Asklepios. Charlotte Charonne
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Читать онлайн книгу Asklepios - Charlotte Charonne страница 5

Название: Asklepios

Автор: Charlotte Charonne

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783946734703

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СКАЧАТЬ schoss auf sie zu und umgarnte sie mit seinen sanften haselnussbraunen Augen.

      „Guter Hund!“ Britta kraulte den Rüden hinter den Ohren. „Das machst du super. Weiter!“

      Der Beagle trabte einige Meter vorweg. Seine Rute wedelte fröhlich.

      Britta bemerkte ein Rotkehlchen, das auf einem Ast wippte und trillerte. Seine orangerote Vorderbrust leuchtete unter dem Frack aus Federn. Perlende, reine Töne schwirrten über die Waldbühne, die Brittas Körper mit einem warmen Gefühl von Zufriedenheit erfüllten.

      Anton vergrub seine Nase in der Walderde am Weges­rand. Abrupt schien er eine Fährte aufzunehmen. Er schnüffelte, schoss im Zickzack über den Boden und schien die Welt um sich herum vollkommen auszublenden.

      „Anton, komm!“ Britta stützte die Hände in die Hüften.

      Der Hund reagierte nicht. Stattdessen stob er in das Unterholz.

      „Das darf doch nicht wahr sein!“, schimpfte sie leise und starrte zwischen Baumstämme und buschiges Grün. „Anton, komm!“ Britta versuchte abermals vergeblich ihr Glück. „Na super“, kommentierte sie laut. „Die in der Hundeschule haben gut reden, von wegen nicht hinterherlaufen und nicht schreien. Und jetzt? So ein Granatenmist!“

      Sie verließ den Weg und stapfte einige Schritte hinter dem Hund her. „Verdammt und zugenäht! Komm, Anton, hierher!“ Sie blieb stehen und lauschte. Das Rotkehlchen sang aus lauter Kehle. In einem Sonnenstrahl, der durch das dichte Geäst fiel, tanzten Insekten. Aus der Richtung, in die Anton verschwunden war, kam das Scharren von Pfoten. Dann hörte sie ein Winseln.

      Britta rannte los. Sie stolperte über einen Wurzel­ausläufer und verlor fast die Balance.

      „Anton!“ Sie konnte das Tier nicht sehen. „Anton, komm, bitte!“, flehte sie. Eine beängstigende Stille senkte sich über das Waldstück.

      Kein Scharren.

      Kein Winseln.

      Selbst das Rotkehlchen war verstummt.

      „Anton?“ Die aufbrausenden Tränen raubten ihr die Sicht. Brittas Verstand füllte die Stille mit einem grausamen Szenario nach dem anderen. Was, wenn Anton immer tiefer in den Wald vordrang und sie ihn nicht mehr finden konnte? Wenn er ein vergiftetes Stück Fleisch gefressen hatte, das von einem Hundehasser ausgelegt worden war? Oder er einem Jäger über den Weg lief, der ihn gnadenlos erschoss? Ein gewaltiger Druck breitete sich hinter Brittas Stirn aus.

      Da! Ein Winseln!

      Britta stolperte darauf zu. Ein tiefhängender Zweig verfing sich in ihrem Haar. „Mist“, fluchte sie. „Anton?“ Sie befreite die Strähnen und kämpfte sich weiter zu dem Winseln vor. Endlich erspähte sie den Beagle. Tränen der Erleichterung verschafften sich Luft. Gleichzeitig spürte sie, wie kalter Angstschweiß über ihren Rücken rann. Sie zwang sich zur Ruhe, um Anton nicht ein weiteres Mal zu verlieren.

      „Anton, komm. Hier!“ Es gelang ihr, den Befehl mit ruhiger, fester Stimme zu geben. Trotzdem reagierte er nicht. Wie von Sinnen scharrte er im Boden.

      Britta näherte sich dem Tier langsam von hinten, um es nicht zu ängstigen und tiefer in den Wald zu treiben. Sie hatte den Hund fast erreicht. Noch zwei Schrittlängen. Sie fixierte das Halsband und streckte ihre Finger danach aus. Endlich bekam sie es zu fassen.

      „Anton! Du böser Hund!“, schalt sie halbherzig und zog den Rüden zu sich heran.

      Anton winselte, lehnte sein Gewicht gegen das Lederhalsband und wand sich wie ein Wurm am Angelhaken.

      „Aus!“, befahl Britta. Sie konnte das Tier kaum halten. Ihre Aufmerksamkeit kroch vorsichtig zu der Stelle, an der Anton zuvor gegraben hatte. Sie sperrte den Mund auf und schnappte nach Luft. Entsetzen fraß sich in ihre Gesichtszüge. Ihr Blick heftete sich an ihre Hände, die ihrerseits an Antons Halsband Halt suchten. Die Fingerknöchel zeichneten sich weiß unter der Haut ab. Äste und Dornen hatten blutige Kratzer auf die Handrücken gezeichnet. Britta wurde schwindelig. Der Waldboden bebte und die Bäume schwankten. Gleichzeitig schien sich die gesamte Kulisse wie ein Karussell zu drehen. Sie presste die Augenlider zusammen und konzentrierte sich darauf, ruhig durchzuatmen.

      Anton zerrte und zerrte an seinem Halsband.

      Britta beruhigte sich allmählich. Fast zwanghaft wagte sie eine nochmalige Überprüfung. Es war noch da: Ein Unterarm mit einer Hand. Die Haut wirkte grünlich und marmoriert, als wollte sie sich ihrer Umgebung an­passen, um unentdeckt zu bleiben. Sie umklammerte Antons Leder­band mit beiden Händen und unterdrückte die aufkeimende Übelkeit.

      Es war ein Arm.

      Der Arm eines Kindes.

      Eines kleinen Kindes.

      Kapitel 4

      Drei Wochen später

      „Emma, Emma …“ Sophies Lippen bewegten sich fast lautlos. Sie stierte paralysiert auf den Sarg, der im Altarbereich aufgebahrt war. Auf dem weißen Holz tanzten Kornblumen, Heide-Nelken und andere bunte Wiesenblumen, deren Farben von dem Meer aus Kränzen und Blumen, das den Kindersarg umgab, aufgenommen wurden. Es wirkte geradeso, als würde Emma auf einer Frühlings­wiese ruhen.

      Sophie war während der letzten Wochen zusehends schwächer geworden wie eine Rose, der Wasser fehlte. Am Ende war sie vollkommen verblüht.

      In den ersten Tagen nach Emmas Verschwinden hatte sie eine Hyperaktivität an den Tag gelegt, die ihrer sonst besonnenen Art vollkommen fremd war. Um Emma zu finden, hatte sie mehrmals die Polizei aufgesucht, Flugblätter gedruckt und verteilt, mit der Presse sowie Radio- und Fernsehsendern Kontakt aufgenommen und sinnlos von früh bis tief in die Nacht die Gegend abgefahren. Darüber hatte sie das Essen vergessen. Paul kostete es alle Überredungskünste, ein paar Brocken in sie hineinzuzwängen, wenn er abends aus der Klinik nach Hause kam – falls er sie dann überhaupt antraf.

      Mittlerweile ähnelte sie Grizabella aus dem Gedicht Rhapsody on a Windy Night von T.S. Eliot. Ihre Kleider baumelten lose an ihren Schultern wie auf einem Bügel. Unter ihren Augen lagen violette Ringe. Ihr Haar hatte seinen Glanz verloren und fiel büschelweise aus. Ihr Blick huschte nervös hin und her. Bei jedem Laut zuckte sie zusammen, fuhr aber bei dem Vorschlag, therapeutische Hilfe zu suchen, aus der zerknitterten Haut.

      Paul umfing ihre Taille und presste sie an sich. „Komm, Sophie. Wir bleiben an Emmas Seite.“

      Tiefes Schweigen erfüllte die überladene Kirche. Nicht nur Familienangehörige, Freunde, Bekannte und Kollegen waren zu der Beerdigungszeremonie erschienen, sondern auch zahlreiche Unbekannte.

      Die Glocken begannen zu läuten. Der kleine Sarg wurde von Pauls Kollegen, die über die Jahre in der Klinik zu engen Freunden geworden waren, hinausgetragen. Die Ärzte hatten ihre weißen Kittel gegen schwarze Anzüge getauscht. Obwohl sie dem Tod stets nahe waren, spiegelten ihre Mienen tiefe Betroffenheit und Anteil­nahme wider.

      Paul schob Sophie sachte von der Bank in den Mittelgang. Sie schaffte es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und hinter dem Pfarrer, der dem Blumensarg unmittelbar folgte, herzuwanken. Tränen strömten über ihr Gesicht.

      Ein Fußweg führte zu dem kleinen Friedhof hinter der Kirche. Das Knirschen von Kies, das die schweren Schritte erzeugten, mischte sich mit dem Glockenklang. Die Trauerprozession СКАЧАТЬ