Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ an sich press­te, war ihr pein­voll. Der Zwei­te streck­te ihr den Arm wie einen ge­zück­ten Speer, mit dem er sich einen Weg durchs Ge­drän­ge bah­nen woll­te, wa­ge­recht hin­aus; der Drit­te drück­te ihre Hand krampf­haft in der sei­nen und stöhn­te und schnauf­te. Ein Vier­ter schwenk­te ih­ren und sei­nen Arm wild im Tak­te auf und nie­der und trat ihr be­stän­dig auf die Ze­hen.

      Mit ih­rem Bru­der und den Vet­tern hat­te sie sich si­cher und fröh­lich ge­schwun­gen – hier ver­gaß sie al­les Ge­lern­te, wi­der­streb­te steif und ängst­lich dem Füh­rer und mach­te die dümms­ten Feh­ler. Es war ihr eine Er­lö­sung, als On­kel Gu­stav sie ein­mal hol­te.

      On­kel Gu­stav hat­te je­der von Aga­thes Freun­din­nen ein Fläsch­chen »Ju­gend­born« ge­schenkt, und for­der­te nun alle die jun­gen Da­men auf, um sich von der Wir­kung sei­nes Schön­heits­was­sers zu über­zeu­gen. Er tanz­te aus Ge­schäfts­rück­sich­ten. Wäh­rend er mit rit­ter­li­cher Gran­dez­za sei­ne Nich­te im Arm hielt, hör­te sie ihn halb­laut sa­gen: »Zu viel Ben­zoë – et­was mehr La­wen­del könn­te nicht scha­den – was meinst Du, Aga­the?«

      Aber er tanz­te da­bei viel, viel bes­ser als die jun­gen Her­ren, das wur­de all­ge­mein an­er­kannt. Er war auch aus­ge­zeich­net ge­schmack­voll ge­klei­det – nie­mand wuss­te, wie er das bei sei­nen spär­li­chen Ein­nah­men mög­lich mach­te. Zu­wei­len gab er den rei­chen jun­gen Kauf­leu­ten oder den Stre­bern un­ter den Ju­ris­ten mit her­ab­las­sen­der Mie­ne, als ver­mitt­le er ih­nen ein wich­ti­ges di­plo­ma­ti­sches Ge­heim­nis, die Adres­se sei­nes haupt­städ­ti­schen Schnei­ders. On­kel Gu­stav leb­te von Ne­ben­ver­diens­ten für ge­bil­de­te Her­ren mit aus­ge­brei­te­tem Be­kann­ten­krei­se. Doch wur­de die­se Tat­sa­che von ihm mit hei­te­rem Idea­lis­mus ver­gol­det. Sein Stre­ben ging dar­auf: Das Schö­ne zu ver­brei­ten. »Das Schö­ne« war ihm ein Rock, der nicht eine ein­zi­ge Fal­te schlug – ein Par­füm, das vor­neh­men Na­sen wohl­ge­fäl­lig und zu­gleich ge­sund zu brau­chen war.

      Als das Sou­per be­gann, wur­de Aga­the von ih­rem Herrn ge­fragt, ob es ihr recht sei, wenn sie mit ih­rer Freun­din Eu­ge­nie eine ge­müt­li­che Ecke bil­de­ten. Aga­the war ein­ver­stan­den. Eu­ge­nie wur­de von Mar­tin ge­führt, au­ßer­dem nahm Lis­beth Wend­ha­gen an der Grup­pe teil. Sie ver­mehr­te die Lus­tig­keit je­doch nicht sehr, weil sie fort­wäh­rend die hin­ter ihr be­find­li­che zwei­te Ta­fel im Auge zu be­hal­ten such­te, wo Re­fe­ren­dar Son­nen­strahl ei­ner ih­rer Freun­din­nen den Hof mach­te. Auch klag­te sie Aga­the, dass sie zu enge Schu­he tra­ge und des­halb ge­zwun­gen sei, den gan­zen Abend nur auf ei­nem Fuße zu ste­hen, um den an­de­ren aus­ru­hen zu las­sen. Eu­ge­nie be­fand sich da­ge­gen in bes­ter Lau­ne, und auch die zwei Her­ren be­müh­ten sich nach Kräf­ten, die Un­ter­hal­tung in fri­schem Gan­ge zu hal­ten. Man tausch­te al­ler­lei sinn­rei­che Wit­ze und Wet­ten aus, nasch­te vor­zei­tig vom Des­sert, und lehr­te sich die rich­ti­ge Art des An­sto­ßens, wo­bei man ein­an­der in die Au­gen bli­cken muss­te. Aga­the mach­te die Be­mer­kung, dass dies al­les nicht die Art von harm­lo­ser Fröh­lich­keit war, in der sie frü­her mit den jun­gen Leu­ten ver­kehr­te. Mit den un­ge­wohn­ten Ge­sell­schafts­klei­dern schie­nen sie alle eine son­der­ba­re Fei­er­lich­keit an­ge­legt zu ha­ben Aga­the muss­te ein paar­mal in ein hel­les Ge­ki­cher aus­bre­chen, weil sie sich er­in­ner­te, dass ihr Tisch­herr, der sie jetzt »mein gnä­di­ges Fräu­lein« nann­te und ihr mit un­glaub­li­cher Höf­lich­keit jede Schüs­sel prä­sen­tier­te, sich ein­mal in ih­rer Ge­gen­wart mit Wal­ter fürch­ter­lich ge­prü­gelt hat­te, wo­bei sie selbst ei­ni­ge Püf­fe er­hielt und die Jun­gen zu­letzt bei­de zer­zaust und zer­kratzt an der Erde her­um­ge­ku­gelt wa­ren.

      Auch Mar­tin und Eu­ge­nie ka­men ihr wie un­be­kann­te Men­schen vor. Mar­tin hat­te statt sei­ner noch vor zwei Stun­den zur Schau ge­tra­ge­nen Derb­heit eine wun­der­li­che Sen­ti­men­ta­li­tät an­ge­nom­men, und Eu­ge­nie sag­te al­les mit ge­zier­ten klei­nen Spit­zen und ab­sicht­li­chen Be­we­gun­gen und Bli­cken, de­ren Sinn Aga­the noch nicht ver­stand. Da­bei fühl­te sie je­doch, dass auch sie sich mehr und mehr in ein ganz un­na­tür­li­ches We­sen ver­lor. Als der Lärm an den großen Ti­schen im­mer lau­ter wur­de, die Her­ren dem Cham­pa­gner leb­haft zu­spra­chen, sich in den Stüh­len zu­rück- oder weit über den Tisch hin­über lehn­ten und al­les um sie her lach­te, flüs­ter­te und ju­bel­te, wur­de Aga­the ohne je­den Grund sehr trau­rig. Das Ge­ba­ren der Men­schen um sie her kam ihr nicht mehr drol­lig, son­dern sinn­los und un­be­greif­lich vor. In dem ihr so wohl­be­kann­ten Ge­sicht ih­res Ju­gend­freun­des Mar­tin sah sie einen Aus­druck von Span­nung – von Qual, wel­che sich mit ei­nem son­der­ba­ren Lä­cheln ver­band. Sein Blick wich nicht von Eu­ge­nie, aber er schi­en kaum zu hö­ren, was sie sag­te, er starr­te fort­wäh­rend auf ih­ren Hals, auf ih­ren Bu­sen. Sie war so weit de­kolle­tiert – wie konn­te sie das nur aus­hal­ten, ohne vor Scham zu ver­ge­hen, dach­te Aga­the em­pört. Et­was in der Brust tat ihr da­bei weh. Es war wie eine Ent­täu­schung – als trä­te nun eine end­gül­ti­ge Ent­frem­dung zwi­schen ihr und Mar­tin ein … als ent­schlüp­fe ihr et­was, das sie für un­be­strit­te­nes Ei­gen­tum ge­hal­ten … Was denn? Sie lieb­te ihn doch nicht? Es fiel ihr gar nicht ein!

      Un­kla­re In­stink­te trie­ben sie, den jun­gen Dürn­heim an ih­rer Sei­te auch so – mit die­ser ge­heim­nis­vol­len Be­deu­tung im Bli­cke an­zu­se­hen, aber als er dar­auf mit glei­chem er­wi­der­te, war ihr das un­an­ge­nehm, sie är­ger­te sich über sich selbst und auch über den jun­gen Mann, der ihr fade und ohne jede Ro­man­tik vor­kam.

      Hät­te sie nur nach Haus ge­durft und im stil­len, dunklen Zim­mer mit ge­schlos­se­nen Au­gen lie­gen, ganz al­lein, ganz al­lein! Sie war sehr müde, sie sah al­les um sich her wie durch einen Ga­ze­schlei­er.

      Dem Sou­per folg­te der Ko­til­lon. Der kahl­köp­fi­ge As­ses­sor kam auf Aga­the zu und frag­te freund­lich her­ab­las­send, ob sie schon en­ga­giert sei, oder ob er das Ver­gnü­gen ha­ben dür­fe?

      Von die­sem Man­ne, der sie so tief be­lei­digt hat­te, soll­te sie, nun es ihm ein­fiel, sich her­um­schwin­gen las­sen?

      »Ich dan­ke, ich tan­ze den Ko­til­lon nicht«, sag­te sie kurz, und er ver­ließ sie mit sei­nem gleich­mü­ti­gen Lä­cheln, blieb in der Nähe ste­hen und sah durch sei­nen gol­de­nen Knei­fer müde in den Saal. Da­rauf kam ein Lieu­ten­ant und for­der­te sie auf, Aga­the folg­te ihm mit ver­gnüg­tem Tri­um­phe.

      In ei­ner der Pau­sen des viel­ver­schlun­ge­nen Tan­zes wink­te Mama sie plötz­lich her­an.

      »Wie Aga­the? Du hast den As­ses­sor Rai­ken­dorf ab­ge­wie­sen und tan­zest nun mit ei­nem an­de­ren?« flüs­ter­te die Re­gie­rungs­rä­tin auf­ge­regt. »Das geht un­mög­lich! Das darfst Du nie wie­der tun –. Oder hat er sich et­was ge­gen Dich zu Schul­den kom­men las­sen?«

      »Nein«, stot­ter­te Aga­the glut­rot, »nein – nur – ich mag ihn nicht!«

      »Ja, lie­bes Kind – wenn Du so wäh­le­risch mit Dei­nen Tän­zern sein willst – dann darfst Du nicht auf Bäl­le ge­hen. СКАЧАТЬ