Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen
Автор: August Sperl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831439
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Da löst sich das Tier machtlos von ihrem Halse, gleitet herab und entschwindet.
Das Tier kann warten und kann wiederkommen. Es wird wiederkommen, immer wieder kommen und wird sich süß und immer süßer um sie schlingen. –
Die Glocken schweigen, der Markt ist leer. Die helle Nachmittagsonne leuchtet herab. Ein tiefblauer Himmel ist ausgespannt, und das vergoldete Schwert des steinernen Grafen funkelt über dem fließenden Brunnen.
Noch immer steht die Magd am Fenster hinter den zusammengezogenen Vorhängen und sucht nach einem Wege hinaus in die Zukunft. –
Allmählich kommen auch die Leute vom Kirchhofe zurück: die Männer im schwarzen Rocke, die Frauen im Abendmahlkleide, um den Kopf ein schwarzes Tuch. Und alle tragen die großen, schwarzen Gesangbücher mit dem gelben Schnitt.
Endlich biegt der Doktor um die Ecke. Er geht langsam, und sein blonder Bart leuchtet im Sonnenschein. Rechts und links führt er seine zwei Buben. Der Kleine trippelt vergnügt neben seinem Vater und fährt mit dem freien Händchen hin und her. Der größere aber ist bleich, er geht mit gesenktem Kopfe und bemüht sich, so lange Schritte zu machen wie sein Vater. Es ist fast lächerlich anzusehen, und dennoch treibt es der Magd zum ersten Male wieder das Wasser in die vertrockneten Augen. Denn es ist anzusehen, als wollte das Kind im Unglück einherschreiten wie sein Vater, der Mann.
Der Doktor geht nicht in seine Behausung. Er biegt mit den Kindern in die Bachgasse ein. Denn die Kinder dürfen heute bei der Baronin bleiben, bei der Kusine seiner seligen Frau.
Nach einer Weile kommt er zurück. Jetzt geht der Nachbar Martin neben ihm, der Pietist. Auch der schreitet im schwarzen Rock; denn auch er kommt vom Kirchhofe.
»Die Meine begraben, Nachbar Martin, die Euere –.«
»Verrückt,« ergänzt der alte Mann die Rede. »Und Ihre fromme Magd –.« Nun stockt auch er. Dann aber vollendet er mit fester Stimme: »Alles ist Gottes Schickung, mein lieber Herr.«
Der Arzt ist stehen geblieben. »Gottes Schickung? Das ist schwerlich zu glauben.«
Der andere ist auch stehen geblieben. Er hat die Hand ans glatte Kinn gelegt und sieht den Arzt mit großen Augen an. Aber er sagt nichts, gar nichts.
»Wenn solches von dem da droben kommt, dann lös' ich mich heut noch von ihm,« sagt der Arzt.
Der alte Mann reibt nachdenklich sein Kinn und sieht unverwandt auf den andern: »Das kenn' ich, so hab' ich auch schon gedacht.«
»Ihr, solch ein frommer Mann?«
»Jawohl, Herr, ich, ein solcher frommer Mann. Denn auch ich sitze nicht in fester Wasserburg – wie tobende Wogen kommen die Gedanken und schlagen über mir zusammen. Und da könnte es wohl sein, daß ich mich endlich mit klappernden Zähnen lossagte von Gott. Aber –.«
»Aber –?« fragt der Arzt.
Der Alte lächelt. »Ich kann ja nimmer los von ihm. Ich bin so fest an ihn gebunden, daß kein Engel und kein Teufel, am wenigsten ich selber mich von ihm zu reißen vermöchte.«
»So habt Ihr Euch das ausgedacht?«
»Ausgedacht? O nein, nicht ausgedacht, Herr Doktor. Das ist so geworden und kann gar nimmer anders werden.«
»Ei wohl, es kann auch anders werden!« ruft der Arzt.
Tränen rinnen der Magd über die Wangen, als sie auf den Vorplatz geht, dem Herrn zu öffnen.
Sie steht hinter der Türe; denn sie fürchtet die mitleidigen, neugierigen Augen der Leute. Sie steht ganz hinten in der Dunkelheit.
Mit schweren, müden Schritten kommt der Doktor die Freitreppe empor, herein in den Hausflur.
Liebreich dankt er der Magd für ihren Gruß. Seine gütigen Augen blicken sie an. Er streckt ihr die Hand hin: »Gute Klara, gutes, tapferes Mädchen. Immer muß ich dran denken – und kann's gar nicht zu Ende denken.«
Sie hat ihre harte Hand in die seinige gelegt und sieht ihn vertrauensvoll an, mit kinderfrommem Blick, wie ein Krankes den Arzt.
Da schießt es ihm heiß in die Augen. Er möchte sich bücken und ihre Hand küssen. Aber das wäre lächerlich. Nur sagen muß er etwas – jawohl, irgend etwas. Und es legt sich mit unbezwinglicher Gewalt auf seine stockende Zunge, und langsam, fast feierlich, sagt er: »Sei getrost, dein Gott ist bei dir.«
Er wendet sich hastig ab und geht in seine Stube. Er hat die Hände geballt. Wie kann er so schwach sein? Wie kann er sie trösten mit dem, was ihm gerade jetzt im Zwielichte der Vergangenheit wie ein wesenloser Schatten versinken will?
Je nun, was wäre denn sonst zu sagen gewesen –?
Sie aber geht langsam über die roten Steine des Vorplatzes in ihre Küche. Sie steht mit gefalteten Händen am vergitterten Fenster, vor dem sich leise die Blätter der Holunderstaude bewegen im Lufthauche des sinkenden Tages. Und sie wiederholt halblaut: »Sei getrost, dein Gott ist bei dir.«
Dann schlägt sie Feuer.
Es ist Nacht. Die Magd ist noch durch alle Gelasse des Hauses gegangen, wie sich's gehört. Sie ist auch in der Kammer gewesen, aus der man die Tote getragen hat. Drei Kränze liegen auf dem Fußboden; sie sind von auswärts gekommen und müssen morgen früh hinaus aufs frische Grab.
Sie geht in ihre Stube und stellt das Licht auf den Tisch. Es ist totenstill im Hause. In der einen Ecke steht ihr Bett, in der andern das große Gastbett, das für die Kinder bestimmt ist. Aber die Kinder sind nicht bei ihr. Der Vater hat sie behalten. Sie schlafen in dem verlassenen Bette der Mutter. So kann's wohl auf die Dauer nicht bleiben. Ein Arzt wird mitten in der Nacht gerufen. Er muß ihr die Kinder geben.
Sie hat das Licht ausgelöscht und kniet an ihrem Bette. Sie hat das Antlitz in das Kissen gepreßt. Lange kniet sie, und es ist totenstill im Hause. Dann geht sie zur Ruhe.
Sie liegt auf dem Rücken und hat die Hände unter der Brust gefaltet. Ihre brennenden Augen sind geschlossen, und mit schwerem Flügelschlage bewegen sich ihre Gedanken zurück in die Vergangenheit.
Flinke Schwalben schießen pfeilschnell im Abendlichte ums Vaterhaus; aber ihr frohes Pfeifen wird zum schrillen Klagen.
Flüchtigen Fußes steigt sie die Treppe empor in die Giebelstube. Der weiße Spitz kommt ihr nach; aber sein frohes Bellen wird zum kläglichen Winseln.
In die kleine Stube fällt zwischen Weinlaub das Licht der Abendsonne und spielt über die Bücher auf dem Holzbrette; aber das freundliche Licht wird zum grellen Gefunkel und tut ihr wehe.
Sie öffnet das Fensterlein, schiebt das Weinlaub zurück und beugt sich hinaus. Im Hof drunten steht ihre Mutter, hebt die Hand und deutet auf den goldnen Abendhimmel. Da wird der Goldglanz dieses Himmels zum drohenden Kupferrot, und schwere, schwarzblaue Wolken steigen lautlos empor hinter den Hügeln.
Die Abendglocke tönt vom Turme, aber sie ist zersprungen und bellt wie das Totenglöcklein draußen auf dem Friedhofe der Stadt, das die Menschen so eilig zur langen Ruhe lädt.
Alles, was hell und weich ist in ihrer Erinnerung, das wird nun hart und dunkel. Das Entsetzliche hat sich gestellt zwischen Sonne und Jugend und sie.
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