Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ nahm den Kopf des Hingestreckten auf den Schoß. Vorsichtig lockerte er den Korkhelm, den der Kolbenhieb so tief eingetrieben hatte, daß er auch die Augen bedeckte. Sogleich, als er frei war, schlug Gabriel die Lider auf. Er glaubte nur geschlafen zu haben. Dies alles hatte sich ja in einer unwirklich kurzen Zeit abgespielt, in einer Zeit außerhalb der Zeit gleichsam. Allmählich erst spürte er das brennende Gewicht seines Schädels. Der Arzt fuhr leise über die Kopfhaut. Kein Blut. Nur eine große Beule. Doch vielleicht war durch den Hieb eine innere Verletzung erfolgt, eine Ader im Gehirn geplatzt. Bedros Hekim rief Gabriel sanft beim Namen. Dieser blickte ungläubig um sich und lächelte. Er begriff nichts. Ringsum die brennenden Hütten und das mächtige Feuer der Regierungsbaracke. Nun ja, die Bibliothek des Apothekers gab Brennstoff genug. Weinende Menschen, Bettlaken und Decken nachschleifend, rannten richtungslos durcheinander. Jetzt stürzten sich die Dorfpriester und Sänger, alle im Ornat, auf den zusammengesunkenen Altar, mitten in die Flammen, um die heiligen Geräte, Evangelium und Brevier zu retten. Gabriel selbst lag auf dem Schoß des alten Arztes, wo er als kleines Kind schon gelegen war. Eine recht trauliche Empfindung. Aber was bedeutete das? Dort, ein paar Schritte weiter, lag auch Ter Haigasun, und der Gemeindeschreiber von Yoghonoluk reichte ihm einen Krug Wasser. Die Brust des Priesters war nackt, und eine alte Frau behandelte sie mit nassen Tüchern. Gabriel sah den Alten unendlich erstaunt an: »Was ist hier geschehn ...?«

      Bedros Hekim lachte kurz:

      »Wenn ich das nur selbst wüßte, mein Sohn ...«

      Dann nahm er zärtlich die Wangen des Erwachten zwischen seine braunen, verschrumpften Hände:

      »Dir ist jedenfalls nichts geschehn, das weiß ich jetzt.«

      Gabriel Bagradian sprang auf die Beine. Nur langsam wollte sich die Erinnerung herausbequemen. Wie aus einer dumpfen Trunkenheit stieß er hervor:

      »Was ist mit dem Überfall ...? Haben wir ihn gemacht ...? Jesus Christus, die Südbastion ... Jetzt ist alles verloren ...«

      Doch auch Ter Haigasun hatte sich aufgestützt. Und seine Stimme schien aus einer andern Trunkenheit zu kommen, einer hellen, überbewußten: »Jetzt nicht mehr ...«

      Bagradian hörte ihn nicht. Das Rauschen und Knacken des Feuers war so laut, daß man sich nicht vernehmlich machen konnte. Der Brand fraß sich Schritt für Schritt in die Hüttengassen hinein. Auch standen schon einige Baumgruppen an den Grenzen der Stadtmulde in hellen Flammen. Immer zahlreicher sammelten sich die Familien mit ihren geretteten Habseligkeiten auf dem Altarplatz, einen Befehl erwartend, der ihnen Richtung und Ziel gab. Einige Frauen hatten mit den letzten Kräften ihre Nähmaschinen hierher und in Sicherheit gebracht. Jedes Auge suchte den Führer. Doch dieser war nicht vorhanden. Denn sowohl Ter Haigasun als auch Gabriel Bagradian starrten noch immer wie im Halbschlaf vor sich hin. Bedros Hekim zählte nicht. Kein Muchtar und kein Lehrer zeigte sich; die waren alle mit der Rettung ihres Eigentums beschäftigt. In der verzweifelten Frist kam aber wenigstens Hilfe vom Nordsattel. Als Beweis für die unheimliche Geschwindigkeit des Ereignisses, das zwischen dem Anfall Ter Haigasuns und diesem Augenblick lag, kann es gelten, daß Awakian mit den sechs Zehnerschaften erst jetzt eintraf, nachdem alles vorbei war. Tschausch Nurhan hatte ihn sofort zu Hilfe gesandt, als die Deserteurschüsse aufknatterten. Awakian stürzte auf Gabriel zu:

      »Sind Sie verwundet, Effendi? ... Jesus Christus, wie sehen Sie aus? ... So reden Sie doch ...«

      Gabriel Bagradian aber redete nicht. Mit ein paar raschen Schritten verließ er, am lodernden Altar vorbei, den Platz, die Stadtmulde, geriet ins Laufen und blieb endlich auf einer kleinen Anhöhe stehn. Awakian folgte ihm wortlos. Mit angestrengten Zügen schob Gabriel den Kopf weit vor, scharf lauschend, damit sein Gehör das Rauschen des Brandes durchdringe. Lange knatternde Striche im Süden. Wie von Maschinengewehren. Und jetzt wieder. Aber vielleicht war's eine Täuschung, denn die Schmerzen in seinem Kopf tobten.

      Sechstes Kapitel

       Die Schrift im Nebel

       Inhaltsverzeichnis

      Dem jungen Offizier war das Kunststück gelungen. Er hatte eine Feldtelefonleitung gelegt, natürlich nicht bis in die Villa Bagradian, so viel Draht war wahrscheinlich bei der ganzen Vierten Armee nicht vorhanden, sondern nur vom Dorf Habaste bis etwa vierhundert Fuß unterhalb der Südbastion. Bei den Schwierigkeiten des felsigen Geländes und der mangelhaften Ausbildung der Truppe eine ansehnliche Leistung. General Ali Risa Bey hatte sich am Nachmittag, für die Beobachteraugen des Damlajik als Zivilist verkleidet, höchstpersönlich nach Habaste begeben. Die Sonne war gerade untergegangen, als der plumpe Telefondraht auf dem Tischchen vor ihm zu summen begann. Es dauerte sehr lange, und man mußte noch vielerlei technische Probleme lösen, ehe sich auf der anderen Seite die Stimme des Jüsbaschi klärte. Dann aber war's eine helle Stimme, die trotz der unzulänglichen Stromleitung stolze Genugtuung nicht verkennen ließ:

      »Herr General, ich melde gehorsamst, der Berg ist in unserem Besitz.«

      Ali Risa Bey, mit dem klaren Gesicht des Nichtrauchers und Nichttrinkers, lehnte sich, die Muschel am Ohr, auf seinem Klappstuhl leicht zurück:

      »Wieso der Berg, Jüsbaschi? Sie meinen das Südende des Berges.«

      »Jawohl, Effendi, das Südende des Berges.«

      »Ich danke! Haben wir Verluste gehabt?«

      »Gar keine Verluste, nicht einen einzigen Mann!«

      »Und wieviel Gefangene haben Sie gemacht, Jüsbaschi?«

      Nun schien wieder eine technische Störung eingetreten zu sein. Der General sah den Telefonoffizier durchdringend an. Bald aber meldete sich die Stimme des Jüsbaschi von neuem, wenn auch zögernd:

      »Ich habe keine Gefangenen gemacht. Die gegnerischen Stellungen waren leer. Wir haben ja damit gerechnet. Fast leer. Nur zehn Mann etwa, das heißt, darunter vier Jungen vielleicht ...«

      »Und was ist mit diesen Leuten geschehn?«

      »Die Unsrigen haben sie niedergemacht ...«

      »Nach Gegenwehr?«

      »... Ohne Gegenwehr ...«

      »Das mindert Ihren Erfolg erheblich, Jüsbaschi. Die Gefangenen hätten uns viel Mühe erspart.«

      Selbst in der klobigen Muschel des Feldtelefons war der Zorn des Jüsbaschi zu spüren: »Ich habe den Befehl nicht gegeben.«

      Die leidenschaftslose Kühle des Generals veränderte sich nicht:

      »Und wo sind die Deserteure hin?«

      »Man hat nur ihr Lumpenzeug gefunden, sonst nichts.«

      »So? Andre Meldungen noch, Jüsbaschi?«

      »Die Armenier haben ihr Lager in Brand gesteckt. Es ist ein sehr großer Feuerschein ...«

      »Und wie beurteilen Sie das, Jüsbaschi? Welche Gründe sehen Sie dahinter?«

      Die Stimme des Majors, rachsüchtig, bissig:

      »Mir steht ein Urteil nicht zu. Herr General werden richtiger urteilen. Vielleicht verlassen die Kerle den Berg ... in der Nacht ...«

      Ali Risa Bey blickte mit seinen blaßgrauen Augen zwei СКАЧАТЬ