Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ war die Aus­s­tel­lung meist leer und nie­mand konn­te Aga­the be­ob­ach­ten. Das Bild nahm ein selt­sa­mes Le­ben für sie an. Es war dem Künst­ler ge­lun­gen, et­was von der Macht, die der Dich­ter zu sei­ner Zeit auf die Frau­en ge­übt, in die­ses ge­mal­te Ant­litz zu ban­nen. Das Mäd­chen schlich zu ihm, wie zu ei­nem ver­bo­te­nen Ge­nuss, sie be­rausch­te sich an der Sehn­sucht, die nun ein Ziel ge­fun­den hat­te, bei dem sie doch im­mer Sehn­sucht blei­ben konn­te.

      Zu Haus las sie By­rons Wer­ke – alle, vom An­fang bis zu Ende. Die Freu­de dar­an war schon schmerz­li­che Lei­den­schaft. Vie­les er­fuhr sie hier, aber die na­tür­li­chen Be­zie­hun­gen der Ge­schlech­ter zu ein­an­der er­schie­nen in ei­ner wil­den Ge­wit­ter­stim­mung, durch die ihr dann doch al­les wie­der den Ein­druck ei­nes fan­tas­ti­schen Mär­chens mach­te.

      Sie wein­te vor Ei­fer­sucht, als sie aus der Bio­gra­fie By­rons Ver­hält­nis zur Grä­fin Guic­cio­li er­fuhr. Aber kei­ne von den Frau­en, an die er sein glü­hen­des Herz ver­schwen­de­te, hat­te ihn be­frie­digt. Kei­ne … Das war ein Trost!

      Das Glück, die hei­te­re Göt­ter-Ruhe, die dem Ge­ni­us, wie sei­ne Kri­ti­ker sag­ten, ge­fehlt, um ihn zu ei­nem Klas­si­ker zu ma­chen – Aga­the Heid­ling hät­te sie ihm ge­bracht! – Da wur­de ihr nun die Me­lan­cho­lie klar, die sie oft so rät­sel­haft über­schat­te­te.

      Ein hal­b­es Jahr­hun­dert zu spät ge­bo­ren … Die Ro­man­tik die­ses Ge­schickes ge­nüg­te ihr end­lich. Sie be­ru­hig­te sich ge­wis­ser­ma­ßen da­bei. Un­ter der Ober­flä­che ih­res Da­seins be­gann ein son­der­ba­res Traum­le­ben. Sie rich­te­te sich häus­lich ein in der neu­en fan­tas­ti­schen Hei­mat, in die sie fort­an ihre tiefs­ten Freu­den, ihre ge­heim­nis­vol­len Lei­den ver­leg­te – tote Kin­der sich wohl eine zwei­te Welt schaf­fen, der sie ir­gend einen ba­ro­cken Na­men ge­ben und an de­ren Aus­ge­stal­tung ihre Ge­dan­ken un­auf­hör­lich tä­tig sind, und El­tern oder Er­zie­her wun­dern sich dann, dass sie den Auf­ga­ben des Hau­ses und der Schu­le nur ein schwa­ches In­ter­es­se ent­ge­gen­brin­gen.

      Wäh­rend Fräu­lein Heid­ling Bäl­le, Kränz­chen, Land­par­ti­en und Som­mer­fri­schen be­such­te – wäh­rend sie Schlitt­schuh lief, Ko­til­lo­nor­den ver­teil­te, sich rei­zen­de Früh­jahrs­hü­te aus­such­te, Stahl­brun­nen trank und Sti­cke­rei­en an­fer­tig­te, wur­de sie zu­gleich an der Brust des to­ten Dich­terl­ords auf ra­send sich bäu­men­dem Ren­ner über Schott­lands öde Hai­den ent­führt, – da lag sie in ori­en­ta­li­schen Mas­ken­ko­stü­men auf Ru­he­bet­ten in ver­fal­le­nen Hal­len, und zu den Kla­ge­tö­nen ei­ner Har­fe san­gen Geis­ter­stim­men von dunk­ler Schuld und wil­dem Lei­den. Durch un­er­hör­te Ent­sa­gung ent­sühn­te sie den Ge­lieb­ten – und er wein­te zu ih­ren Fü­ßen und sei­ne Au­gen wa­ren tote lo­dern­de Flam­men …

      *

      Im nächs­ten Jah­re wur­de Wal­ter als Lieu­ten­ant nach M. ver­setzt. Sei­ne Ka­me­ra­den und Aga­thes Freun­din­nen gin­gen bei Heid­lings ein und aus, es war dort im­mer ein fröh­li­ches Trei­ben.

      Manch­mal kam es frei­lich zu un­an­ge­neh­men Auf­trit­ten, wenn der Re­gie­rungs­rat plötz­lich sei­ner Frau und Toch­ter hef­ti­ge Vor­wür­fe über ihre Ver­schwen­dungs­sucht im Haus­halt mach­te und er­klär­te, er habe kein Geld zu die­ser aus­ge­brei­te­ten Ge­sel­lig­keit. Aber gleich dar­auf mein­te er wie­der, Aga­the müs­se neue Stie­fel ha­ben, oder er brau­te eine Bow­le, wenn sich sechs bis acht jun­ge Leu­te zum Abend ein­fan­den und nur Kar­tof­fel und Hä­ring es­sen woll­ten.

      Es war dem Re­gie­rungs­rat an­fangs schwer ge­wor­den, von den Tra­di­tio­nen sei­ner Fa­mi­lie ab­zu­wei­chen und den Sohn nicht Jura stu­die­ren zu las­sen. Am Of­fi­zier­stan­de haf­te­te in sei­nen Au­gen ein un­ech­ter ober­fläch­li­cher Glanz. Wal­ter hat­te die jah­re­lang nach­klin­gen­de Be­geis­te­rung von 1870 be­nutzt, um den Va­ter sei­nem Wun­sche güns­tig zu stim­men. Der Re­gie­rungs­rat sah jetzt, dass auch sein Sohn stren­ge ar­bei­ten muss­te, wenn er vor­wärts kom­men woll­te. Es war ein eif­ri­ges Stre­ben un­ter den jun­gen Leu­ten, je­der such­te sich im neu­en Reich einen ei­ge­nen gu­ten Platz zu er­obern. Wal­ter und sei­ne Freun­de lach­ten viel über Mar­tin Gref­fin­gers zor­ni­ge Kri­tik der frisch er­run­ge­nen Herr­lich­keit.

      Wal­ter war kaum drei Mo­na­te in M., als er sich mit Eu­ge­nie Wu­trow ver­lob­te. Das kam selbst sei­ner Fa­mi­lie über­ra­schend. Aga­the hat­te an­ge­nom­men, Eu­ge­nie sei mit Mar­tin heim­lich ver­spro­chen. We­ni­ge Tage vor­her, bei ei­nem ge­mein­sa­men Spa­zier­gang, der mit Kaf­fee­trin­ken in ei­nem öf­fent­li­chen Gar­ten en­de­te, hat­te sie zu se­hen ge­glaubt, wie Mar­tin un­ter dem Tisch nach Eu­ge­nies Hand fass­te, und das Mäd­chen ließ sie ihm. Da­bei tausch­te sie, den Kopf in die Rech­te ge­stützt, über den Tisch Ne­cke­rei­en mit Wal­ter.

      So­bald Aga­the mit der Braut al­lein war, konn­te sie nicht un­ter­las­sen, die Be­mer­kung hin­zu­wer­fen:

      »Ich glaub­te, es wäre Mar­tin, den Du gern hät­test!«

      »Ei­nen so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Stu­den­ten?« frag­te Eu­ge­nie vor­wurfs­voll. »Aber Aga­the –! Den hei­ra­tet man doch nicht! – Und üb­ri­gens hasst er ja auch die Ehe«, füg­te sie mit ih­rem fri­vo­len klei­nen La­chen hin­zu.

      Ein Ge­fühl von Ab­nei­gung, von Ver­ach­tung ge­gen die neue Schwä­ge­rin pei­nig­te Aga­the, wäh­rend ihr alle Be­kann­te Glück wünsch­ten, weil ihr Bru­der die liebs­te Freun­din zur Frau wähl­te. Sie mein­te, es sei ihre Pf­licht, Eu­ge­nie noch ein­mal ernst­lich zur Rede dar­über zu set­zen, ob sie Wal­ter auch wirk­lich lie­be. Aber nach dem ers­ten miss­glück­ten Ver­such fand sie nicht den Mut. Was hät­te Eu­ge­nie auch be­we­gen sol­len, sich mit Wal­ter zu ver­lo­ben? Sie war ein rei­ches Mäd­chen und hat­te schon ver­schie­de­ne An­trä­ge aus­ge­schla­gen.

      Die bei­den Freun­din­nen be­rich­te­ten sich ge­treu­lich jede Klei­nig­keit ih­res täg­li­chen Le­bens. Sie wür­den es sehr übel ge­nom­men ha­ben, wenn eine von ih­nen sich eine Schlei­fe ge­kauft hät­te, ohne die an­de­re um Rat zu fra­gen und län­ge­re Ver­hand­lun­gen dar­über zu pfle­gen. Was aber im In­nern ih­rer zu­künf­ti­gen Schwä­ge­rin vor sich ging, blieb Aga­the eine so frem­de Welt, wie es Eu­ge­nie ihr fan­tas­ti­sches Traum­le­ben ge­we­sen wäre. Jede hü­te­te ängst­lich die ei­ge­nen Ge­heim­nis­se.

      VIII.

      Zur Zeit, als die Kin­der noch klein wa­ren, hat­te Frau Heid­ling nach dem Tode ih­rer Schwie­ger­mut­ter de­ren Kö­chin ins Haus ge­nom­men. Schon da­mals hieß sie die alte Dor­te. Mit den Jah­ren hart und dürr ge­wor­den, gleich ei­nem ver­wit­ter­ten Zaun­ste­cken, und von gal­li­ger Ge­müts­art, ar­bei­te­te sie für die Fa­mi­lie mehr in zä­hem Ei­gen­sinn als in lin­der Treue. Wie oft sie schon ge­kün­digt hat­te und trotz­dem ge­blie­ben war, konn­te nie­mand mehr nach­rech­nen. Hör­te man sie in der Kü­che vor sich hin­brum­men und schel­ten, so muss­te man ih­ren СКАЧАТЬ