Название: Nur ein Viertel Elfenblut
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591805
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Sumpfwasser sah Tamalone herankommen, erkannte den für einen Menschen außergewöhnlich geschmeidigen Gang, das beleidigend helle Haar, in dem er nur Spuren von Elfenfarbe wiederfand, und erschrak, als er sah, was sie am Leib trug. Wams, Hosen, Stiefel. Alles aus Leder. Ohne Zweifel Rehleder, gut gewalkt und deshalb sehr weich. Menschenhände konnten das nicht geschneidert haben. Hier, wo die Minengesellschaft das Sagen hatte, war das eine völlig unangemessene Kleidung. Hatte er nicht Unauffälligkeit angeordnet? Sie gehört nicht zu den Menschen, dachte er. Sie ist unrein und gehört nirgendwo hin als dorthin, wohin man sie lässt. Aber musste sie deshalb ihre Andersartigkeit so deutlich betonen? Er suchte am Halsansatz, an den Handgelenken, in den Umrissen der Falten nach Spuren eines Unterkleides. Aber er fand nur Leder. Offensichtlich trug sie das Leder auf der Haut wie eine Jägerin des Elfenvolkes. Staub und Asche! Sie war keine Elfe. Sie war ein Mensch mit ein paar Tropfen Elfenblut. Höchstens eine Viertelelfe. Oder ein Dreiviertelmensch. Da sollte sie sich besser in der Menge verstecken. Obwohl … Wer konnte schon sagen, was die Zukunft mit ihr vorhatte? Sumpfwasser trat aus seiner Deckung hervor.
„Ich bin hier, Tamalone.“
Tamalone musste zweimal schauen, bis sie gegen den Waldrand erkennen konnte, was Elfe war und was Ast, was zur Kleidung, zum Haar oder zum Blätterwerk gehörte. Wie gelang es den Elfen nur, immer wie ein Teil des Waldes auszusehen?
„Meine Freunde nennen mich Tama“, sagte sie leise und ganz ruhig. „Wenn Ihr mögt, könnt Ihr mich ebenfalls so nennen.“
„Du hast Freunde hier?“
Da lag ein unmissverständlicher Vorwurf in der Stimme, der sie mehr schmerzte als ein aufgeschürftes Knie. Warum sollte sie keine Freunde haben? Aber der Elf hatte recht. Freunde hatte sie hier nicht gefunden. Nur einmal. Beinahe. Einen Jungen mit goldenen Augen. Aber der war viel jünger gewesen als sie, und sie hatte ihn nach ihrer ersten Begegnung nie wieder gesehen.
„Weißt du noch, wer ich bin? Erinnerst du dich noch an die Frau, die dich aus dem Wald heraus und an diesen Ort gebracht hat?“
Tamalone hob den Blick. Der Elfencharme zupfte an ihr herum und ließ sie vorsichtig werden. „Mutter, hilf“, dachte sie und errichtete eine Mauer um sich, die der Schönheit des Elfen den Zauber entzog. Es fiel ihr leichter, als sie erwartet hatte. Aber sie musste sich doch eingestehen, dass sie trotz Mutters Hilfe für den verfluchten Elfencharme anfällig war. Warum gab es so etwas, das niemand haben wollte und keiner gebrauchen konnte? Die Menschen litten unter ihrer unerfüllten Sehnsucht, und die Elfen litten unter den unerwünschten Nachstellungen der Menschen. Kein Wunder, dass die Elfen die Menschen mieden und sich jede Annäherung verbaten. Doch ganz selten, hin und wieder …
Tamalone kniff die Augen zusammen, um den Mann schärfer zu sehen, denn im Spiel von Licht und Schatten veränderte sich sein Bild ständig. Silbrig oder grün das Haar, grün oder braun die Haut, nicht dunkel wie eine bemooste Borke, eher wie die Unterseite eines lichtdurchdrungenen Blattes. Braun auch die Kleidung mit wandernden Flecken von Grün darüber. Jetzt erst, nachdem sie ihn ganz sicher wiedererkannte, war sie auch bereit, seine Frage zu beantworten: „Ja, ich erinnere mich an Euch. Euer Name ist Sumpfwasser. Er hat keinen Klang, ist trüb, riecht nach vergangenen Tagen, von denen einer wie der andere ist, und bewegt sich nur, wenn Blasen von einem Grund aufsteigen, den niemand sieht. Euch gehorchen die Wehrhüter, und Ihr habt dafür gesorgt, dass ich vom Wald an den Fuß der Berge gebracht wurde. Auch an Mutter erinnere ich mich. Wie sollte ich sie jemals vergessen können? Sie war ja die ganze Zeit an meiner Seite.“
„Ach ja, ich vergaß“, sagte Sumpfwasser, und eine Wolke des Unmuts zog über sein Gesicht. „Du nanntest diese Frau ‚Mutter‘, obwohl sie es nicht war. Und meinen Namen scheinst du mit dem zu verwechseln, was er beschreibt. Doch ist das in diesem Augenblick ohne Bedeutung. Ich bin gekommen, weil ich dich brauche und daher deine Bringschuld einfordere. Bist du dazu bereit?“
Tamalone biss sich auf die Lippen. Sie war sich keiner Bringschuld bewusst. „Wie geht es Mutter?“, presste sie heraus. „Ich erinnere mich, wie Ihr und Mutter mich hergebracht habt. Ihr seid sofort wieder gegangen. Mutter ist geblieben. Mit ihr zusammen zu sein, war die schönste Zeit meines Lebens. Bis auch sie mich plötzlich verließ. Sagt mir, war es meine Schuld, dass sie ging? Ist das die Schuld, die Ihr einfordert? Oder war sie meiner überdrüssig? Wenn jemand weiß, was damals passiert ist, dann seid Ihr das.“ Mit dem Mut der Verzweiflung setzte sie noch hinzu: „Und wer ist mein Vater?“
Sie sah Sumpfwasser zusammenzucken, wie sich sein Rücken versteifte. Doch schnell fand er zu seinem alten Selbst zurück.
„Wenn es dir hilft, darfst du mich ‚Vater‘ nennen. Ich bin dein Vater, wie ‚Mutter‘ deine Mutter ist. Es liegt nichts Böses darin, sie so zu nennen, denn sie liebte dich und hat sich um dich gekümmert. So wie auch ich, aber ich tat es eher aus der Ferne.“ Für einen Moment schloss Sumpfwasser die Augen, um einen Anflug von Mitleid abzuwehren und sich zur Ordnung zu rufen. Du bist nur ein Werkzeug und mein Geschöpf, dachte er. Dafür habe ich dich vor den Wehrhütern gerettet. Und auch „Mutter“, wie du deine Beschützerin nennst, ist nicht mehr als mein Werkzeug.
„Dein leiblicher Vater ist ein Mensch reines Blutes und mir unbekannt“, fuhr er fort. „Und deine leibliche Mutter war eine Unreine wie du. Aber an sie könntest du dich vielleicht noch erinnern. Du warst drei oder vier Jahre alt, als sie weggebracht wurde.“
Tamalone konnte sich an jemanden erinnern, der sich um sie gekümmert hatte, bevor Mutter es tat. Sie schloss ihre Augen, aber das half ihr nicht. Sie spürte noch eine entfernte Wärme, Hände, die sie streichelten und hielten, aber die lange Zeit hatte alle Bilder zerstört.
„Mutter sollte auf dich aufpassen, bis du groß genug warst und allein zurechtkommen konntest. Und sie sollte dich ausbilden. Irgendwann gab ich ihr eine neue Aufgabe. Aber jetzt habe ich lange Zeit nichts mehr von ihr gehört und angefangen, mir Sorgen um sie zu machen.“
Tamalone konnte sich nicht daran erinnern, von Mutter zu irgendetwas ausgebildet worden zu sein. Zur Sauberkeit hatte sie sie erzogen. Wenn sie irgendwo gespielt hatte, musste sie hinterher immer alles aufräumen und abwischen. Das Spiel hieß: „Wir sind niemals hier gewesen.“ Als sie angefangen hatte, bunte Steine zu sammeln, musste sie zuerst ein verstecktes Lager anlegen, in dem sie die Steine aufbewahrte, und dann lernen, einen gefundenen Stein so zu entfernen, dass sein Fehlen niemandem auffiel. Sie hatte es gern gespielt und war gut darin gewesen. Sie hatte immer alles richtig gemacht. Und doch war „Mutter“ gegangen und nicht wiedergekommen. Jetzt wusste sie warum. Weil Sumpfwasser sie fortgeschickt hatte. Sie spürte den Schmerz in ihrer Kehle aufsteigen. Mutter hatte sich noch nicht einmal von ihr verabschiedet. Oder vielleicht doch? Da war etwas in ihren Erinnerungen, das gar nicht dahin gehörte. Mutter war noch einmal zurückgekommen. Oder nicht? Sie war sich ihrer eigenen Erinnerungen nicht mehr sicher. Als sie dann fragte: „Und jetzt soll ich an ihre Stelle treten?“, erschrak sie vor ihrer eigenen Stimme und wie kalt diese plötzlich klang. Aber das Grübeln stellte sie erst einmal ein.
„Nein“, sagte Sumpfwasser so ruhig, als ob er Tamalones plötzliche Veränderung gar nicht bemerkt hätte. „Das wäre zu viel verlangt von СКАЧАТЬ