Asklepios. Charlotte Charonne
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Asklepios - Charlotte Charonne страница 7

Название: Asklepios

Автор: Charlotte Charonne

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783946734703

isbn:

СКАЧАТЬ den Spiegel. Über dem Mundschutz lauerte ein Augenpaar – skeptisch, vorwurfs­voll, resigniert. Geplatzte Äderchen hatten zwei rote Netze gewebt, in deren Mitte jeweils eine blaue Iris gefangen saß. Die geröteten Lider umrahmten die surrealistischen Kreationen. Sie unterbrach den Blickkontakt und wankte in den Raum.

      Eine düstere Vorahnung hockte wie ein fetter schwarzer Rabe auf ihrer Schulter. Langsam stakte sie auf das Untersuchungsbett zu. Die Stimmen des Anästhesisten, zweier Assistenzärzte und mehrerer Schwestern drangen – von einer unsichtbaren Glasglocke gedämpft – in ihren Gehörgang. Sie wichen auseinander und ebneten ihr den Weg zu dem Patienten.

      Marias Blick streifte das Gesicht der Verletzten. Unverzüglich spürte sie ein Flimmern vor den Augen und ein Zittern in den Beinen. Das Mädchen war ungefähr in Emmas Alter. „Wo sind die Unfallchirurgen?“ Maria schwankte kaum merklich und stützte sich am Bett ab.

      „Sie sind nebenan. Autounfall mit fünf Schwerverletzten.“ Die Augen des Anästhesisten funkelten zwischen Mundschutz und Haube.

      „Und der Kinderchirurg?“ Sie atmete einige Male tief durch. Das Schwindelgefühl wurde besser.

      „Wir konnten ihn erst nicht erreichen.“ Die Schwester schlug die Augen nieder. Der Arzt war für seine zahl­reichen Eskapaden mit hübschen Krankenschwestern bekannt. „Er ist jetzt unterwegs.“

      „Wie bitte?“ Maria versuchte, sich zu sammeln. „Und die Allgemeinchirurgen? Ich bin Ärztin für plastische Chirurgie. Das Kind ist höchstens fünf Jahre alt!“

      „Einer ist ebenfalls in einem der anderen Räume! Und einige andere Kollegen nehmen an einem Ärztekongress teil.“

      „Das kann doch nicht wahr sein!“ Die Hiobsbotschaft stach in Marias Trommelfell. Das Flimmern war zwar besser geworden, und sie konnte den kleinen Körper gestochen scharf sehen, aber ihre Beine bebten noch immer. Sie trat einen wackeligen Schritt näher.

      „Verdacht auf Milzriss“, diagnostizierte sie und deutete auf einen Bluterguss entlang der Höhe des Sicherheitsgurtes im Oberbauch. „Kreislauf?“

      „Instabil“, verlautete ein Assistenzarzt.

      „Sonographie!“, befahl sie. „Schnell!“

      Ihre Hände zitterten. Sie verknotete die Finger ineinander, um dem Zittern Einhalt zu gebieten. Das Notfallteam war in Schweigen gehüllt; alle Blicke klebten an Marias Händen.

      „Sonographie! Sofort!“, donnerte eine Stimme. Der Kinderchirurg war scheinbar aus dem Nichts erschienen. Das Schweigen des Teams wurde durch Bewegung ersetzt. „Danke, Doktor Kaiser. Ich übernehme.“ Der Kinder­chirurg nickte ihr zu.

      Maria starrte ihn an, als wäre er eine Halluzination, die ihre angetrunkene Fantasie heraufbeschworen hatte. Dann wandte sie der Szene den Rücken zu, torkelte aus der Station und flüchtete mithilfe des Fahrstuhls aus dem Schreckensbereich.

      Zu ihrer Erleichterung fand sie das Arztzimmer verwaist vor. Sie sicherte die Tür im Schloss, befreite die Wodkaflasche aus der Tasche, füllte ein Glas mit dem klaren Heilmittel und leerte es in einem Zug. Sie schenkte sich einen weiteren Drink ein, platzierte ihn neben dem Computer auf der Arbeitsplatte und versteckte die Flasche wieder in der Umhängetasche. Dann schritt sie langsam durch das Zimmer, sank in den Schreibtischstuhl, lehnte den Schopf an die hohe Lehne und schloss die Lider. Der Alkohol entspannte ihren Körper. Das Zittern verebbte.

      Der Computer schnarchte leise brummend. Ein Bildschirm­schoner behütete seinen Schlaf. Sie rüttelte an der Maus und störte damit die Fische, die über den Bildschirm schwammen. Anschließend öffnete sie Word, wählte eine leere Vorlage aus und schrieb ihre Kündigung.

      Kapitel 7

      Am Tag darauf

      Paul klinkte die Haustür hinter sich zu. Eine schwindel­erregende Stille und der Geruch nach ranziger Pizza schlugen ihm entgegen.

      „Sophie?“ Er horchte gebannt. Enttäuscht wischte er sich mit der Hand über die Augen. Auf dem Esstisch stand noch der Karton mit den Resten der Pizza, die er sich gestern Abend bestellt hatte. Zur Abwechslung hatte er sich eine Pizza Hawaii gegönnt, nachdem in der vorher­gehenden Woche zweimal die Sorte Salami seinen Hunger gestillt hatte. Daneben lag der Container der chinesischen Nudeln vom Vorabend. Teller, Bestecke und Gläser türmten sich auf dem Tisch. Offensichtlich war Sophie zu müde gewesen, um für ein wenig Ordnung zu sorgen. Gewohnheitsmäßig hörte Paul den Anruf­beantworter ab.

      Keine Anrufe. Ihre Freunde, Bekannte und Nachbarn hatten sich einer nach dem anderen zurückgezogen. Die einen wussten nicht, wie sie sich den verwaisten Eltern gegenüber verhalten sollten, die anderen empfanden es als zu schmerzlich, einen möglichen Verlust des eigenen Kindes vor Augen geführt zu bekommen. Die nächsten hatten wiederum andere Gründe. Paul waren lediglich einige befreundete Arbeitskollegen geblieben. Doch der Kontakt beschränkte sich auf die Klinik. Er hatte keine Lust auf Partys, Bars und Ausgehen, und es war schier unmöglich, Sophie aus dem Haus zu locken.

      „Sophie?“ Paul stapfte die Treppe hoch. Im oberen Stockwerk sah es genauso chaotisch aus wie im Rest des Hauses. Sophie schaffte es nicht, schmutzige Kleidungsstücke zu waschen, Körbe mit gereinigter Wäsche wegzusortieren, das Bett zu machen oder das Bad zu putzen. Ihre Haushaltshilfe hatte schon vor einem Jahr die Flucht ergriffen, und Sophie weigerte sich, eine neue Kraft einzustellen. Es war ihr zu unruhig. Sie wollte keine Menschen um sich haben.

      Paul öffnete die Tür zu Emmas Zimmer einen Spalt. Sophie lag zusammengerollt auf dem kleinen Bett. Er fragte sich, ob sie heute überhaupt aufgestanden war.

      „Hallo, Sophie.“ Er strich über ihr Stoppelhaar. Sie hatte die lange Haarpracht, die er so geliebt hatte, zu einem raspelkurzen Pixie geschnitten, da es ihr zu anstrengend geworden war, die Mähne zu pflegen. Statt den Gruß zu erwidern, rollte sie sich noch kleiner zusammen.

      „Ich bestelle uns etwas zu essen. Okay?“ Paul streichelte über ihren Rücken. Die Wirbelsäule drückte sich spitz in seine Handfläche.

      „Ich habe keinen Hunger. Mir ist übel“, murmelte sie.

      „Soll ich dir ein Bad einlaufen lassen?“ Er setzte sich zu ihr auf das Bett und sichtete die Schüssel, die sie für den Fall, erbrechen zu müssen, in Greifweite deponiert hatte.

      Sophie reagierte nicht.

      „Schatz, es kann so nicht weitergehen. Wir sollten uns klinische Hilfe holen. Du musst mit deinem Therapeuten sprechen. Er kann uns helfen.“ Er stützte die Ellenbogen auf die Oberschenkel und die Stirn in die Hände.

      Sie schüttelte den raspelkurzen Schopf.

      Pauls Schultern fielen nach unten. Sie hatten diese Diskussion schon unzählige Male geführt. Er redete jedes Mal gegen eine Wand. „Sophie, bitte“, sagte er deshalb nur.

      „Lass mir Zeit zum Trauern“, wisperte sie in die Kissen. „Ich kann nicht wie du einfach zur Tagesordnung übergehen und so tun, als hätte Emma nie gelebt.“

      „Du weißt genau, ich vermisse Emma genauso wie du. Aber ich trauere anders. Ich muss arbeiten. Viel arbeiten. Es lenkt mich ab. Das habe ich dir bereits oft erklärt.“ Sein Daumen strich über ihre Wange.

      „Ich bin anders.“ Ihre geröteten Augäpfel begegneten ihm flüchtig. „Die Schmerzen, die Emma ertragen musste – ich kann sie nicht vergessen. Der СКАЧАТЬ