Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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СКАЧАТЬ Wenn wir kämpfen, haben wir Ehre und Würde. Deshalb dürfen wir nichts andres vor uns sehn und nichts andres wollen als den Kampf.«

      Diese heroische Auffassung der Sachlage schienen aber die wenigsten zu teilen. Das »Was dann?« des Priesters pflanzte sich in der Runde fort. Gabriel sah sich erstaunt um:

      »Was dann? Ich habe geglaubt, wir sind uns alle einig darüber. Was dann? Hoffentlich nichts mehr!«

      Hier kam für Asajan eine gute Gelegenheit, sich seinem Freunde gefällig zu erweisen. Der schwarze Lehrer hatte ihn beschworen, nichts zu versäumen, was Mißtrauen erwecken konnte, das heißt, wo es nur anging, auf den »Verräter« Gonzague Maris und auf den geheimnisvollen Besuch des alten Agha hinzuweisen. Der Kirchensänger räusperte sich geziert:

      »Der Heldentod, Effendi, ist nicht ganz uneigennützig. Ich wünsche mir nichts anderes. Auch will ich mir kein Urteil über Ihre geschätzte Gattin herausnehmen. Vielleicht haben Sie ihretwegen irgendwelche Verabredungen mit dem türkischen Pascha getroffen, der Sie vor einigen Tagen besucht hat. Man kann das nicht wissen. Was aber geschieht mit unseren Frauen, Schwestern, Töchtern, wenn ich fragen darf?«

      Es gehörte zum Charakter Gabriels, daß er gegen vergiftete Pfeile der Bosheit und Gemeinheit durchaus nicht mit Schlagfertigkeit gewappnet war, hauptsächlich deshalb, weil es immer eine Weile dauerte, bis sie ihm ganz zu Bewußtsein kamen. Auch jetzt starrte er Asajan verständnislos an. Ter Haigasun aber, der Bagradian schon von Grund auf kannte, sprang ihm energisch bei:

      »Sänger, hüte deinen Mund, ich warne dich! Willst du aber wissen, warum der Agha Rifaat Bereket aus Antakje den Effendi besucht hat, so werde ich dir's sagen. Gabriel Bagradian könnte längst im Hause des Agha in sicherem Frieden sein Brot und seinen Pilaw essen, denn der Türke hat ihm den Antrag gemacht und die gute Möglichkeit gegeben, sich zu retten. Unser Gefährte Bagradian aber hat es vorgezogen, uns die Treue zu halten und seine große Pflicht zu erfüllen bis zum letzten Augenblick.«

      Nach dieser Erklärung, die ein notwendiger Vertrauensbruch an Gabriel war, entstand eine längere, einigermaßen betroffene Stille. Außer Ter Haigasun hatte nur noch Bedros Hekim die Wahrheit gewußt. Man war übereingekommen, den Besuch des Agha dem Volke als einen reinen Freundschaftsakt darzustellen, der Bagradian galt. Die Stille dauerte an. Doch es wäre falsch zu glauben, daß sie die Hochachtung aller Versammelten für Gabriels vornehme Handlungsweise zum Ausdruck brachte. Bei den Muchtars zum Beispiel traf dies gleich nicht zu. Jeder von diesen geeichten Volksmännern legte sich im Geiste die Frage vor, wie er sich einer ähnlichen Versuchung gegenüber verhalten hätte. Und jeder von ihnen kam innerlich zu dem übereinstimmenden Schluß, daß sich dieser aus Europa zugereiste Enkel des alten geriebenen Awetis als ein schandbarer Narr und Einfaltspinsel benommen hatte. Aram Tomasian brach als erster die betroffene Stille.

      »Gabriel Bagradian«, begann er, sah aber den Gegner nicht an, »empfindet immer als Militarist, als Offizier. Auch mir kann schließlich niemand den Vorwurf machen, daß ich im Kampf ausgekniffen bin. Doch ich empfinde nicht als Militarist. Ich empfinde anders. Wir alle empfinden anders als Bagradian, das läßt sich nicht leugnen. Hat es denn einen Zweck, wenn wir uns in einem neuen ungleichen Kämpf verbluten, um allerbestenfalls drei Tage später ungeschoren zu verhungern? Und das wäre schon ein unausdenklicher Glücksfall. Was ist damit getan?«

      Bis zu diesem Augenblick war Arams »Ausweg« ein ziemlich unbestimmtes Gedankenspiel gewesen, ohne rechte Wirklichkeit. Der erbitterte Drang, Bagradian zu widersprechen, gab dem vagen Plan auf einmal feste Formen und den Anschein gewissenhafter Wohlüberlegtheit:

      »Ter Haigasun und ihr Männer alle müßt mir zugeben, daß wir hier oben auf dem Damlajik nicht weiterkommen und daß es besser wäre, wir bringen zuerst unsre Frauen und dann uns selbst um, als daß wir die Türken oder den Hungertod abwarten. Ich schlage deshalb vor, den Berg zu verlassen, morgen, übermorgen, so schnell wie möglich. Auf welche Weise dies am besten zu machen ist, das muß genau durchberaten werden. Ich stelle mir vor, wir wählen den Weg nach Norden, natürlich nicht auf den Höhen, die ja von den Türken abgesperrt sind, sondern der Küste entlang. Zum vorläufigen Ziel könnten wir die Hänge des Ras el Chansir nehmen. Die kleine Bucht dort ist gut geschützt und ganz gewiß fischreicher als die Küste hier. Wir brauchen kein Floß und die Netze werden genügen, darauf möchte ich euch mein Wort geben ...«

      Dies klang gar nicht so phantastisch, wie es vielleicht war. Vor allem brachte Arams Rede eine Aktion in Vorschlag und damit die ungenaue, aber beschwingende Aussicht, die Todesverlarvung des Damlajik durchbrechen zu können. Die bisher regungslosen Köpfe begannen, wie von einem leichten Wind bewegt, zu schwanken, bekamen Farbe. Nur Gabriel Bagradian blieb derselbe, als er jetzt, das Wort fordernd, seine Hand erhob.

      »Es ist ein sehr schöner Traum, den sich Pastor Aram da ausgedacht hat. Ich bekenne, daß auch ich ähnliche Träume schon gehabt habe. Wir müssen solche Vorstellungen aber genau auf ihre Erfüllbarkeit prüfen. Ich will also – was ich als verantwortlicher Befehlshaber nicht darf – den allergünstigsten Fall annehmen, daß es uns nämlich in der Nacht gelingt, an den Türken vorbeizukommen und das Ras el Chansir zu erreichen. Ich will in meinem Leichtsinn noch viel weiter gehen und setze den Fall, daß die Saptiehs und das Militär den langen zerrissenen Zug von vier- bis fünftausend Menschen nicht bemerken, der sich, wir haben das zweite Mondviertel, an der hellen Steilküste entlang bewegt. Gut! Wir kommen ungehindert bis zu den Felshängen des Kaps. Dort müssen wir zuerst einen großen Vorsprung umgehn, weil sich die kleine Bucht erst jenseits des Kaps in den Felsen einschneidet ... Unterbrechen Sie mich nicht, Pastor, Sie können sich auf meine Worte verlassen, ich habe die Karte genau im Kopf ... Ob diese Buchten nur nackte Felsrisse sind oder ob sie irgendeine bewohnbare Fläche bieten, weiß ich nicht. Aber ich will noch einmal zu Tomasians Gunsten die glücklichste Möglichkeit annehmen. Wir finden also einen ausreichenden Lagerplatz, und die Türken sind derart mit Blindheit geschlagen, daß sie sechs, ja meinetwegen acht Tage brauchten, um ihn aufzustöbern. Jetzt aber muß ich mir die allerwichtigste Frage stellen: Was ist damit gewonnen? Antwort? Wir haben das Bekannte mit dem Unbekannten vertauscht. Wir haben die verbrauchten, verhungerten Körper der Frauen und Kinder einem langen Klettermarsch über weglose Klippen und Felsen ausgesetzt, den sie wahrscheinlich gar nicht überwinden können. Anstatt unseres gut eingelebten Lagers müssen wir eine neue Siedlung schaffen, ohne Kraft und ohne Mittel. Das sieht wohl jeder ein! Da uns die Tragtiere fehlen, so bleiben natürlich auch alle Betten und Decken, alles Kochgerät und Handwerkszeug auf dem Damlajik zurück. Ohne unsre Sachen aber können wir kein neues Leben beginnen, selbst wenn wir in ein Paradies kämen, wo das Brot auf den Bäumen wächst, das wird auch der Pastor nicht leugnen. Wir verlassen eine erprobte und starke Festung, vor der die Türken den größten Respekt haben. Wir tauschen einen beherrschenden Platz auf der Höhe mit einem hilflosen Platz in der Tiefe, der keine Deckungen bietet. Binnen einer halben Stunde werden wir abgefangen sein, Tomasian. Einen großen Vorteil haben wir freilich. Die letzte Flucht ins Meer dürfte dort unten kürzer sein als der Sprung von der Schüsselterrasse hier oben. Jedenfalls, so fürcht ich, werden die Fische mehr an uns zu fressen bekommen als wir an ihnen.«

      Aram Tomasian hatte diese klaren Darlegungen Gabriels mit gereizten Zwischenrufen begleitet. Die Stimme der Besonnenheit, die ihn mahnte, sich in dieser Entscheidungsstunde nicht von dumpfen Gefühlen treiben zu lassen, verlor immer mehr an Macht. Während er Bagradian mit kaum beherrschter Heftigkeit angriff, sah er ihn auch weiterhin nicht an:

      »Gabriel Bagradian vertritt seinen Standpunkt immer sehr selbstherrlich. Uns billigt er keinen eigenen Verstand zu. Wir sind armselige Bauern. Er steht hoch über uns. Nun, ich will das gar nicht leugnen. Wir sind einfache Bauern und Handwerker und nicht seinesgleichen. Doch, da er uns so viele Fragen gestellt hat, so möchte auch ich ihm einige Fragen vorlegen. Er, als ausgebildeter Offizier, hat aus dem Damlajik eine gute Festung geschaffen, zugegeben! Aber was nützt uns diese ganze Festung und der Damlajik heute? Nichts! Im Gegenteil, er hindert uns daran, einen letzten Weg der Rettung zu suchen. Wenn die Türken klug sind, so lassen sie sich СКАЧАТЬ