Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle
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Название: Der Weg der verlorenen Träume

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783958131354

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СКАЧАТЬ fänden. Eine Verbindungstür führte von ihrem Raum in das Schneiderzimmer. Mit einer breiten, nach Westen ausgerichteten Fensterfront war es lichtdurchflutet, und mit einem großen Tisch, einer modernen Nähmaschine und allem, von dem Hedwigs Schneiderherz träumte, eingerichtet.

      »Meine Schneiderinnen fertigen immer im Haus«, erklärte Marianne Kosin, die Gräfin von Duwensee. »Wenn Sie noch etwas benötigen sollten, lassen Sie es mich bitte wissen oder wenden sich an die Haushälterin Frau Brenneke oder an Gerda.«

      Gerda war eines der Hausmädchen, die auch für die Ordnung und Sauberkeit in Hedwigs Zimmer verantwortlich war. Das war Hedwig furchtbar peinlich, allein schon, als Gerda ihre Kleidung auspacken und in den Schrank hängen wollte.

      »Das ist sehr freundlich, Frau Gräfin, ich bin es aber gewohnt, meine Sachen selbst in Ordnung zu halten«, antwortete Hedwig diplomatisch. »Ich bin kein Gast in Ihrem Haus, sondern Ihre Angestellte.«

      Die Gräfin lächelte ihr freundlich zu und erwiderte: »Sie sollen es so angenehm wie möglich haben, Fräulein Mahnstein, denn ich erwarte von Ihnen eine gute und anständige Arbeit, auf die Sie sich ohne Ablenkung zu konzentrieren haben.«

      Alexander Kosin hielt sich tatsächlich nicht auf Schloss Duwensee auf, was Hedwig sehr erleichterte. Die Mahlzeiten nahm Hedwig allein in ihrem Zimmer ein, und in der ersten Woche saßen sie und die Gräfin stundenlang zusammen, um aus Modemagazinen verschiedene Modelle herauszusuchen, die Stoffe und alles Notwendige zu bestellen. Marianne Kosin war eine angenehme Kundin. Beim Maßnehmen stand sie ruhig, ließ sich von Hedwig beraten und folgte deren Vorschlägen, wenn Hedwig meinte, an einem Schnittmuster Änderungen vorzunehmen.

      In ihren freien Stunden spazierte Hedwig durch den weitläufigen Park mit dem alten Baumbestand und einem kleinen Teich. Der Winter war nun, Anfang Dezember, schnell über Masuren hereingebrochen. In Hedwigs erster Woche schneite es fast ohne Unterlass, dann sanken die Temperaturen auf minus zwanzig Grad, und die Sonne schien, sodass die Landschaft unter einer weißen Haube verschwand. Die Kamine im Schloss wurden gut geheizt, in Hedwigs Bad kam das warme Wasser direkt aus dem Hahn, und manchmal genoss sie ein abendliches Schaumbad. Hedwig dachte darüber nach, dass es durchaus Vorteile hatte, adliger Herkunft und darüber hinaus noch vermögend zu sein. Wenn Geld allein auch nicht glücklich machte – es erleichterte so manches. Ihrer Schwester Luise schrieb sie regelmäßig, auch einmal ihrer Mutter. Wie während ihres Aufenthaltes in Allenstein erhielt sie wieder keine Antwort.

      Als eines Nachmittags Gerda meldete, ein Herr wünsche sie zu sprechen und Albert hinter ihr in das Schneiderzimmer trat, sprang Hedwig überrascht auf.

      »Du?«

      Er grinste und wirkte verlegen.

      »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich morgen nach Cranz reisen und den restlichen Winter dort verbringen werde.«

      »Dann hast du das Engagement in der Kapelle tatsächlich erhalten«, sagte Hedwig. »Ich freue mich für dich.«

      »Ich wurde sogar zum Kapellmeister ernannt, und wir nehmen eigene Kompositionen in unser Repertoire auf, und ...« Er zögerte, rieb sich über den Nasenrücken und stieß dann hervor: »Es tut mir leid, was bei dem Ball passiert ist. Du hattest recht, du passt nicht zu diesen Menschen, denn du bist viel zu gut für die. Es freut mich aber, dass du hier bist, und Alex meint, seine Mutter habe ihm geschrieben, sie wäre von deiner Arbeit begeistert.«

      »Danke«, antwortete Hedwig schlicht. »Dieser Auftrag ist wirklich ein Glückfall für mich.«

      »Tja, dann ....« Albert trat vor, streckte seine Hand aus, die Hedwig jedoch ignorierte. »Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen werden. Darf ich dich zum Abschied küssen?«

      »Ich wüsste nicht, warum.«

      »Ach komm, Hedi, sei nicht so streng mit mir.« In seinen Augen schimmerte ein dunkler Glanz. als er sie schmeichelnd ansah. »Wir sind doch noch Freunde, oder? Und einen alten Freund lässt man nicht ohne Abschiedskuss in die Fremde ziehen.«

      »Das Ostseebad Cranz befindet sich nicht gerade in der Fremde«, bemerkte Hedwig und musste nun doch lächeln. »Du gehst ja nicht nach Amerika oder Afrika, sondern bleibst in Ostpreußen. Außerdem wirst du zurückkommen, schon, um deine Eltern zu besuchen.«

      »Es sind nicht meine Eltern, die mich nach Sensburg ziehen«, murmelte er. Hedwig ließ es zu, dass er eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Dutt gelöst hatte, um den Finger wickelte. Er stand dicht vor ihr, sie roch den herben Duft seines Rasierwassers, sein warmer Atem streifte ihre Wange. Sie wies ihn nicht zurück, als sich seine Lippen auf ihren Mund legten. Wie immer, wenn Albert sie küsste, hatte sie das Gefühl, sich aus ihrem Körper zu lösen und über sich zu schweben. Schwach erinnerte sie sich an ihre Behauptung gegenüber Luise, als sie betont hatte, in Albert nicht verliebt zu sein. Warum verwarf sie diese Meinung jedes Mal, wenn sie in seinen Armen lag?

      Seine Küsse wurden fordernder, und er nestelte an den Knöpfen ihrer Bluse.

      »Albert, nein ... nicht«, stammelte Hedwig.

      »Die Gräfin ist mit dem Pferdeschlitten ausgefahren«, hauchte er an ihrem Ohr, »das Mädchen ist einkaufen, und die Haushälterin werkelt unten in der Küche. Es wird uns niemand stören. Komm schon, Hedi, irgendwann muss es einfach sein, und wer weiß, wann wir uns wiedersehen werden. Lass mich mit einer schönen Erinnerung fortgehen.«

      In Hedwig stritten die unterschiedlichsten Gefühle, als Albert sie einfach auf die Arme nahm, als wöge sie nicht mehr als eine Feder, und in ihr Schlafzimmer trug. Ihr Vater hatte es ihr vorgeworfen und sogar geschlagen, weil er meinte, sie habe sich mit Albert eingelassen, ohne ihr die Chance einer Verteidigung zu geben, und hatte sie als Hure beschimpft. Nun gut, dann sollte Hermann Mahnstein seine Meinung bestätigt haben!

      Teils aus Leidenschaft, teils aus Trotz gegenüber ihrem Vater wurde Hedwig an diesem Vormittag die Geliebte von Albert von Dombrowski.

      Das Frühjahr war immer Hedwigs liebste Jahreszeit gewesen. Wenn die Tage länger wurden, wenn die Starre des harten Winters langsam wich, das Eis auf den Seen und Flüssen taute, wenn sich Scharen von Krähen auf den Feldern sammelten, deren schwarze Erde unter dem schmutzig-grauen Schnee hervorschimmerte, und wenn die ersten Störche am Himmelszelt auf der Suche nach geeigneten Nistplätzen ihre Kreise zogen – dann war es Hedwig, als würde auch sie zu neuem Leben erwachen. Sie benötigte keinen Wecker. Bei Morgengrauen sprang sie ausgeruht aus den Federn, die Arbeit ging ihr leicht von der Hand, und mit jedem Atemzug sog sie die liebliche, reine Frühlingsluft ein.

      An diesem Morgen stützte Hedwig sich mit den Händen auf den Schüttstein und starrte ihr Spiegelbild an. Die Frau, die sie darin erblickte, schien ihr fremd zu sein. Stumpfes Haar umrahmte ein fahles Gesicht mit einem spitzen Kinn, die Augen gräulich umschattet. Sie zitterte, dann würgte sie und der Mageninhalt stieg in ihre Kehle, dabei hatte sie heute Morgen außer einem Glas Wasser nichts zu sich genommen. Sie spuckte bittere Galle in das Abflussbecken, die Übelkeit wollte aber nicht weichen. Ihre Beine zitterten, sie fröstelte und fühlte sich, als hätte sie ganze Nacht über in einem Steinbruch gearbeitet.

      Langsam löste sie ihre Hände von dem Schüttstein und legte sie auf ihre Brüste. Diese leichte Berührung verursachte ihr Schmerzen. Dann wanderten ihre Hände weiter nach unten und Hedwig war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Bisher hatte sie ihre Beschwerden vor der Familie verbergen können, denn im Laufe des Tages verging die Übelkeit und in ihre Wangen kehrte die Farbe zurück. Die Eltern und Geschwister waren ohnehin viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, was mit Hedwig los war. Der lange Winter hatte Auguste Mahnsteins Zustand verschlechtert, ihr Bruder Siggi hatte wochenlang gehustet СКАЧАТЬ