Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Aaron Levi geriet wieder in Zorn.
»Hund! Hund von einem Christen! Willst Du der erste sein, der mein Messer probiert?«
Er zog ein langes Messer aus einem seiner großen Stiefelschäfte hervor.
Bernhard lachte.
»Aaron Levi, Ihr wollt wohl zehn Taler verdienen, um ein paar Tausend zu verlieren? Schlom Bendix ist klüger.«
Schlom Bendix war klüger. Er schnallte seine Geldkatze los, die er um den Leib trug, und zählte dem Knaben vierzig blanke Taler in die Hand.
»Bist Du nun zufrieden, Bursche?«
Der arme Knabe hatte wohl in seinem Leben so viel Geld noch nicht beisammen gesehen, viel weniger selbst besessen. Es ergriff ihn etwas, aber nicht der dämonische Geist des Mammon. Er dachte wohl an seine Mutter, seine Geschwister, an ihre Entbehrungen.
»Schlom Bendix«, sagte er fast feierlich, »wenn sie mich nicht vorher totschießen, so sollt Ihr von allen Euren Sachen dafür keinen Groschen Werts verlieren. Gehen wir weiter.«
»Haben wir noch Gefahr zu befürchten, dass Du von totschießen sprichst?« fragte der Jude.
»Ich kann es mir nicht denken. Wir bleiben immer im tiefsten Gebirge, auf Pfaden, die noch kein Fuß eines Grenzbeamten betreten hat. Wie sollten sie gerade heute Nacht hinkommen? Nur einmal kommen wir auf einen offenen Weg, eine Stunde von hier. Ein breiteres Tal durchschneidet dort die Berge. An seinem Ende müssen wir hindurch. Aber wir haben kaum zwei Minuten lang zu gehen, dann sind wir wieder hinter Felsen, zwischen denen uns kein Mensch verfolgt.«
Sie gingen weiter, immer durch das tiefe, pfadlose Gebirge, immer durch die Stille und Dunkelheit der Nacht. Der Himmel über ihnen war zwar sternenklar, aber unter den dichten Bäumen sahen sie kaum dann und wann einen einzelnen Stern. Sie hörten nur ihre eigenen Schritte, und sie gingen leise, um das geringste fremde Geräusch hören zu können.
So war die Stunde vergangen, von welcher Bernhard Henke gesprochen hatte. Er war immer mit voller Sicherheit an der Spitze gegangen. Es war, als wenn er mit jedem Felsen, mit jedem Baume, an dem sie vorübergingen, mit jedem Steine, auf den sie traten, bekannt sei. —
Er machte Halt
»Da unten ist das Tal, durch das wir müssen«, sagte er. »Wir müssen rasch hindurch. Ruhen wir daher ein Viertelstündchen aus.«
Sie lagerten sich wie das erste Mal.
Sie waren auf der halben Höhe eines mit dichter Holzung bewachsenen Berges. Um in das Tal zu ihren Füßen zu gelangen, mussten sie steil den Berg hinunter.
Sehen konnten sie unter den Bäumen zwischen dem Gesträuch nichts. Sie hörten auch nichts. Der Knabe und die beiden Juden horchten in die weite Nacht hinein, sie vernahmen bis in die weiteste Ferne kein Geräusch.
»Wenn wir das Tal da unten hinter uns haben«, sagte Schlom Bendix, »dann ist keine Gefahr mehr für uns da?«
»Ihr fürchtet Euch wohl vor dem Tale da unten?« sagte der Knabe.
»Man muss immer vorsichtig sein, Bursche.«
Der Knabe lachte.
»Ihr Juden habt nicht viel Mut! Woher kommt das?«
Sie antworteten ihm nicht.
Sein frischer Mut schien zum kecken Übermut werden zu wollen. Er hatte den Zug so sicher und glücklich geführt; er fühlte sich so reich, dreißig Taler waren ihm schon ein Kapital gewesen, jetzt hatte er vierzig; die Furcht der Juden weckte den Widerspruch in ihm.
»Still! Hörtet Ihr da nicht etwas?« fragte er.
Aaron Levi griff schon nach dem Stiefel, in dem er sein langes Messer stecken hatte.
»Wo hörtest Du etwas?« fragte der besonnene Schlom Bendix.
»Ich meinte, es sei da unten links gewesen.«
»Dort war nichts«, sagte der Jude.
»Aber da oben rechts, Herr Schlom Bendix.«
»Wahrhaftig!« musste Schlom Bendix bestätigen.
»Aber es ist oben in den Zweigen. Da rührt sich etwas!«
»Und seht Ihr‘s nicht? Da blitzt und leuchtet es auch.«
»Soll Gott mich behüten, ein Gewehr!« flüsterte Aaron Levi.
Er kroch hinter die andere Seite des Baumstamms, an dem sie lagen.
Bernhard lachte.
»He, Aaron Levi, warum zieht Ihr Euer langes Messer nicht?«
»Warum kletterst Du nicht hinauf, Hund?« brummte der Jude.
»Wenn es Euch Vergnügen macht, Aaron Levi, so tue ich es. Es wäre das erste Mal nicht, dass ich da oben bei dem Neste der alten Nachteule gesessen hätte.«
»Was schwatzest Du, Bursche?« rief Schlom Bendix.
»Ja, Schlom Bendix, es ist eine alte Ulme, in der es sich da oben regt, und eine alte Nachteule ist aus ihrem Neste herausgekrochen und glotzt uns mit ihren glühenden Augen an.«
»Du kennst hier wohl jeden Baum, mein Bursche?«
»Gewiss. Aber etwas anderes muss ich Euch doch sagen. Es bringt kein Glück, wenn einen in der Nacht ein paar glühende Eulenaugen so aufs Korn nehmen. Ich habe das einmal selbst erfahren müssen und gerade hier und mit derselben Eule. Soll ich es Euch erzählen?«
»Erzähle es.«
»Es sind schon drei oder vier Jahre her. Da hinten, hundert Schritt weiter, wusste ich ein Rabennest mit vier Jungen. Ich wollte die Jungen haben. Aber das Nest war ganz hoch in den obersten Zweigen einer großen Eiche, und bei Tage hielten die beiden Alten immer Wache dabei; sie hätten mich den Baum hinuntergeworfen und ich hätte Hals und Beine brechen müssen, wenn ich mich hinaufgewagt hätte. Da versuchte ich es des Abends. Wenn die Tiere aus dem Schlafe gestört wurden, mussten sie wie verstört sein, in der Dunkelheit hin und her fliegen, und die Jungen waren mein. So dachte ich.
Aber ich musste an der Ulme vorüber, und wie ich auf einmal zu ihr hinaufsehe, kommt gerade die alte Eule heraus und schaut mich mit ihren feurigen Augen just so an wie jetzt, dass mir das Herz im Leibe zu beben anfing, und wie ich darauf zu der Eiche kam — aber da höre ich doch etwas«, unterbrach sich plötzlich der Knabe. »Und diesmal ist es wahrhaftig da unten links.«
Sie horchten alle.
»Es klingt wie ein Wagen«, sagte Schlom Bendix.
Konrad Maurer war hervorgetreten. Er hatte dasselbe Geräusch gehört.
»Ist da unten links nicht der Weg nach Ovelgönne?« fragte er den Knaben.
»Freilich.«
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