Der Weg der verlorenen Träume. Rebecca Michéle
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Название: Der Weg der verlorenen Träume

Автор: Rebecca Michéle

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783958131354

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      Auguste seufzte, als läge alle Last dieser Welt auf ihren Schultern. »Wir müssen auf Gott vertrauen, er weiß, welcher Weg für uns der Richtige ist und wird uns führen.«

      Wenn Auguste keine andere Antwort wusste, berief sie sich auf Gott. Im vergangenen Jahr war sie noch gläubiger geworden. Um das Thema zu wechseln, fragte Hedwig:

      »Wo ist eigentlich mein kleiner Bruder? Siggi hat mich noch gar nicht begrüßt.«

      Das erste Lächeln des Tages zog über Augustes Gesicht.

      »Er ist bei Tante Martha. In den letzten Monaten war sie mir eine große Hilfe, denn ich bin einfach zu alt, um ein Kleinkind aufzuziehen, aber jetzt ...« Vielsagend sah sie ihre Tochter an, und Hedwig verstand. Durch die Meisterschule hatte sich nichts geändert, und ihre Träume einer Selbstständigkeit würden wohl niemals Realität werden.

      Verdutzt drehte Hedwig den elfenbeinfarbenen Umschlag zwischen den Fingern. In einer zierlichen, klaren Schrift war der Brief an sie adressiert. Wer schrieb ihr auf solch feinem Papier? Mit dem Fingernagel ritzte Hedwig den Umschlag auf und zog eine Karte heraus.

      Zu dem jährlichen Winterball auf Schloss Duwensee am 13. November laden wir Sie herzlichst ein.

      Marianne von Kosin, Gräfin zu Duwensee

      Es konnte sich nur um einen Irrtum handeln, denn Hedwig kannte weder die Gräfin noch sonst jemanden, der mit der Familie in Verbindung stand. Das herrschaftliche Anwesen lag etwa zwölf Kilometer südwestlich von Sensburg, und Hedwig war überhaupt noch nie in dieser Gegend gewesen. Sie drehte die Karte um und schmunzelte, als sie auf der Rückseite die hingekritzelten Worte las:

      Ich hole Dich um fünf Uhr ab, zieh was Hübsches an. A.

      Sie fragte sich, wie es Albert gelungen war, eine Einladung zum Ball auf Schloss Duwensee zu bekommen, dazu noch, dass man auch sie, Hedwig, einlud. Es war aber gleichgültig, denn sie würde auf keinen Fall hingehen. Nicht nur, dass sie mit dieser Gesellschaft nichts zu tun hatte – sie hatte nicht die passende Garderobe für einen solchen Anlass, und die Zeit, sich etwas Entsprechendes zu nähen, war zu knapp.

      Sie ging in ihr Zimmer, nahm Papier und den Füllfederhalter und schrieb an Albert, der sich noch in Allenstein aufhielt, bedankte sich für die Einladung und meinte, es wäre ihr leider unmöglich, diese anzunehmen. Den Brief brachte Hedwig noch am selben Tag zur Poststation.

      Seine Antwort kam postwendend und, wie so oft, ließ er Hedwigs Absage nicht gelten und schrieb, er stehe an dem besagten Tag vor ihrer Tür – sollte sie bereit sein oder nicht.

      Luise war die Einzige, mit der Hedwig über Albert sprechen konnte. Auch wenn die Schwester sechs Jahre jünger war, wirkte sie erfahren und reif, und Luise sagte auch prompt: »Was will der Dombrowski von dir und, vor allen Dingen, was willst du von ihm, Hedi?«

      »Wir sind nur Freunde«, antwortete Hedwig ausweichend. »Ohne Alberts Hilfe hätte ich nie die Meisterschule besuchen können.«

      Luise sah ihre Schwester aufmerksam an und meinte: »Wenn du zu dem Ball gehen willst, dann mach es. Bei dieser Gelegenheit könntest du Kontakte knüpfen, die dir neue Kunden bescheren. Das Schloss liegt von Sensburg nicht allzu weit entfernt.«

      Hedwig lachte schallend. »Eine Gräfin von Duwensee oder jemand aus deren Bekanntenkreis wird wohl kaum bei einer einfachen Provinzschneiderin ihre Garderobe anfertigen lassen.«

      »Einer Schneidermeisterin«, erinnerte Luise ihre Schwester mit mahnend erhobenem Zeigefinger. »Du fertigst wunderbare Kreationen an, Hedi. Um die Bluse, die du mir aus dem alten Stoff, den Frau Wichmann mir freundlicherweise überlassen hat, genäht hast, beneidet mich jeder.«

      Die Schwester übertrieb nicht. Kaum, dass Luise das Kleidungsstück getragen hatte, war Frau Wichmann zu Hedwig gekommen und hatte um eine ähnliche Bluse gebeten. Als Beamter im Schuldienst war Herr Wichmann finanziell gut gestellt, sodass Hedwig für diese Arbeit einen anständigen Lohn erhielt. Zwei Tage später kam die Cousine von Frau Wichmann zu Hedwig, dann deren Nachbarin. In den vier Wochen seit Hedwigs Heimkehr hatte sie bereits drei neue Kundinnen gewonnen. Hermann Mahnstein konnte sich nicht länger dagegen verwehren, dass seine Tochter eine anerkannte Schneiderin war, was auch zusätzliches Geld in die Haushaltskasse spülte.

      Hedwigs Tagwerk begann bei Sonnenaufgang. Sie versorgte die Hühner und sammelte die Eier ein, bereitete das Frühstück zu, weckte ihre Geschwister, kontrollierte, ob Anna und Fritz ordentlich gewaschen und angezogen waren, schickte sie zur Schule, erledigte dann die Hausarbeit und kümmerte sich um Siggi, der ihr auf seinen kurzen, strammen Beinen überall hin nachlief und ständig beschäftigt werden wollte. Anna, inzwischen fünfzehn Jahre alt, hatte sich im letzten Jahr gut entwickelt. Aus dem zarten, oft kränkelnden Mädchen war eine hübsche und gesunde junge Frau geworden. Anna war nicht nur die Attraktivste der Mahnsteinschwestern, sondern auch die Klügste.

      Bedingt durch ihre frühere Schwäche hatte Anna ihre Nase ständig in Bücher gesteckt, sie lernte gern und leicht, sodass die Schule eine Empfehlung für die höhere Mädchenschule ausgesprochen hatte. Erfreulicherweise hatte Hermann Mahnstein keine Einwände erhoben, Hedwig wusste aber schon lange, dass Anna Vaters Liebling war. Sie war frei von Neid und liebte Anna ebenso wie alle ihre Geschwister. Nun ja, wenn Hedwig ehrlich zu sich war, dann empfand sie es als angenehm, dass Paula und ihre spitze Zunge in Königsberg gut aufgehoben waren, und Luise stand ihr am nächsten. Ihr Bruder Karl hatte die Universität abgeschlossen und eine Anstellung in der Fliegerschule am gegenüberliegenden Ufer des Schoß-Sees bekommen, bei der er als technischer Zeichner arbeitete. Auch Fritz machte sich Gedanken um seine Zukunft, er wollte einen Handwerksberuf erlernen, schwankte derzeit aber noch zwischen Schreiner und Maler und Lackierer.

      So war für alle gesorgt, nur ihre Mutter machte Hedwig zunehmend Kummer. Es gab Tage, an denen Auguste beinahe schmerzfrei war, dann kümmerte sie sich um den Haushalt, machte die Wäsche, kochte und buk. Immer öfter jedoch traten die Schübe auf, die Augustes Gelenke versteiften, an manchen Tagen konnte sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen. An ihren freien Tagen half Luise, worüber Hedwig sehr dankbar war, auch wenn sie die Schwester schalt, sie möge ihre Freizeit doch genießen und nicht auf allen vieren über den Boden kriechen, um die Bohlen zu schrubben.

      »Ich liebe die Hausarbeit und mache das sehr gern«, antwortete Luise eine Einstellung, die Hedwig nicht teilen konnte. Auch sie war eine gute Hausfrau, würde aber auch ohne Putzen und Wäschewaschen durchaus gut leben können.

      Skeptisch betrachtete Hedwig ihr Spiegelbild. Das Kleid aus dunkelblauer Spitze schmiegte sich eng um ihre Taille, bauschte sich dann über den Satinunterrock und endete knapp über den Knöcheln. Die Ärmel waren aus durchbrochenem Stoff geschneidert und ließen ihre helle Haut durchschimmern. Über das Dekolleté legte sie nun noch ein graues Tuch. Hedwig hatte ihre braunen Haare aufgesteckt, ein paar Strähnen aber erlaubt, sich in ihrem Nacken zu kringeln. Sie nahm die Brille ab und musste die Augen zusammenkneifen, um ihr Spiegelbild sehen zu können. Hedwig seufzte und setzte die Brille wieder auf. Sie würde nicht zugunsten der Schönheit halb blind durch die Gegend laufen und von dem Abend kaum etwas mitbekommen. Sie zupfte noch einmal das Schultertuch zurecht, dann trat sie zufrieden zurück. Das Sonntagskleid ihrer Mutter war Auguste seit ihrer letzten Schwangerschaft zu eng geworden, so hatte Hedwig es auf ihre Größe abgeändert. Der fließende Stoff umschmeichelte zwar ihre schlanke Figur, aber es war kein passendes Kleid für eine Abendgesellschaft in einem herrschaftlichen Schloss.

      Entschlossen straffte Hedwig die Schultern. Albert wusste über ihre Familie und ihre finanzielle Situation Bescheid, und wenn die anderen СКАЧАТЬ