Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen
Автор: August Sperl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831439
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Das grimmige Gesicht des Franzosen hellte sich auf, und während der Schultheiß erwartete, daß er nun den Deutschen mit seinem Degen durchstoße, sagte er leichthin etliche Worte, die Ehrhardt mit unbewegter Miene verdeutschte: »Zehn Gulden verlangt er.«
»Um Gottes willen, sagen Sie ja!« drängte der Schultheiß.
»Neun Gulden und keinen Heller mehr,« rief Ehrhardt auf deutsch und französisch und vermerkte die Zahl. »Haben Sie verstanden, mein Herr?«
Mürrisch nickte der Kommissär; verwundert schwieg der Schultheiß.
Und so fragte der Handelsmann nach allen weiteren Requisitionen und setzte den Preis fest, der auch gewöhnlich nach einigem Feilschen angenommen wurde. Dann sagte er: »Bleibt noch die Geldrequisition. Wieviel?«
»Vierzigtausend Taler,« brachte der Schultheiß stotternd hervor.
Der Handelsmann lachte laut auf, übersetzte und fragte den Franzosen: »Wann soll die Summe gezahlt werden?«
Wieder begannen die Augen des Fremden zu rollen, und wieder begann er mit dem Degen zu fuchteln: »Jetzt auf der Stelle!«
Mit verbindlichem Lächeln erkundigte sich der Handelsmann, ob der Herr Kommissär Theater zu spielen wünsche oder ob er weiter verhandeln wolle, und bot – dem Schultheiß blieb der Mund offen stehen und krampfhaft schlossen sich seine Hände – fünfzig Gulden Abfindung für die vierzigtausend Taler, sofort zu zahlen, unter sechs Augen. Der Kommissär begann zu fluchen; aber ganz gegen seine Gewohnheit mit gedämpfter Stimme. Und dabei rannte er hin und her im dämmerigen Hausflur. Der Handelsmann beachtete ihn weiter nicht, zählte die einzelnen Posten der Abfindung halblaut zusammen, riß das Blatt aus seinem Buche und hielt es dem Kommissär hin.
Der hatte sich nun vollkommen beruhigt. Aufmerksam las er das Rechenexempel. Dann gab er das Blatt fast höflich zurück: »Es stimmt.«
»Nun können wir's gleich ins reine bringen,« wandte sich Ehrhardt an den Schultheißen. »Sie werden das Geld nicht in der Kasse haben?«
Der Schultheiß antwortete mit tonloser Stimme: »Ich kann es wohl sogleich von einem Mitbürger beschaffen.«
»So gehen Sie. Zuvor aber sperren Sie uns Ihre Schreibstube auf. Ich will die Quittung aufsetzen.« Er wandte sich zum Kommissär: »Die Quittung über die Abfindungssumme können Sie gleich unterschreiben.«
Da fauchte der Franzose: »Was schreib? Ick nix schreib. Donnez-moi l'argent et baisez -!«
»Auch recht,« lachte der Handelsmann.
»Wenn ich das gewußt hätt', daß man so umgehen darf mit einem Franzosen, dann hätt' ich den Ehrhardt auch nicht gebraucht. Aber wer denkt denn an so was?« Also pflegte der lange Schultheiß späterhin mürrisch zu erklären, wenn man beim Weine auf dieses Geschäft zu sprechen kam. Und ganz später, als viel Gras über dieser Geschichte und auch über anderen Geschichten gewachsen war, fügte er dann und wann noch bei: »Das hat ja ein Blinder sehen können – er hat geschmiert sein wollen, der Franzosenhund. Na, und das hab' ich ihm halt auch besorgt.« – Damals aber, an jenem Schreckenstage und noch längere Zeit hernach, war der Schultheiß dem Handelsmann von Herzen dankbar.
Die Hausglocke ging, und Klara kam unter die Stubentüre, meldete, sie habe den Nachbar Martin durchs Guckloch gesehen.
»Mach auf!« sagte der Arzt und trat ans Fenster.
Drüben vor dem Kommissär stand nun der lange Koram mit der roten Mütze auf dem wackeligen Kopfe und mit einem Packen Kleider über dem Arm. Aber Koram fürchtete sich nicht wie der Schultheiß vor dem kleinen Fremden. Er, der Bürger Koram, der gestern mit all den französischen Brüdern auf dem Marktplatze getanzt und getrunken hatte! Und wenn der Kommissär kreischte, dann brüllte Schneider Koram. Es ging um die Hosen, die man bestellt hatte und nicht zu zahlen wünschte – sechs Hosen, die der lange Koram krampfhaft umschlungen hielt.
Gleichgültig blickte der Arzt hinüber auf den zappelnden, hüpfenden Jakobiner.
Da pochte es an der Stubentüre, und ein älterer Mann trat herein. Er hatte nur Hemd und Hose am Leibe, blieb wortlos stehen und stierte her.
»Nachbar Martin – aber was ist Euch, wie seht Ihr denn aus?«
Da lallte der Mann, seine Zähne schlugen aufeinander, nochmals versuchte er zu sprechen, und stoßweise kam's endlich heraus: »Herr Doktor – mein Weib – geschwind –!« Wieder schlugen seine Zähne aufeinander, und klappernd, als käme er aus kaltem Wasser, vollendete er: »Sechs Franzosen – sind's gewesen – heut' früh.«
Der Doktor riß eine Flasche vom Schrank und goß ein Gläschen voll: »Da trinkt den Kirschgeist, der wird Euch Kraft geben.«
Der Nachbar streckte die zitternde Hand abwehrend gegen das Schnapsglas: »Kommen S', Herr Doktor!« Und er zerrte ihn am Ärmel hinaus in den Hausflur, die Freitreppe hinab.
Die Pferde standen gesattelt, die Chasseurs waren zum Abmarsch bereit. Der Arzt und Nachbar Martin mußten nahe am Rathaus vorüber und drängten sich zwischen Rossen und Reitern und Wagen hindurch.
Koram stand noch immer vor dem Kommissär, und der Wortkampf war allgemach zum Handgemenge geworden. Koram hielt seine Hosen fest, und ein Soldat zerrte an den Hosenbeinen. Da kreischte der Kommissär. Zwei Soldaten stürzten sich auf den langen Schneider und warfen ihn zu Boden, ein dritter riß ihm die Hosen aus den Armen, und während ihn die andern noch immer festhielten, zog ihm ein Vierter unter Lachen und Schreien die eigene Hose vom Leibe. Dann gab man ihn frei.
Händeringend stand der Schneider auf seinen nackten, dürren Beinen, er trippelte von einem Fuß auf den andern, und sein Kreischen und Heulen übertönte den Lärm der aufbrechenden Soldateska. Lachend und schreiend begannen die Franzosen um das hohe Wesen zu tanzen und seinen schmalen Rücken mit flachen Klingen zu dreschen.
Der Arzt und der Nachbar gingen um die Ecke. Der Arzt wußte, daß der Nachbar zu den Stillen im Lande gehörte. Das reizte ihn. »Es ist ein satanisches Unglück, das uns getroffen hat,« begann er, während sie mit eiligen Schritten vorwärts strebten.
»Gottes Heimsuchung,« antwortete der Nachbar mit dumpfer Stimme.
Der Arzt zuckte die Achseln. »Gottes Heimsuchung? Das ist schwerlich zu glauben.« Und er ging hinter dem andern ins kleine Haus.
*
Die Pferde stehen gesattelt, die Herren Chasseurs warten des Befehls. Gellende Rufe hallen über den Marktplatz, Pferde drehen sich am Zügel im Kreise, Hufe klappern auf dem Pflaster. Die zerschlissenen Reiter sitzen in den Sätteln. Trompeter blasen eine lustige Weise, die Pferde tänzeln, die Chasseurs reiten in langem Zuge hinunter zum Bachtor, hinaus über die hölzerne Brücke.
Festverschlossen sind die Türen und Fenster in der kleinen Stadt. Nur da und dort lugt ein Kopf hinter dem Vorhang heraus. Öde liegen die Gassen.
Drunten im Grunde auf Müllers schöner dreimähdiger Wiese sammeln sich die Fußsoldaten. Kommandorufe tönen empor ins Städtchen. Trommeln rasseln. Da und dort rennt noch ein kleiner, zerlumpter Kerl zwischen den Häusern hervor.
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