Gabriele Reuter – Gesammelte Werke. Gabriele Reuter
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Название: Gabriele Reuter – Gesammelte Werke

Автор: Gabriele Reuter

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814076

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СКАЧАТЬ sie da­bei tref­fen und fra­gen, was das zu be­deu­ten habe.

      Wie­sing hat­te das Fens­ter in dem en­gen Raum seit dem Mor­gen noch nicht ge­öff­net, es war eine ab­scheu­lich dump­fe Luft dar­in. Schmut­zi­ges Was­ser stand in der Schüs­sel, aus­ge­kämm­tes Haar und al­ler­lei arm­se­li­ger Plun­der lag auf dem Bo­den her­um. Und Wal­ter – ihr pein­lich sau­be­rer, ele­gan­ter Bru­der, in sei­ner glän­zen­den Uni­form war hier ge­we­sen … wie war es nur mög­lich?

      Es schüt­tel­te sie ein Grau­en, ein Ekel.

      Wie soll­te sie Wal­ter an­re­den? Er kam ihr vor wie ein Ver­wor­fe­ner, zu des­sen Ge­füh­len sie kei­ne Brücke mehr fand. Auch wenn sie Wie­sing an­sah, emp­fand sie eine hef­ti­ge Ab­nei­gung ge­gen das Mäd­chen, durch wel­ches sie ih­ren Bru­der ver­lo­ren hat­te.

      Sie las in ih­rem neu­en Te­sta­ment und be­te­te um Kraft. Sie er­in­ner­te sich, dass Pas­tor Kand­ler ihr ein­mal ge­sagt hat­te: in je­dem Men­schen lä­gen die Kei­me zu al­len Sün­den ver­bor­gen. Sie woll­te ver­su­chen, ih­rem Bru­der in Lie­be zu­zu­re­den. Sie hat­te eine Emp­fin­dung, als tapp­te sie in die schwar­ze Fins­ter­nis und er­grei­fe et­was Wi­der­li­ches.

      So quäl­te sie sich den gan­zen Tag hin und wünsch­te, Wal­ter möge so viel Dienst ha­ben, dass eine Un­ter­re­dung mit ihm un­mög­lich wer­de. O war sie fei­ge!

      Nach­mit­tag kam Eu­ge­nie auf eine Vier­tel­stun­de. Als sie noch da­saß und Eu­ge­nie nicht wuss­te, was sie mit ihr spre­chen soll­te, trat Wal­ter ein. Er war ge­rit­ten, das krau­se Haar kleb­te ihm feucht an der Stirn. Er sah ein we­nig ver­drieß­lich aus. Doch küss­te er Eu­ge­nie. Sie ord­ne­te mit ih­ren hüb­schen, ge­schick­ten Fin­gern sein Haar, sah ihm mit ih­rem küh­len, spöt­ti­schen Lä­cheln in die Au­gen und frag­te: »Är­ger ge­habt?« Und dann strich sie leicht über sei­ne Uni­form, wie einst ihre Hän­de be­ru­hi­gend über Aga­thes Schlä­fe ge­glit­ten wa­ren, wenn die­se Zahn­schmer­zen hat­te, in der Pen­si­on.

      Durch die Erin­ne­rung ka­men Aga­thes Ge­dan­ken auf den Kom­mis, der Eu­ge­nies ers­te Lie­be ge­we­sen, und auf das Zim­mer mit den Zi­gar­ren­pro­ben.

      Ach, wenn sie doch hät­te fort­lau­fen kön­nen – weit, weit fort von al­len Men­schen.

      Eu­ge­nie nahm Ab­schied, Wal­ter brach­te sie hin­aus. Der Va­ter mach­te sei­nen täg­li­chen Spa­zier­gang, Mama hat­te ihn heu­te be­glei­tet, weil sie einen Be­such da­mit ver­bin­den woll­ten. Wal­ter kam ins Zim­mer zu­rück. Da war Aga­the al­lein mit ihm, und nun muss­te sie re­den, es half ihr nie­mand.

      »Was machst Du nur heu­te für ein Ge­sicht? Eu­ge­nie frag­te auch, was Dir wäre?« Da­mit be­gann Wal­ter un­ver­mu­tet das Ge­spräch. Sie nahm ihre Kraft zu­sam­men – üb­ri­gens ver­stand er sie schon nach den ers­ten halb­laut hin­ge­stam­mel­ten Wor­ten.

      Aber es kam ganz an­ders, als sie er­war­tet hat­te! Er zeig­te kei­ne Spur von Scham oder Reue, wur­de zor­nig, ging mit klir­ren­den Spo­ren im Zim­mer hin und her und rief halb­laut, vor Är­ger hei­ser:

      »Küm­me­re Dich nicht um Din­ge, die Du nicht ver­stehst! Hörst Du? Hier­von ver­stehst Du gar­nichts. Kei­nen Schim­mer! Da­rum hast Du auch kein Recht, ab­zu­ur­tei­len.«

      »Ich ver­ste­he, dass Du ver­lobt bist! Ich fin­de es ehr­los …«

      »Un­ter­steh’ Dich …!« Aga­the sah die dro­hend er­ho­be­ne Faust ih­res Bru­ders vor ih­ren Au­gen.

      »Schlag’ mich nur«, rief sie, »dar­um ist Dein Be­tra­gen doch ehr­los. O pfui – pfui – dass Du mein Bru­der bist!«

      Sie brach in lei­den­schaft­li­ches Wei­nen aus. Er hat­te sei­ne Hand sin­ken las­sen, aber er war jetzt ganz weiß und knirsch­te mit den Zäh­nen.

      »Ich ver­bie­te Dir, Dich in mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten zu mi­schen – hörst Du? Du be­trägst Dich nicht wie eine Dame, son­dern wie ein ex­al­tier­tes Frau­en­zim­mer. Es ist un­pas­send von Dir, an sol­che Din­ge zu rüh­ren! Ver­stehst Du mich?« Da­mit riss er die Tür auf und warf sie gleich dar­auf kra­chend zu.

      Aga­the saß eine Zeit lang still und be­täubt von großem Kum­mer auf ei­nem Stuhl.

      Spä­ter am Abend frag­te sie Wie­sing, ob sie nicht zu ih­ren El­tern ge­hen kön­ne, ob sie nicht sa­gen wol­le, ihre Mut­ter wäre krank und brau­che sie. Aber das klei­ne Haus­mäd­chen schüt­tel­te den Kopf und ant­wor­te­te mit un­be­greif­li­cher Er­ge­bung: »Ach, wat mei­nen Frö­len, – mien Mod­der wull mi schön schel­ten, wenn ik nach Hus käme. Un’ Dor­te seggt ok, dat’s all gliek bei de Herr­schaf­ten. De jung’ Herr hat ja och woll bald Hoch­tied und dann kümmt he jo ok weg.«

      Was konn­te Aga­the wei­ter tun? Sie hoff­te, dass ihr Bru­der einen Eklat fürch­ten wür­de. Aber sie hat­te je­den Maß­stab für die Be­rech­nung der Mög­lich­kei­ten ver­lo­ren.

      Sie konn­te sich nicht ent­schlie­ßen, Wie­sing je­mals wie­der nach die­ser An­ge­le­gen­heit zu fra­gen, doch nann­te sie sie von nun ab wie die Mut­ter »Lui­se« Es war für sie et­was Ge­mei­nes an dem Mäd­chen haf­ten ge­blie­ben.

      IX.

      Aga­the war nun schon zwan­zig Jah­re alt.

      Die Re­gie­rungs­rä­tin freu­te sich recht, als im Fe­bru­ar eine ent­fern­te viel jün­ge­re Ver­wand­te, mit der sie hin und wie­der kur­ze Brie­fe wech­sel­te, die Bit­te an sie rich­te­te, ihr das Töch­ter­chen für ei­ni­ge Wo­chen zu schi­cken. Aga­thes Fo­to­gra­fie habe in ihr den Wunsch er­weckt, sie ken­nen zu ler­nen.

      Die Cou­si­ne, die, zur Ma­le­rin aus­ge­bil­det, einen pol­ni­schen Künst­ler, Ka­si­mir von Wo­szen­ski, ge­hei­ra­tet hat­te, galt bei Heid­lings für geis­tig an­re­gend, ja für ge­nia­lisch. Da­bei wa­ren die Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se des Ehe­paa­res doch so so­li­de ge­fes­tigt, dass selbst der Re­gie­rungs­rat nichts Ernst­li­ches ge­gen einen Be­such der Toch­ter ein­wen­den konn­te. Aber es ge­fiel ihm nicht, sie von sei­ner Sei­te zu las­sen. Er war an ihr Schwat­zen und La­chen, an das Ge­hen und Kom­men all der jun­gen Mäd­chen um ihn her ge­wöhnt. Er moch­te die­sen leich­ten an­mu­ti­gen Reiz in sei­nem tro­ckenen, ar­beits­vol­len Be­rufs­da­sein nicht ent­beh­ren – auch nicht für vier Wo­chen. Er sah nicht ein, wozu er eine Toch­ter habe, wenn sie auf Rei­sen ge­hen woll­te.

      Un­si­cher be­merk­te die Rä­tin: Aga­the könn­te doch da viel­leicht je­mand ken­nen ler­nen … je­mand mit Ver­mö­gen.

      Der Re­gie­rungs­rat wur­de sehr zor­nig. Er habe nicht nö­tig, sei­ne Toch­ter ver­scha­chern zu las­sen; er kön­ne selbst für sei­ne Toch­ter sor­gen, und sie brau­che durch­aus nicht zu hei­ra­ten.

      So hat­te es ja die Rä­tin nicht ge­meint. Sie woll­te et­was an­deu­ten, СКАЧАТЬ