Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Die Einfachheit tut immer und überall wohl; Ordnung und Reinlichkeit können übertrieben sein und machen dann ängstlich. Hier passten sie zu der Einfachheit; hier tat alles wohl; man fühlte sich behaglich, heimlich, heimisch. Und unwillkürlich musste man an die Hand denken, die hier geordnet hatte, die hier waltete. Es konnte nur eine weibliche Hand sein.
»Führe uns in das Stübchen der Mamsell«, hatte der Domherr der alten Frau befohlen.
Sie waren in dem Stübchen der Mamsell Karoline, der Herrin des Hauses, der Besitzung in dem Tale.
Der Domherr war schon still in die halbdunkle Halle eingetreten; er hatte, während sie die Treppe hinaufstiegen, kein Wort gesprochen; in dem Stübchen schien es ganz wie eine feierliche Rührung über ihn gekommen zu sein. Er warf einen schnellen Blick umher.
»Ah, ah«, sagte er leise für sich.
Dann trat er rasch an das Fenster, und da stand er lange und still, als wenn er hinausblickte. Aber er sah wohl nicht hinaus; er wollte sein Gesicht, seine Augen nicht sehen lassen.
»Setzen Sie sich, liebe Frau Mahler«, sagte er einmal, und seine Stimme klang so sonderbar bewegt, und er wandte sich nicht um zu der Frau, zu der er sprach.
Erst nach einer Weile drehte er sich wieder um. Er sah sehr ernst aus; seine Augen blitzten nicht, sie schienen feucht zu sein.
»Christine, besorge uns einen Imbiss«, sagte er zu der Frau.
Die Alte verließ das Zimmer.
Zu seiner Reisegefährtin sagte er dann:
»Sie nehmen es mir doch nicht übel, liebe Frau, wenn ich Sie verlasse? Ich muss fort; ich kann nun einmal nicht anders.«
»Ich würde bedauern«, erwiderte ihm die Frau, »wenn Sie sich um meinetwillen den geringsten Zwang auflegten.«
»Hm, es wäre besser, wenn ich es täte. Dame Gisbertine —«
Er brach ab, wie so oft, wenn er von der Dame Gisbertine sprach.
»Aber ich lasse Ihnen ein paar Zeilen zurück«, setzte er hinzu.
In einer Ecke des Zimmers neben dem Fenster stand ein kleiner Schreibtisch mit einer Schieblade, in der der Schlüssel steckte. Der Domherr setzte sich an den Tisch.
In der Lade musste sich Schreibmaterial befinden. Aber er öffnete sie nicht. Sie konnte auch Briefe, andere Geheimnisse der abwesenden Bewohnerin des Zimmers verbergen. Er zog aus der Tasche seines Rocks ein Notizbuch hervor, riss aus diesem ein Blatt heraus und schrieb daran mit einer Bleifeder, die er bei sich führte.
Das Geschriebene gab er offen der Frau Mahler.
»Es ist an Karoline. Aber ich bitte Sie, es zu lesen. Vielleicht wünschen Sie etwas hinzugesetzt.«
Die Frau musste es lesen. Es lautete:
»Vor allem, meine liebe, gute Karoline, dass ich noch lebe. Näheres darüber später, morgen oder übermorgen.
Ich habe Dir eine Frau zugeführt, mit der Bitte, sie freundlich aufzunehmen. Ich sage Dir nichts über sie, wie ich ihr nichts von Dir gesagt habe. Ihr werdet Freundinnen werden; dann sagt Ihr Euch selbst und von selbst alles. Dein Florens.«
»Ist es so recht?« fragte er.
»Wie bin ich Ihnen für Ihre Güte dankbar!« sagte die Frau.
»Nicht nötig! Nicht nötig!«
Die alte Christine hatte den Imbiss gebracht.
Er schenkte sich ein Glas Wein ein, trank es aus und nahm ein Stück Brot in die Hand.
Damit brach er auf.
»Gehe es Ihnen gut, liebe Frau Mahler! Grüßen Sie die Karoline von mir. In ein paar Tagen sehe ich nach, wie es Ihnen hier geht.«
Er gab der Frau die Hand, verließ das Zimmer, das Haus, sagte der alten Frau ein kurzes Adieu und stieg wieder in seinen Wagen.
Der Wagen fuhr dem andern Ende des Tals zu.
In dem Tale begegnete man noch fortwährend jener Ordnung und stillen Geschäftigkeit.
Der Domherr sah mit Wohlgefallen hinein.
»Auf allem, was sie tut, ruht der Segen Gottes«, sagte er.
Als er das Tal verlassen hatte, kam er wieder in engere Schluchten. Aus diesen führte dann der Weg nach Hofgeismar geradeaus in eine weite Hochebene, während die Diemel mit ihren Bergen und Schluchten und Tälern nach links abbog.
Der Wagen des Domherrn hatte in dem Wege nach Hofgeismar noch keine zwanzig Schritte zurückgelegt, als links von der Diemel her laut gerufen wurde.
»Onkel Florens! Onkel Florens!« rief jubelnd eine weibliche Stimme.
»Halt! Halt!« rief der Domherr seinem Kutscher zu.
Eine offene Bergchaise, ähnlich der des Domherrn, kam das Ufer der Diemel entlang.
Eine einzelne Dame saß darin.
Der Domherr hatte sie schon an der Stimme erkannt.
Als er sie sah, war er auch schon aus seinem Wagen heraus, in einem Sprunge.
In einem Sprunge flog auch die Dame aus dem ihrigen, dem alten Herrn entgegen.
»Onkel Florens! Du lebst noch!« rief sie.
»Karoline, mein Engel!« rief er.
Die Dame lag in seinen Armen.
Der Domherr umfing sie.
Sie küssten sich wie Vater und Tochter, die nach langer Trennung sich wiedersehen.
Es war eine schöne, junge Mädchengestalt, groß, fast majestätisch schlank und elastisch dabei; das Gesicht frisch wie Milch und dabei so treu und ehrlich und so klug und verständig, das ganze Wesen so einfach und natürlich und doch so voll Anmut und Adel.
Das schöne Gesicht strahlte in Glück und Freude.
Glück und Freude glänzten in dem Gesichte des Domherrn.
»Mädchen, Du wirst ja immer schöner«, sagte er. »Und auch gewachsen bist Du noch. Wie alt bist Du denn?«
»Neunzehn Jahre, Onkel Florens.«
»Ja, ja, neunzehn Jahre! Wie die Zeit vergeht!«
Und durch das Gesicht des Domherrn zog etwas wie eine sehr wehmütige Erinnerung.
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