Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen - August Sperl страница 156

Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Augenblick steht die Magd, als wäre sie vor den Kopf geschlagen, und horcht dorthin, wo sie die Stimme gehört hat. Denn sie kennt diese Stimme.

      Dann aber rast sie aus dem Hause, über den Hof, durch das Pförtchen hinein in den Garten. Sie schlägt die Holztüre zu, sie stößt den Riegel vor die morsche Türe.

      Dort unter dem Bäumchen sitzt die Mutter mit den beiden Kindern. Sie blickt untätig vor sich hin, und die Kinder spielen im Sande.

      Hinter ihnen ragt der hohe, graue Turm. Seine Zinnen sind da und dort abgebrochen wie schlechte Zähne, und Grasbüschel stehen zwischen den Fugen der steinernen Brüstung.

      Schüsse knallen in den Gassen, und wildes Geschrei tönt in den Garten herein.

      Die Doktorin ist aufgesprungen. »Die Franzosen!« keucht die Magd und rafft den Kleinen von der Erde. Die Doktorin steht wie erstarrt, sie bewegt tonlos die weißen Lippen. Dann greift sie an ihr Herz und sinkt zurück auf die Bank.

      »In den Turm!« Die Magd umfaßt die Herrin, zerrt sie auf und mit sich fort, hinein zwischen die Johannisbeerstauden, dem Turme zu.

      Der Knabe auf ihrem Arme beginnt zu schreien. Der größere heult; er hat sich eingekrallt in den Rock der Mutter und läßt sich hinter ihr herschleifen.

      Sie sind am Turme. Die zerbrochene Holztüre hängt halb in den Angeln. »Hinauf!« befiehlt die Magd und zieht und hebt die wankende Frau die steilen Treppen empor.

      Draußen, vor dem Rathause, stehen sie, der Doktor und ihrer fünf oder sechs. Die Hände sind ihnen auf den Rücken gebunden, und mit stieren Augen sehen sie zu, wie die Räuber in ihre Häuser dringen. Sie hören das Krachen der Türen, das Schreien der Weiber, das Kreischen der Kinder, das Bellen der Hunde. Die Stricke schneiden in ihr Fleisch, sie beißen die Zähne in ihre Lippen, ihre Zungen speien Blut. Regungslos müssen sie stehen; denn vor ihnen halten etliche Kerle, stinkend von Schweiß und Schmutz, halten vor ihnen mit gespannten Pistolen und rollenden Augen. Und wie im Spiele setzen sie bald diesem, bald jenem die Mündung auf die Brust: »Taisez-vous, chien allemand!«

      Fünfzig zerlumpte Chasseurs sind's, nicht mehr als fünfzig. Aber ihnen ist das Städtchen übergeben auf Leben und Tod.

      Spute dich, Erbgraf! Laß die Pferde laufen, was sie können! Noch eine Viertelstunde, dann kannst du das Städtchen erreichen mit deiner französischen Schutzwache.

      Spute dich!

      Ach, du weißt ja gar nicht, wie bitter not dein Schutz den Deinen wäre.

      Im schlanken Trab geht's dahin auf der staubigen Straße. Man hat lange genug parliert mit dem Leutnant; jetzt ist das Gespräch verstummt.

      Aber so spute dich doch!

      Da lichtet sich der Wald und jetzt – jetzt –!

      »Hören Sie das Schießen, Herr Leutnant?«

      »Jawohl, mein Herr Graf.«

      »Vorwärts – ich bitte Sie sehr!«

      Wohl sind nun die beiden Frauen hoch droben in dem Gartenturm, in der runden Stube mit den Guckfenstern, aus denen man so weit hinaus zu sehen vermag über die Dächer des Städtleins, hinauf zur Grafenburg, hinunter ins Land. Die Türe zur Stube ist verriegelt. Aber ein kräftiger Knabe vermöchte mit einem Stoße die morschen Bretter zu sprengen. Dort steht ein schwerer Mörser aus der Zeit, wo der Doktor hier oben zuweilen laborierte. An einem Fensterchen aber steht der Tubus, mit dem der Doktor jetzt noch in hellen Nächten droben auf der Plattform des Turmes –

      »Auf die Plattform!« Der Magd ist's durch den Kopf gefahren. Sie blickt empor. Da steckt auch der Schlüssel in der Falltüre. Das Schloß ist gut, und die Türe ist aus schwerem Eichenholz, ganz neu gezimmert.

      »Da hinauf, geschwind!« Die Doktorin ist auf einen Stuhl gesunken und sitzt bleich, mit weitgeöffneten Augen da, als ginge sie das alles nichts mehr an. Sie hat das schreiende Knäblein auf dem Schoß; der ältere Knabe schmiegt sich verängstet an ihre Seite.

      »Da hinauf!« Die Magd ist schon die paar Stufen oben, sie dreht den Schlüssel im Schlosse und stemmt ihre Schultern an die schwere Türe, sie hebt die Türe und lehnt sie an die Brüstung. Dann springt sie neben die Frau, nimmt das Knäblein auf den einen Arm und umfaßt mit dem andern die Herrin: »Geschwind, geschwind!«

      Willenlos läßt sich die Doktorin hinaufzerren. Der ältere Knabe hält sich fest am Rocke der Mutter. Nun sind sie droben. Nun setzt die Magd das weinende Kind auf die Steinplatten. Sie selber geht zurück auf die Stiege.

      Da besinnt sich die erstarrte Frau. »Du auch – du auch!« ruft sie angstvoll, bückt sich und will ihre Retterin heraufziehen. Die Magd aber befreit sich mit einem Griffe, packt die Falltüre und duckt sich. Mit hartem Schlage ist die schwere Türe herabgepoltert. Wieder ein Griff, und kreischend schiebt sich der Riegel in die Falle.

      Sie steht hochaufatmend inmitten der Stube und hat den Schlüssel in der Hand.

      Angstvoll ruft oben die Frau: »Aber so bleib doch bei uns!«

      Noch einmal springt die Getreue die Stufen empor: »Und wer soll dann absperren da herunten? Es ist ja nur von unten zu sperren!«

      »Aber um Gotteswillen, Klara, denk doch an dich!«

      »Ruhig sein! Legen Sie sich auf den Boden! Bringen Sie den Gerhard zur Ruhe!« Sie sagt es in befehlendem Tone. Und angstvoll kommt die Antwort zurück: »Ich – will's – ja tun.«

      Mit dem Schlüssel in der geballten Hand steht sie am Fenster und späht hinüber zum Hause. Aus der Nähe und aus der Ferne tönt Schreien und Brüllen der Plündernden, Kreischen und Heulen der Überfallenen.

      Sie faltet die Hände um ihren Schlüssel und bewegt ihre bleichen Lippen. Sie weiß, daß etwas Furchtbares kommen wird; denn sie hat seine Stimme erkannt. Wohl denkt sie einen Augenblick daran, mit ihrem Schlüssel durch den Garten zu entfliehen. Aber sie weiß ja, daß sie niemals über die hohe Mauer entkommen kann. Es gibt nur einen Ausweg aus dem Garten, und der geht durch den Hof, den Feinden entgegen. Sie mißt noch mit verzweifeltem Blick die Fenster. Aber, o Gott, die Fenster sind Gucklöcher; es ist gar nicht daran zu denken, daß sie sich hindurchzuzwängen und hinabzustürzen vermöchte. Gierig sucht ihre Hand in der Rocktasche; aber sie hat nicht das kleinste Federmesser bei sich. Soll sie vielleicht den Tisch und die vier Stühle die enge Treppe hinunterwerfen? Es wird nicht das Geringste nützen. Soll sie sich den Kopf einrennen an der Wand der Stube? Damit sie halbtot in seine Hände fiele!

      Regungslos steht sie am Fenster mit ihrem Schlüssel in der krampfhaft geschlossenen Hand. Da fliegt es wie ein Schatten heran, da läßt es sich nieder in der Fensterhöhle. Es ist eine von den Amseln, von den zahmen, die sie immer füttert im Garten. Regungslos steht die Magd, und die schwarze Amsel sieht sie an mit glänzenden Äuglein. Dann hebt sie die Flügel und schwebt über die Wipfel der Bäume davon.

      Spute dich, lieber Erbgraf, gib dem Pferde die Sporen, spute dich, Erbgraf, es gilt!

      Die Magd hört vom Haus herüber ein Krachen und Splittern. Die Gartentüre wird eingeschlagen. Da wirft sie den Schlüssel im weiten Bogen aus dem Fenster in den Krautacker des Nachbars.

      Ihre Zähne schlagen aufeinander. Da – da – der Mörser – dort in der Ecke! Sie stürzt hinzu, sie will ihn heben. Das erstemal gelingt's nicht. Aber jetzt. Keuchend hebt sie den zentnerschweren СКАЧАТЬ