Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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»Aber was sage ich der Gisbertine, wer sie sei? Sie wird fragen. Sie kann so verzweifelt fragen, als wenn man ihr eine Antwort gar nicht verweigern könnte. Sage ich ihr die Wahrheit? Dass ich also eigentlich gar nichts wisse? Dann wird sie das arme Geschöpf bis auf das Blut ausfragen. Lügen darf ich auch nicht. Vermaledeite Situation! Ich war doch leichtsinnig! Ob ich nicht dennoch am Ende besser täte, die Frau mit ihrem Kinde in einen andern Gasthof zu bringen?«
Er raffte sich noch einmal auf.
»Aber zum Kuckuck, warum fürchte ich mich denn vor dieser Gisbertine? Sie soll sich unterstehen zu fragen, nur mit einer einzigen Frage die arme Frau oder mich zu belästigen!«
Und dabei blieb er.
Als er das Tor von Paderborn vor sich sah, fragte er die Frau nur noch:
»Madame, wollen Sie den Namen Mahler ferner behalten?«
»Es wäre mir lieb!« sagte die Frau.
»So bleiben wir dabei.«
Vor der Post in Paderborn sagte er dann:
»Liebe Frau Mahler, wir werden hier Verwandte von mir treffen, mit denen wir weiter reisen werden. Es sind ein alter General und seine Nichte, die auch meine Nichte ist. Der alte Herr wird Ihnen nichts tun. Aber wenn die junge Dame Ihnen zu nahe treten will — sie hat ihre Capricen — so trumpfen Sie sie ab, ganz gehörig.«
Der Frau Mahler war doch nicht wohl bei diesen Eröffnungen. Aber der Wagen hielt schon im Posthofe. Der Domherr hatte ein paar eilige Worte zu dem Postillion zu sagen.
Auf den Stationen, die er seit Warendorf passiert hatte, war überall noch nichts von einem Kampfe bekannt gewesen; erst die Postillione, die ihn fuhren, hatten die Nachricht hingebracht. So war sie von Station zu Station gekommen, aber die Leute hatten erst davon sprechen können, wenn er schon wieder fort war; er hatte sich überall nur die wenigen Minuten aufgehalten, die zum Wechseln der Pferde nötig waren. In Paderborn musste er länger verweilen. Aus der ruhigen Haltung der Leute in den Straßen hatte er entnommen, dass man auch hier von einer Schlacht noch nichts wusste.
»Schwager«, sagte er zu dem Postillion, »Dir ist für Dein gutes Fahren ein Krontaler extra versprochen. Du bekommst zwei, wenn Du, solange ich hier bin, den Leuten von der dummen Schlacht nichts vorschwatzest. Du bekommst nichts, wenn sie ein Wort davon erfahren Du kannst Dich melden, wenn ich wieder abfahre. Hast Du verstanden?«
»Sehr wohl, Euer Gnaden.«
Die Kellner des Gasthofs umgaben die elegante vierspännige Extrapost. Auch die Post in Paderborn war damals zugleich ein Gasthof und einer der besten in Westfalen.
Auch der Wirt selbst war herbeigekommen.
Er kannte den Domherrn, der seit vielen Jahren jährlich einmal, zweimal hier anhielt, wenn er nach dem Bade Hofgeismar fuhr und von da zurückkam.
Die beiden begrüßten sich.
»Aber im vorigen Jahre waren Euer Hochwürden nicht hier. Sie waren doch nicht krank?«
»Der Krieg, der Krieg, lieber Postmeister!«
»Euer Hochwürden waren doch nicht auch mitgezogen?«
»Nein, nein! Aber er kehrt auch für Leute, die nicht mitziehen, alles um.«
»Für die erst recht, Hochwürden. Da ist ja fast keine Familie, der nicht der Ernährer fortgenommen ist, der Vater, der Sohn, der Bruder, der Witwe der Geselle. Man glaubt nicht, in welchem Elende die armen Leute oft leben.«
»Und wofür, lieber Postmeister? Aber ist der General Steinau hier?«
»Nein. Indes ein Brief für Euer Hochwürden kam vor einer Stunde mit der Berliner Post hier an. Sehr eilig, steht darauf.«
»Geben Sie ihn her.«
Der Postmeister gab ihm den Brief.
»Von Gisbertine«, sagte der Domherr, als er die Aufschrift las. »Sie kommt also nicht!«
Er erbrach ihn und warf einen flüchtigen Blick hinein.
»Sie kommt nicht!«
Es schien ihm doch ein kleiner Stein vom Herzen zu fallen.
Auch der Frau Mahler.
Er hatte der Frau aus dem Wagen geholfen, er selbst, ohne dass er die Kellner herankommen ließ. Einer von ihnen musste das Kind tragen. Dann bot er ihr seinen Arm und führte sie mit einer Ehrerbietung, als wenn sie die vornehmste Dame wäre, in das Haus und die Treppe hinauf in das Zimmer, das er sich hatte anweisen lassen.
Die Kellner sahen wohl erstaunt hinter ihnen her, hinter dem vornehmen Herrn, der mit ihrem Herrn so wenig Umstände machte, und der so ärmlich gekleideten Frau, die von ihm so ausgezeichnet wurde.
Auch der Postmeister hatte sich zuerst neugierig die Frau angesehen, sich dann aber nicht weiter verwundert.
»Der Alte hat immer seine Schrullen«, sagte sein Kopfschütteln.
»Schnell Mittagessen!« hatte der Domherr bestellt.
Es kam schnell.
Den Brief seiner Nichte Gisbertine hatte er unterdes noch einmal gelesen.
»So, so«, las er wiederholt laut: »Wir haben es vorgezogen, über Kassel zu reisen. Wir werden Dich daher nicht in Paderborn treffen. Du wirst es nicht übel nehmen. In Hofgeismar wirst Du hoffentlich schon vor uns sein, sodass wir dort alles arrangiert finden. Geschrieben in großer Eile. Deine Gisbertine.«
»Frau Mahler, kennen Sie die Widerbellerin, oder wie sie auch wohl genannt wird, die gezähmte Zänkische von Shakespeare?«
»Ja, Herr Domherr!«
»Würden Sie es unternehmen, eine solche Person zu zähmen?«
»Mit Liebe und Geduld würde es zuletzt gelingen.«
»Also anders als bei Shakespeare. Man sieht, Sie sind eine Frau, und eine brave Frau, und eine leidende, und einer leidenden Frau gelingt zuletzt alles, wenn sie nicht vorher über ihrem Ringen und Mühen zugrunde geht. Und das würden Sie meiner Nichte gegenüber. Ich hatte heute, als ich bei Ihnen im Wagen saß, so einen Gedanken gehabt. Ich habe ihn aufgegeben. Aber unsern Reiseplan müssen wir ändern. Ich wollte mit Ihnen und den andern zuerst nach Hofgeismar fahren und Sie von da morgen zu meiner Karoline bringen. Jetzt führe ich Sie direkt zu ihr.«
Sie hatten das Mittagsmahl beendet. Sie stiegen wieder ein.
Der letzte Postillion erhielt seine zwei Krontaler erst als der Domherr schon im Wagen saß.
»Fort, fort!« rief der Domherr dann auch in demselben Augenblicke dem neuen Postillion zu.
Er kannte seine Leute. Als der andere kaum sein Geld in der Hand hatte, rief er:
»Es ist eine schreckliche Schlacht dahinten mit den Franzosen. Bis Münster hat man СКАЧАТЬ