Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ nun schmet­ter­ten die Fan­fa­ren zum An­griff, und die Schwar­zen stürz­ten sich auf die Hel­len, al­les wir­bel­te durch­ein­an­der und die Schlacht konn­te be­gin­nen. Hei – das gab hei­ße Ar­beit! Wie die Schweiß­trop­fen über die männ­li­chen Ge­sich­ter ran­nen und ver­ge­bens mit wei­ßen Tü­chern ge­trock­net wur­den! Wie die Tar­la­tan­fet­zen von den dün­nen Klei­dern flo­gen, wie die fri­sier­ten Haa­re sich lös­ten und die Schul­tern warm und die Au­gen le­ben­dig wur­den!

      Und wie die Müt­ter in ih­ren Un­ter­hal­tun­gen ganz ver­stumm­ten und mit vor­ge­streck­ten Häl­sen, mit Lor­gnet­ten und Knei­fern – eine sehr Kurz­sich­ti­ge ge­brauch­te so­gar ein Opern­glas – in dem Ge­wo­ge die ein­zel­nen Paa­re ver­folg­ten.

      Und wie die Vä­ter sich ge­müt­lich zu Bier und Skat nie­der­lie­ßen und zu lan­gen po­li­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die doch nichts Auf­re­gen­des hat­ten, weil man im Grun­de als preu­ßi­scher Be­am­ter nur eine Mei­nung ha­ben konn­te und al­ler­seits treu zu Kai­ser und Reich stand.

      Ja, nun war die Ball­freu­de auf ih­rem Hö­he­punkt an­ge­kom­men!

      *

      Aga­the er­staun­te über die Ein­fach­heit von Eu­ge­nies An­zug, den, trotz al­ler Bit­ten, kei­ne Freun­din vor­her hat­te se­hen dür­fen. Um die­ses Kleid­chens wil­len zwei­mal nach Ber­lin zu rei­sen und so­viel Geld da­für aus­zu­ge­ben!

      Kein Be­satz – kei­ne Rü­schen – kei­ne Blu­men. Es saß ja wun­der­bar, das war nicht zu leug­nen. Wäh­rend die Schlep­pe bei den meis­ten jun­gen Da­men ein präch­ti­ges Ge­bäu­de bil­de­te, das ei­ner Wen­dung sei­ner Ei­gen­tü­me­rin im­mer einen steiftüll­nen Wi­der­stand ent­ge­gen­setz­te und erst durch ein seit­li­ches Fuß­schlen­kern zur Rai­son ge­bracht wer­den muss­te, schmieg­te sie sich bei Eu­ge­nie der lei­ses­ten Wel­len­bie­gung ih­res Kör­pers an. Die Tail­le vollends er­schi­en nur wie eine die stol­ze Büs­te eng um­span­nen­de blass­ro­sa Haut.

      Es war in die­sem Win­ter die Mode, klei­ne ova­le Krän­ze zu tra­gen. Eu­ge­nie hat­te auch die­sen Schmuck ver­schmäht. Ihr Haar war nicht ein­mal sehr kunst­voll ge­ord­net, der sei­ne blon­de Kopf mit den scharf­bli­cken­den grau­en Au­gen und den am Tage et­was har­tro­ten Far­ben war in einen Pu­der­schlei­er gehüllt, der ihm ein ver­wisch­tes, sa­nier­tes Aus­se­hen gab. Aber von den köst­lich ge­form­ten Schul­tern und Ar­men schi­en förm­lich ein Glanz, ein sanf­tes wei­ßes Licht aus­zu­strah­len. Um den Hals war statt ei­ner gol­de­nen Ket­te ein Streif­chen farb­lo­sen Il­lu­si­ons­tülls ge­wi­ckelt und ne­ben dem Ohr zu ei­ner kin­di­schen Schlei­fe ge­knüpft. Eine Lau­ne … Aga­the wuss­te, dass ihre Freun­din an der Stel­le un­ter dem Ohr eine häss­li­che Nar­be be­saß.

      »Die ver­steht’s … Na, Kin­der – alle Ach­tung! Die ver­steht’s!« sag­te On­kel Gu­stav mit ehr­furchts­vol­lem Aus­druck. Er galt in der Stadt für den feins­ten Ken­ner weib­li­cher Schön­heit. Sei­ne ge­schie­de­ne Ge­mah­lin soll­te eine be­zau­bern­de Frau – ein wah­rer Dä­mon an Reiz ge­we­sen sein, er­zähl­te man sich.

      Als Aga­the die Fül­le ele­gan­ter Er­schei­nun­gen sah, ver­lor sie plötz­lich jede Hoff­nung auf Er­folg. Sie wur­de un­si­cher, wuss­te nicht, wie sie ste­hen, wie sie die Hän­de hal­ten, wo­hin sie bli­cken soll­te. Ihre Mut­ter kam zu ihr her­an und nahm ihr den schwan­be­setz­ten Kra­gen ab, den sie in ih­rer Ver­wir­rung um­be­hal­ten hat­te. Die Re­gie­rungs­rä­tin flüs­ter­te ihr zu, nicht so ein ernst­haf­tes Ge­sicht zu ma­chen, sonst wür­de kein Herr sie zum Tanz auf­for­dern.

      Gott! Das wäre ent­setz­lich! Aga­the be­gann eine Angst zu füh­len, wie sie bis­her in ih­rem jun­gen Le­ben noch nicht ge­kannt hat­te. Ge­trie­ben von die­ser Angst, de­ren sie sich doch schäm­te, drück­te sie sich hin­ter ihre Freun­din­nen und flüch­te­te in eine Ecke des Saa­l­es.

      Es wäre ja eine sol­che Schan­de ge­we­sen, auf ih­rem ers­ten Bal­le sit­zen zu blei­ben! Sie be­reu­te, Mar­tins Aner­bie­ten, den Er­öff­nungs-Wal­zer mit ihr zu tan­zen, nicht an­ge­nom­men zu ha­ben. Heu­te Mor­gen kam ihr das wie ein arm­se­li­ger Not­be­helf vor – jetzt wäre sie glück­lich über den Not­be­helf ge­we­sen. Sie sah Eu­ge­nie in der vor­ders­ten Rei­he um­ringt von fünf bis sechs Her­ren, die ihre Tanz­kar­te von Hand zu Hand ge­hen lie­ßen und eif­rig dar­über be­rat­schlag­ten. Und zu ihr war im­mer noch nie­mand ge­kom­men …

      Ne­ben ihr stand ein häss­li­ches ält­li­ches Ge­schöpf, mit sanf­ten er­ge­be­nen Au­gen, das trös­tend zu ihr sag­te: »Es sind im­mer so viel mehr Da­men als Her­ren da.« Gro­ße Grup­pen von jun­gen Män­nern spra­chen un­be­fan­gen mit­ein­an­der, es fiel ih­nen gar nicht ein, dass man von ih­nen er­war­te­te, sie soll­ten tan­zen.

      Ein kahl­köp­fi­ger As­ses­sor, der für sehr ge­scheut und lie­bens­wür­dig galt, streif­te lang­sam an den Da­men­rei­hen vor­über. Er sah durch sei­nen Klem­mer jede Ein­zel­ne an, vom Stirn­löck­chen bis her­un­ter auf die wei­ßen At­las­schu­he prüf­ten sei­ne Bli­cke. Er kam auch zu den Schüch­ter­nen im Hin­ter­grun­de. Aga­the, de­ren Va­ter er kann­te, wur­de von ihm ge­grüßt. Er blieb eine Se­kun­de vor ihr ste­hen. Sie hielt die Tanz­kar­te in den zit­tern­den Fin­gern und mach­te eine un­will­kür­li­che Be­we­gung, sie ihm zu rei­chen.

      »Wol­len gnä­di­ges Fräu­lein nicht tan­zen, dass Sie sich so zu­rück­ge­zo­gen ha­ben?« frag­te er und schlen­der­te wei­ter.

      Aga­the biss die Zäh­ne in die Lip­pe. Et­was Ab­scheu­li­ches quoll in ihr auf: ein Hass – eine Bit­ter­keit – ein Schmerz … Sie hät­te mö­gen zu ih­rer Mut­ter stür­zen und schrei­en: Wa­rum hast Du mich hier­her­ge­bracht? Wa­rum hast Du mir das an­ge­tan – das – das – die­ser Schimpf, der nie wie­der von ihr ab­ge­wa­schen wer­den konn­te.

      Der Tanz be­gann. Ein blon­des Bür­sch­chen steu­er­te durch die sich dre­hen­den Paa­re auf die Ecke zu, wo Aga­the mit dem ält­li­chen Ge­schöpf ste­hen ge­blie­ben war. Sei­ne Au­gen staun­ten Aga­the be­wun­dernd an – er wur­de rot vor Ent­zücken bei dem Ge­dan­ken, dass er sie in den Ar­men hal­ten kön­ne – aber er war ihr nicht vor­ge­stellt – und … nein, ehe er ge­wagt hät­te sich selbst mit ihr be­kannt zu ma­chen, eher hol­te er die Freun­din sei­ner Schwes­ter an ih­rer Sei­te. Dank­bar hüpf­te das ält­li­che Ge­schöpf mit dem Kerl­chen da­von und Aga­the blieb al­lein.

      Da wur­de sie plötz­lich be­merkt und al­les wun­der­te sich, dass sie nicht tanz­te, sie war doch un­strei­tig ei­nes der hüb­sche­s­ten Mäd­chen. Die Müt­ter tausch­ten ihre Be­mer­kun­gen, sie ka­men zur Re­gie­rungs­rä­tin Heid­ling und die­se lä­chel­te mit ih­rem ar­men, von wü­ten­den Ner­ven­schmer­zen schief­ge­zo­ge­nen Mun­de und sag­te freund­lich: »Ja – das sind Bal­ler­fah­run­gen.« Alle Müt­ter wa­ren ei­nig: Die jun­gen Mäd­chen muss­ten not­wen­dig sol­che Er­fah­run­gen ma­chen. Aber meh­re­re dach­ten im Stil­len, es sei doch recht un­ge­schickt von der Re­gie­rungs­rä­tin, nicht vor dem Ball eine Ge­sell­schaft СКАЧАТЬ