch den sie je­des Ding für ih­ren Ge­brauch zu­recht­rück­te, und einen fei­nen Ge­schmack für die Mi­schung der Far­ben.

      Wie sie eif­rig wur­de und scharf und le­ben­dig, wenn sie Mar­tin Gref­fin­gers schau­der­haf­te Grund­sät­ze be­kämpf­te! Wie sie sich im Ge­spräch mit ihm keck auf Ge­bie­te wag­te, vor de­nen an­de­re Mäd­chen sich fürch­te­ten! Gref­fin­ger war gar nicht gut mehr bei den Vä­tern und Müt­tern an­ge­schrie­ben, seit die Re­gie­rungs­rä­tin Heid­ling ih­ren Be­kann­ten ge­klagt hat­te, ihr Nef­fe be­rei­te ih­nen großen Kum­mer, weil er sich den neu­en so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen An­schau­un­gen zu­nei­ge. Die meis­ten jun­gen Mäd­chen zo­gen sich, auf Be­fehl ih­rer El­tern, scheu vor dem Stu­den­ten zu­rück. Das wur­de ih­nen nicht schwer, da er sich sei­ner­seits ziem­lich un­höf­lich ge­gen sie be­nahm.

      Trotz sei­ner Ab­nei­gung ge­gen die bür­ger­li­che Ge­sell­schaft kam Mar­tin oft für ein paar Stun­den, auch für gan­ze Tage nach M. hin­über. An­fangs nahm er Heid­lings Lo­gier­stu­be und Gast­freund­schaft in un­be­küm­mer­ter ver­wandt­schaft­li­cher Ge­wohn­heit an. Da ver­schärf­te sich die Span­nung zwi­schen ihm und dem On­kel Re­gie­rungs­rat, die Luft wur­de ihm zu be­klom­men, und er ließ sich nur sel­ten noch bei den Ver­wand­ten bli­cken. Zu Wu­trows ging er je­des Mal, ob­wohl die An­sich­ten des al­ten Ta­baks­fa­bri­kan­ten si­cher nicht volks­freund­li­cher wa­ren, als die des Re­gie­rungs­rats.

      Ein­mal warf Eu­ge­nie im Ge­spräch mit Aga­the die Be­mer­kung hin: ihr Vet­ter wand­le auf ge­fähr­li­chen Bah­nen, aber er sei ein ge­nia­ler Mensch. Ein an­de­res Mal fand Aga­the auf dem Schreib­tisch ih­rer Freun­din ein Buch mit ro­ter In­schrift auf schwar­zem De­ckel. Eu­ge­nie riss es ihr has­tig aus der Hand.

      »Po­li­zei­lich ver­bo­ten!« flüs­ter­te sie la­chend und schob es un­ter die Spit­zen und Bän­der in ei­ner ge­schnitz­ten Tru­he.

      Dann wie­der konn­te Mar­tin über­mü­tig bis zur Toll­heit sein, und trieb, wenn er kam, nur Ne­cke­rei­en und Scher­ze mit den bei­den Mäd­chen. Wo­chen­lang trug er eine klei­ne Pelz­kap­pe, die er Eu­ge­nie ge­raubt hat­te, und auf de­ren blon­dem Kop­fe konn­te man den Knocka­bout von Mar­tin Gref­fin­ger be­wun­dern. Traf er die Of­fi­zie­re der Gar­ni­son bei Wu­trows, so saß er fins­ter und mür­risch in ei­ner Ecke. Eu­ge­nies ge­schick­tes­te Ver­su­che be­wo­gen ihn nicht, an ei­ner Dis­pu­ta­ti­on über sei­ne ent­setz­li­chen An­sich­ten teil­zu­neh­men. Meis­tens ent­fern­te er sich gleich.

      Aga­the war über­zeugt, dass Eu­ge­nie ihn lie­be.

      Sie selbst muss­te fort­wäh­rend die Fra­ge bei sich er­wä­gen, wie ihr zu Mute sein wür­de, wenn Re­fe­ren­dar Son­nen­strahl oder Lieu­ten­ant Bie­be­ritz oder der jun­ge Dürn­heim um ihre Hand an­hiel­te? Und was sie wohl emp­fin­den wür­de, wenn sie mit ei­nem von die­sen Her­ren nach der Trau­ung am Abend al­lein an ei­nem Fens­ter ste­hen und an sei­ner Schul­ter ge­lehnt in einen dunklen Park hin­aus­bli­cken wür­de? So war die Vor­stel­lung, die sie sich un­will­kür­lich vom Be­ginn der Ehe mach­te. Hin­ter ih­nen brann­te eine Hän­ge­lam­pe, und dun­kel­ro­te Gar­di­nen flos­sen an den Fens­tern nie­der. Sie nahm den Kranz und den Schlei­er ab, und er lös­te sei­ne wei­ße Kra­vat­te – und dann wür­de er ko­misch aus­se­hen! Dar­über kam sie nicht hin­weg, und das Ge­fühl ei­nes großen Glückes woll­te sich nicht ein­stel­len.

      Vi­el­leicht war sie über­haupt nicht zur Ehe be­stimmt, son­dern aus­be­wahrt für ein selt­sa­mes, ro­man­ti­sches, schau­er­vol­les Schick­sal?

      Hät­te sie nur klei­ne Kin­der nicht so gern ge­habt!

      Der Re­gie­rungs­rat Heid­ling in­ter­es­sier­te sich als viel­sei­tig un­ter­rich­te­ter Mann auch für die Kunst und wirk­te mit an­de­ren ge­bil­de­ten Freun­den für die Ein­rich­tung ei­ner stän­di­gen Aus­s­tel­lung äl­te­rer und neue­rer Ge­mäl­de in M. Er sorg­te da­für, dass sei­ne Toch­ter die­se An­stalt ei­nes rei­nen, er­he­ben­den Ge­nus­ses, nach­dem sie dem Pub­li­kum ge­öff­net war, flei­ßig be­such­te. Gern ging er selbst am Sonn­tag Vor­mit­tag mit ihr auf ein Stünd­chen dort­hin und knüpf­te man­che lehr­haf­te Be­mer­kung über die ver­schie­de­nen Rich­tun­gen der Ma­le­rei und der Plas­tik an das Ge­schau­te. Aga­thes Ge­schmack wich oft sehr weit von dem ih­res Va­ters ab, aber er war ja eben un­ge­übt und kin­disch und soll­te sich ver­fei­nern. Es wur­de ein Sport bei den jun­gen Mäd­chen, sich Sonn­tags zwi­schen zwölf und eins um den Re­gie­rungs­rat zu ver­sam­meln, mit ihm von Bild zu Bild zie­hend, la­chend, schwat­zend, sich ihre ket­ze­ri­schen Be­mer­kun­gen in die Ohren tu­schelnd und zu­gleich an­däch­tig zu­hö­rend. Der Blick des erns­ten Man­nes ruh­te dann freund­lich auf all den in knap­pen Pelz­jäck­chen und flo­cki­gen Müt­zen ge­klei­de­ten Ge­stal­ten, den be­leb­ten, von Ju­gend- und Win­ter­luft fri­schen Ge­sich­tern.

      »Lord By­ron in Newstead Ab­bey«, las der Re­gie­rungs­rat aus dem Ka­ta­lo­ge her­vor. »Wann ge­bo­ren? Wel­che Haupt­wer­ke? Kain – Chil­de Ha­rold – gut! Was ha­ben Sie von ihm ge­le­sen? Ge­fan­ge­ner von Chil­lon? Mit den an­de­ren Sa­chen kön­nen Sie noch war­ten! … Se­hen Sie, wie aus­ge­zeich­net un­ser Ma­ler den schwär­me­risch-düs­te­ren Aus­druck des Poe­ten ge­trof­fen hat … Die ner­vö­sen Hän­de – sehr fein! – Auch der go­ti­sche Säu­len­gang … Die Hin­nei­gung zur Ro­man­tik wird durch das ver­glim­men­de Aben­d­rot an­ge­deu­tet. In der Ecke leh­nend die Fah­ne mit den grie­chi­schen Far­ben … Sym­bol ei­nes zu­künf­ti­gen Schick­sals – Aga­the – wie starb By­ron? – Mis­so­lung­hi – rich­tig. – – – Hier СКАЧАТЬ