Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Zum Tanzplatze, Vetter Steinau? Heute?«
»Es wäre freilich besser, wenn sie heute nicht mehr tanzte«, meinte der General.
Aber gegen die Nichte diese Meinung laut werden zu lassen, wagte er nicht.
Die schöne Gisbertine kam nachdenklich aus der Laube zu den beiden alten Herren.
»Wohin, Gisbertine?« fragte der Domherr sie.
»Zum Tanze.«
Sie sprach es ganz in jener halb kecken, halb gleichgültigen und nachlässigen Weise, die sie so sehr liebte.
»Ich wünsche Dir viel Vergnügen«, sagte der Domherr.
Er wollte zu den Frauen in der Laube zurückkehren.
»Einen Augenblick, Onkel Florens!« hielt ihn Gisbertine zurück. Er blieb.
Von dem Tanzplatze her kam der schöne Gardelieutenant Graf Westernitz; er hatte das schöne Fräulein aus der Laube zurückkommen sehen.
»Kann ich endlich wieder das Glück haben, gnädiges Fräulein?« bot er ihr seinen Arm an.
Sie sah ihn verwundert an, als wenn sie ihn zum ersten Male in ihrem Leben sähe.
»Wie? Ich sehe die preußische Uniform hier und nicht vor dem Feinde?«
Der Offizier warf einen Blick aus die Uniform des Generals. Er wagte aber nicht, das auszusprechen, was er damit sagen wollte.
Der General sagte es.
»Du siehst ja auch mich hier in dieser Uniform, Gisbertine!«
»Auf zwei Krücken!« rief das Fräulein.
Der Graf Westernitz verbeugte sich schweigend und ging.
Der General runzelte die Stirn.
»Du hast einen Offizier der Armee beschimpft!«
»Lieber Onkel«, sagte Gisbertine, »es würde Dir keine Freude machen, wenn wir noch länger hier blieben?«
»Wahrlich nicht!«
»Dürfte ich Dich dann bitten, unsern Wagen zu bestellen? Der Graf Westernitz soll morgen seine Genugtuung haben«
Der gehorsame Onkel ging; den Wagen zu bestellen.
Gisbertine konnte sich nicht länger mehr halten.
»Komm, komm, Onkel Florens!« rief sie. »Eilen wir!«
Sie sprach es mit so sonderbarer Stimme.
Der Domherr wollte sie darauf ansehen.
Sie stürzte vor ihm fort, hinten nach einer dichten Laube.
Er folgte ihr.
Hinter den verbergenden Zweigen und Blättern umschlang sie ihn, hing sie sich an seinen Hals, brach sie in ein lautes, heftiges Schluchzen aus und rief:
»Ich bin eine Unglückliche, ich bin eine Elende! Ich habe den bravsten und edelsten Mann in den Tod gejagt! Durch meine Launen, durch meinen Eigensinn, durch meine Härte! Nein, nein, nicht durch meine Härte.
Ich liebe ihn ja! Ich liebe ihn mit der ganzen Gewalt meines leidenschaftlichen Herzens, in dem nur zu viele und zu wilde Leidenschaften ewig streiten und sich bekämpfen. Ich kenne mich ja und habe doch keine Gewalt über mich. Wenn der arme Gisbert tot wäre! Wenn ich ihn hartherzig in den Tod getrieben hätte!«
Sie konnte vor Weinen nicht weiter sprechen.
Der Domherr hatte keinen Trost für sie, er schien ihn nicht haben zu wollen.
»Du hast Recht«, sagte er. »Gisbert ist ein braver und edler Mann; sein Tod wäre für uns alle ein schwerer Verlust. Er ist auch ein Mann von Mut und von Ehre, und er ging, weil er des Lebens überdrüssig war; Du hattest es ihm verleidet. Es ist daher leicht möglich, dass er in diesen schweren Tagen den Tod gefunden hat. Gottes gnädige Hand kann ihn aber auch am Leben erhalten haben, in besonderer Gnade für Dich, Gisbertine, damit Du, wenn er zu Dir zurückkehrt, gegen ihn wieder gut machen kannst. was Du gegen ihn verschuldet hast. Und das, Gisbertine, nimm Dir jetzt vor, und in diesem Vorsatze bete zu Gott, dass er Deinen braven Gatten Dir wieder schenken möge. Und dabei wirf schon jetzt Deine Heftigkeit, Deinen Eigensinn, Deinen Hochmut und alle jene unbändigen Leidenschaften, von denen Du sprachst, aus Deinem Herzen heraus, das kein schlechtes Herz ist.«
Gisbertine war zerknirscht.
»Ja, ich schwöre es Dir, Onkel Florens!« rief sie.
»Schwöre es nicht, Gisbertine. Wie oft habe ich so Deine Schwüre gehört! Wie noch öfter der arme Gisbert! Gelobe es Dir ohne Schwur, gelobe es Gott in der tiefsten Tiefe Deines Herzens.«
Sie gab ihm weinend die Hand.
Der Bediente des Generals kam zu melden, dass der Wagen angespannt sei und der General auf sie warte.
Gisbertine ging zu dem Wagen.
Der Domherr sah ihr gedankenvoll nach.
»Wird es endlich helfen?« fragte er sich.
Er schüttelte den Kopf.
Dann kehrte er in die Laube zu den andern Frauen zurück.
Zweiter Teil
Erstes Kapitel.
Der Domherr und ein Karrieremacher unter Schmugglern.
An der Dahlheimer Sägemühle war es dunkel geworden. Die Sonne war schon lange hinter den hohen Spitzen des Eggegebirges untergegangen. Die vornehme Gesellschaft aus dem Bade Hofgeismar hatte den reizenden Platz verlassen. Sie hatten getanzt, bis es dunkel wurde. Einzelne Paare hatten dann den Tanz noch bei dem Scheine von Lampen fortsetzen wollen; zu einem Ball gehöre anderes Licht als das der Sonne und ein improvisierter Ball im Grünen müsse etwas Wundervolles sein. Ein paar ältere Damen hatten aber nicht zustimmen wollen; so war aus dem improvisierten Balle nichts geworden, und die Gesellschaft fuhr ab.
Eine Zeit lang herrschte nun die tiefste Ruhe und Stille an der Sägemühle und in der ganzen Bergschlucht, in der sie lag. In der Mühle war die Arbeit schon mit dem Untergange der Sonne geschlossen worden.
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