Название: Nur ein Viertel Elfenblut
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591805
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Lufthauch atmete lang und tief ein und rief seinen Verstand zur Hilfe. Wir befinden uns in der Halle der Baumriesen. Dieses Stück Wald ist älter als die Zeit und besitzt eine besondere Magie, die alles beschützt, was sich zwischen den Stämmen und unter dem Blätterdach aufhält. Niemand wird uns hier etwas antun können. Die Wurzeln der Bäume reichen tief, bis ins Erdinnere, und ihre Magie ist der der Drachen ebenbürtig. Warum also zog sich ihm das Herz zusammen?
Ein bisschen Staub, der in einem einzelnen Sonnenstrahl schwebte, gab ihm die Antwort. Es ist der Wind! Es muss der Wind sein. Ich spüre ihn nicht. Um diese Tageszeit müsste sich die Luft aus dem Wald hinaus in das offene Gelände der Drachenberge bewegen. Tut sie aber nicht, verhält sich still, als hätte sie vor etwas Angst, das draußen auf sie wartet. Auch die Vögel sind verstummt. Die lärmenden Wächter in den Büschen, Sträuchern und Krummhölzern der Drachenberge. Sie hörte man immer bis weit in den Wald hinein. Aber heute sind sie still. Lufthauch war, als würde die Halle der Baumriesen belagert.
Was für ein Unsinn. Wer soll denn die Halle der Baumriesen belagern? Lufthauch wischte sich über die Stirn. Sie war nass von kaltem Schweiß, obwohl die Pirsch noch gar nicht richtig begonnen hatte. Vielleicht haben wir Glück und finden einen Wildwechsel. Dass wir endlich hier wegkommen. Als wäre seine Bitte erhört worden, erklang plötzlich ein Ruf. Dann ging alles schneller als erwartet. „Durchgang hier!“, rief eine Stimme, und der Trupp setzte sich in Bewegung.
Ein paar letzte Schritte, dann waren sie aus dem Wald heraus. Lufthauch schloss die Augen, als ihn das grelle Licht blendete, und hielt für einen Moment die Luft an. Ab hier begann eine andere Welt. Sonnenschein, wo vorher Dämmerlicht herrschte. Ein brausender Wind, der so hartnäckig aus einer einzigen Richtung blies, dass man den Kopf ständig bewegen musste, wenn man auf beiden Ohren hören wollte. Und unter den Füßen eine neue Härte, die dem Wanderer einen anderen Schritt abverlangte. Ich sollte mich wohl besser an die Spitze des Trupps setzen, dachte er. Aber irgendetwas hielt ihn zurück, und die Unruhe in seinem Herzen wollte sich nicht legen.
„Wir sind zu weit“, hörte er Lind in einer Lautstärke trompeten, der sich niemand entziehen konnte. Lind war neu in der Gruppe. Der junge Wehrhüter, bei dem das Mundwerk schneller war als der Verstand, war heute gerade erst auf seinem zweiten Patrouillengang. Aber dieses Ungestüm würde Bork ihm schon austreiben.
„Sag mir, Lind, was ist nah, was ist weit und was ist zu weit.“
Na also. Bork legte schon los. Lind stellte die Sicherung seines Gewehrs mit der großen Revolvertrommel von schwergängig auf Sperrung und legte es sich über die Schulter. „Zu weit ist, wenn wir Elfenland verlassen haben. Was da vor uns liegt, gehört schon zum Gebiet der Drachen, Truppführerin.“
„Weißt du, warum wir hier sind, Klugscheißer Lind?“
„Wir sollen in den Drachenbergen Gestaltwandler und Mischblüter fangen, Truppführerin.“
„Richtig, Lind. In den Drachenbergen. Und der Befehl dazu erging direkt vom Elfenrat. Stimmt doch, Immergrün, oder sollte ich da falsch unterrichtet worden sein?“
Lufthauch schaute unwillkürlich von Lind zu Immergrün und grinste. Das musste man Bork lassen. Sie wusste, wie es ging. Erst stauchte sie Lind zusammen und dann nahm sie ihn aus der Schusslinie, indem sie die Aufmerksamkeit auf Immergrün lenkte. Auch diesen Mann sah er heute zum ersten Mal. Er wusste über ihn nur, dass der Elfenrat ihn als Beobachter abgestellt hatte. Ihn mitnehmen zu müssen, passte Bork gar nicht, aber sie war klug genug, sich nichts anmerken zu lassen. Dieser Immergrün lief in einem grob gewirkten Nesselanzug herum, mit dem er überall hängen blieb und so ständig für kleinere Verzögerungen sorgte. Immerhin war er klug genug gewesen, sich ein Paar vernünftiger Schuhe anzuziehen. Bork gab ihm jetzt die Aufmerksamkeit, auf die er gern verzichtet hätte. Wer sich bei ihr für besonders hielt, wurde schnell ins Bein gebissen.
„Vom Elfenrat oder von seinem Ersten Berater, was auf dasselbe hinausläuft“, beantwortete Immergrün Borks Frage, und Lufthauchs Grinsen wurde noch breiter.
„Zufrieden, Lind?“, bellte Truppführerin Bork.
„Ja, aber …“
„Kein aber, Lind. Schluss jetzt. Und Lufthauch, solltet Ihr nicht besser an die Spitze gehen?“
Lufthauch straffte sich. Recht hatte sie. Da gehörte er eigentlich hin. Aber heute war ein verquerer Tag. Das fing schon mit dem Sonnenlicht an, das seine Augen ungewohnt reizte. Und trotz der Sonne war ihm kalt geworden. Die Bergluft schnitt ihm bei jedem Atemzug in die Lungen. Der reiche Duft des Waldes war der Reinheit der Höhe gewichen und roch nach – er sog die Luft ein und staunte – sie roch nach nichts. Wie war es möglich, dass man sich so voller Leben fühlte und gleichzeitig innen so leer war? Er legte die Hand auf seine Brust. Sein Herz schlug ruhig und kräftig. Er horchte tiefer in sich hinein. Es war nicht er selbst, der zu zittern begonnen hatte. Es war die Erde. Sie schüttelte die Büsche durch und rumpelte in der Tiefe, als ob sie Verdauungsstörungen hätte. Aus dem Zittern wurde ein Rütteln, und Lufthauch verlor sein Gleichgewicht endgültig. Er wankte, ging in die Knie und hielt sich an einem Busch fest. Keine gute Idee. Der Busch gab nach und Lufthauch fiel auf die Seite.
„Lufthauch, alles in Ordnung mit Euch?“
Der Waldläufer rappelte sich wieder hoch. Das fehlte jetzt noch, dass er sich vor den anderen zum Gespött machte. War er denn der Einzige, der hier litt? Er schaute in die Augen seiner Gefährten und fand nur vorsichtige Neugier und etwas Belustigung. War wohl einfach nicht sein Tag. Die Worte kamen ihm etwas stockend, als er sich um eine Antwort bemühte. „Wird schwierig. Wir sind hier am Ende …“
„… der Welt?“, fragte Bork und lachte.
„Nein, nicht der Welt. Nur des Waldes“, sagte Lufthauch, dem im Augenblick der Sinn für Spaß abhanden gekommen war. Er hatte Mühe seine aufkommende Panik zu zügeln, als er verstand, dass Bork genau das ausgesprochen hatte, was er fürchtete. Das Ende der Welt. Als wenn es morgen all das hier nicht mehr gäbe. Es ist ein Fehler gewesen, das Land der Drachen zu betreten, dachte er und fühlte die Panik in sich wachsen. Hier können wir nicht überleben. Wir hätten den Wald niemals verlassen dürfen. Der Wald ist unsere Heimat. Wir müssen unbedingt …
Äste brachen, Ein Schrei voller Entsetzen und Todesangst. Windteufel zerrissen die Luft, fügten sie wieder zusammen und ließen sie um sich herumwirbeln. Abgerissene Blätter, Dreck, kleine Steine flogen durch die Luft. Lufthauch schlug die Hände vors Gesicht. Dann ein Kreischen, das die Herzen stillstehen und das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein dumpfer Rhythmus schwer schlagender Flügel. Lufthauch ließ die Arme sinken und sah einen massigen Körper aus den Büschen aufsteigen. Die Sonnenstrahlen brachen sich in dem Schuppenpanzer. Der Hals machte sich lang, das Maul öffnete sich und blies Feuer. Ein Drache! Der erste, den er je aus der Nähe gesehen hatte.
Wie gelähmt vor Angst und Faszination sah Lufthauch dem Drachen hinterher, verfolgte seinen Flug zur Sonne. Für einen Moment erschien es ihm, als würde der glühende Ball im nächsten Moment verschluckt werden, doch dann wurde die Silhouette kleiner, und der Drache glitt in einem weichen Schwung über Bergrücken und Täler, bevor er irgendwo im Dunst verblasste. Lufthauchs Panik verschwand mit ihm. „Danke“, wollte er dem Drachen nachrufen, doch das Einzige, was er zustande brachte, war ein schmalbrüstiger Laut von Trauer und Enttäuschung. Das Tier war fort und hatte seine Magie mitgenommen, СКАЧАТЬ