Название: Nur ein Viertel Elfenblut
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591805
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„Wenn ich einen Drachen fliegen sehe, habe ich immer den Eindruck, ich würde Magie atmen. Kein Vogel fliegt so wie ein Drache“, sagte Maitrieb, erster Jäger unter Bork.
„Wie fliegt denn ein Drache?“, wollte Lind wissen.
„Hast du es nicht gesehen? Majestätisch, magisch, überirdisch, in einem Schwall himmlischer Klänge. Such dir etwas aus, mein Junge. Man müsste ein Dichter sein, um es zu beschreiben.“
Lufthauch hörte die Worte. Er hatte nichts davon erlebt. Größe hatte er gesehen. Aber himmlische Klänge? Seine Ohren hatten ihm nur Kriegslärm gemeldet.
„He, was ist los mit dir, Waldläufer?“, rief Bork jetzt schon das zweite Mal. Aber die Antwort konnte Lufthauch sich ersparen, denn Bork hatte kaum gesprochen, als die Zweige der Büsche wie wild um sich schlugen und ein zweiter Drache auftauchte. Er bemühte sich gar nicht erst abzuheben und ließ hinter sich einen Pfad der Zerstörung zurück. Der rechte Flügel musste der Grund für dieses merkwürdige Verhalten sein. Er klebte am Körper fest. Gelähmt oder früher einmal gebrochen und die Knochen falsch zusammengewachsen. Obwohl Lufthauch noch nie gehört hatte, dass Drachenknochen überhaupt brechen konnten. Dieser Drache schien älter zu sein als der erste und größer. Seine Schuppen glänzten matt wie polierter Stahl im Morgennebel mit einem leicht rötlichen Schleier der Morgensonne darüber. Oder wie Flugrost auf einer verlorenen gegangenen Klinge, die zu spät wiedergefunden wurde, dachte Lufthauch. Mit jedem stampfenden Schritt bohrten sich die Krallen in den Boden. Die mächtige Brust und der hängende Bauch blähten sich bei jedem Atemzug auf, und aus dem halbgeöffneten Rachen fegte ein Sturmwind heraus, der Büsche und Bäume zu einer demütigen Verbeugung zwang. Lufthauch war froh, dass der Drache kein Feuer spie. Zwei Drachen. Zwei Kräfte. Zwei unterschiedliche Meinungen. Lufthauch verstand plötzlich seine Panik und den Kriegslärm. Die beiden hatten miteinander gestritten. Da war er sich sicher.
He, konnten Drachen Gedanken lesen? Oder warum war das mächtige Tier plötzlich stehen geblieben, bog nun seinen Hals und schaute ihn an? Aus Drachenaugen, die keinen fremden Willen zuließen. Der Waldläufer wollte dem Drachen zuzuwinken, freundlich tun, aber er konnte die Hand nicht heben und musste tatenlos zuschauen, wie der Drache und zu ihm sprach. Denn ganz offensichtlich tat er das, auch wenn Lufthauch nichts hörte. Und mit jedem Wort, das das Drachenmaul verließ, legte sich eine weitere Schicht Magie über die Landschaft, bis Lufthauch am Ende nicht mehr erkennen konnte, was wirklich und was Illusion war.
„Hoah, schon wieder der Dr-Dr-Drache“, stotterte Lind. „Und jetzt ganz nahe.“
„Das waren zwei Drachen, Lind“, sagte Maitrieb, dessen Blick sich wieder klärte, und legte dem jungen Jäger die Hand auf die Schulter. „Hast du nicht gesehen? Der erste ist weggeflogen und der zweite hatte einen lahmen Flügel. Unser Volk kennt ihn gut. Es gibt viele Geschichten über Kriecher, den Drachen.“
„Kein Drache sollte Kriecher heißen“, sagte Bork. „Auch dann nicht, wenn ein Flügel verkrüppelt ist. Drachen sind Götter.“
Immergrün lächelte verächtlich. „Die Götter sind tot. Wisst Ihr das nicht, Truppführerin Bork?“
Die Trugbilder schwanden mit jedem Schritt des davonstampfenden Drachen, bis er noch einmal stehenblieb und über die Schulter zurückblickte. Lufthauch war sich sicher, dass Kriecher nur seinetwegen stehen blieb. Der Drachenkopf wurde kleiner, runder und zu dem einer jungen Frau. Das Bild blieb verschwommen. Er konnte nicht sagen, ob es das Gesicht einer Elfe oder eines Menschen war. Mit dem Bild kam ein Gefühl, dass es nichts auf der Welt gab, was für ihn wichtiger war als diese Frau. „Noch nie gesehen“, wollte er sagen, bekam aber kein Wort heraus.
Offensichtlich war er der Einzige, der dieses Trugbild gesehen hatte, denn die anderen redeten einfach weiter, als wäre nichts geschehen. Lind sagte: „Ich habe noch nie in meinem Leben einen Drachen gesehen. Und jetzt gleich zwei.“
Bork traf einen Entschluss. „Kehren wir um Männer. Hier suchen wir nicht weiter. Wir sind Zeugen von etwas wirklich Großartigem geworden. Gehen wir stattdessen den Waldrand entlang und halten die Augen offen. Müsste doch mit den Baumgeistern zugehen, wenn sich dort nicht der eine oder andere dreckige Blutschänder herumtreiben würde. Den nehmen wir dann gleich mit.“
Sie wurden immer mehr, diese Kinder einer unerlaubten Beziehung zwischen Elf und Mensch. Und auch die Erde zitterte immer häufiger. Dazu noch die … Warum musste Lufthauch auf einmal wieder an das Ende der Welt denken?
Lufthauch
„Die Reinheit der Rasse ist heilig.“
„Und heilig das Leben, wenn Vernunft es erfüllt. Setz dich, Lufthauch.“
Lufthauch schaute sich um. Es gab hier nur einen Stuhl. Der befand sich auf der anderen Seite eines Tisches, und Sumpfwasser saß darauf. Keine Hocker, und es fehlten auch von Magie kunstvoll herbeigebogene Äste, die sich als Sitzgelegenheit nutzen ließen. Da hingen nur diese vier geflochtenen Körbe an dünnen Ketten von der Decke herab. Saß man erst einmal in diesen Halbkugeln, kam man nur schwer wieder heraus. Jeder Waldläuferinstinkt musste bei diesem Anblick aufschreien. Als er sich dann tatsächlich setzte, tat er das linkisch und umständlicher, als es seine Art war. Ich muss mir Zeit lassen, darf nichts überstürzen.
Dass die Wehrhüter Lufthauch riefen, war nicht ungewöhnlich. Er hatte schon mehrfach kleinere Aufträge übertragen bekommen. Aber hier saß ihm nicht irgendwer gegenüber, sondern der Erste Berater des Großen Elfenrates. Der stand für alles, womit sich der Rat beschäftigte, und noch Etliches mehr. Er war das Machtzentrum des Elfenvolkes. Wie konnte ein einzelner Mann nur so viel Macht in sich vereinigen? Und, vor allem, was konnte dieser Mann ausgerechnet von ihm wollen? Wie soll ich mich geben? Etwas untertänig, oder besser eifrig? Nein, besser gleichgültig, denn Gleichgültigkeit … Bevor Lufthauch zu einer Entscheidung gelangen konnte, berührten seine Beinkleider bereits die verflochtenen Äste der Korbkugel und er saß. Sumpfwasser hingegen war aufgestanden, hatte ihm den Rücken zugekehrt und schaute über die Wipfel der Bäume. Ein Anblick, den er nur deswegen genießen konnte, weil sich der Arbeitsplatz eines Ersten Beraters selbstverständlich in der höchsten Baumkrone befand. Das wirkte alles nicht richtig hier. Lufthauch drängte es danach, wieder aufzustehen.
Die leisen Geräusche der Korbkugeln verrieten Sumpfwasser das Unbehagen seines Gastes. Betont gelassen kehrte er an seinen Platz zurück. Er schaute durch Lufthauchs Unsicherheit hindurch wie durch ein schlecht geknüpftes Spinnennetz. Unsicherheit führte leicht zu einem unberechenbaren Verhalten. Und nichts konnte er im Augenblick so wenig gebrauchen wie Unberechenbarkeit. Hoffentlich habe ich mich nicht in dir getäuscht, mein Junge, dachte er und versuchte sich an einem Lächeln. Es gelang ihm nur deshalb, weil es sich über eine Andeutung nicht hinaus traute. „Du bist also der, den man den Waldläufer nennt“, sagte er. „Ich habe viel von dir gehört.“
„Ein Name ohne Bedeutung. Sind nicht alle Elfen Waldläufer?“
Angriff, Abwehr, Gegenstoß. Dieser Lufthauch war schnell und gespannt wie ein Jagdbogen vor dem Schuss. Es würde nicht einfach werden, zu dem einzigen Punkt zu kommen, um den es wirklich ging. Für einen Moment herrschte Stille in dem luftigen Wipfel. Die Sonne zeichnete Kringel auf den Anzug des jungen Mannes. Der Wind musste draußen etwas aufgefrischt sein, er brachte jetzt die Luft im Raum ebenfalls in СКАЧАТЬ