Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme
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Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme

Автор: Jodocus Temme

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027238149

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СКАЧАТЬ rief er dem Postillion zu.

      Dann saß er lange still in dem Wagen, der über die Heide wieder dahinrollte.

      Sie kamen noch oft in der Heide an Menschen vorbei, die an der Erde lagen und bleich und entsetzt dem fernen Donner der Kanonen horchten. Bis Münster hin hatte man ihn an jenem Tage gehört, hörte man ihn am folgenden Tage und dann wieder am Tage der Schlacht von Belle Alliance.

      Nach langer Zeit nahm der Domherr den Brief wieder hervor, den er zu lesen angefangen hatte. Er las ihn von neuem.

      »Lieber Onkel Florens!

      Wir gehen hier ernsten Stunden entgegen; wir stehen unmittelbar vor ihnen.

      Für viele Tausende von uns werden, müssen sie die letzten sein; ein jeder von uns muss gefasst darauf sein, dass er zu diesen Tausenden gehört. Auch ich bin es.

      Dass ich es mit der vollen Ruhe des Mannes bin, brauche ich Dir nicht zu sagen. Mit dieser Ruhe habe ich denn auch an die Bestellung meines Hauses gedacht.

      Ich hatte nur eins zu ordnen, Gisbertinens Zukunft.

      Dafür habe ich gestern mein Testament gemacht. Ich habe es doppelt niedergeschrieben Das eine Exemplar hat, wie das Gesetz es vorschreibt, der Auditeur zu seinen gerichtlichen Akten genommen; das andere schicke ich Dir hierbei, um der Sicherheit willen. Die Auditoriatsverhandlungen könnten verloren gehen. Ich lege es offen in diesen Brief; Du kannst es lesen. Nach meinem Tode übergib es Gisbertinen. Bleibe ich am Leben, braucht sie den Inhalt nicht zu erfahren.

      Ich habe zugleich eine zweite Bitte an Dich. Sie betrifft die Frau eines lieben Kameraden, des Hauptmanns Mahlberg. Sie ist ihm verloren gegangen; mehr kann ich Dir nicht darüber sagen, denn mehr weiß ich eigentlich selbst nicht. Sie muss nur, nach allem, in Not und sehr unglücklich sein, wahrscheinlich mit einem Kinde. Meine Bitte ist nun, sie aufzusuchen und, wenn Du sie gefunden hast, Dich ihrer anzunehmen, sie an einem guten Orte unterzubringen und für sie und ihr Kind zu sorgen. Ihren Aufenthaltsort kenne ich nicht.

      Du erfährst ihn entweder bei ihrer Mutter, einer verwitweten Kriegsrätin Fahrner in Wesel, oder, wenn auch sie ihn nicht kennt, bei dem Postmeister Feldmann in Warendorf, dem bekannten Städtchen im Münsterlande. Deinem braven Herzen, lieber Onkel, darf ich in Beziehung auf die arme Frau alles Weitere überlassen, brauche auch wohl kaum zu bemerken, dass Eile nottun möchte.

      Und nun, mein lieber, teurer Onkel Florens, nimm mein Lebewohl so freundlich und herzlich auf, als wenn es mein letztes wäre, und so auch meinen Dank für alle Deine viele Liebe, die Du mir von meinen frühesten Kinderjahren an bewiesen hast, und dabei die Bitte, das viele Herzeleid, mit dem ich Dir leider so oft vergolten habe, mir zu verzeihen.

      An Gisbertine noch meine Grüße. Sage ihr aber lebe wohl. Mein letzter Gedanke werdet Ihr beiden sein, Du und sie Dein Gisbert«

      Als er zu den Schlussworten kam, zitterte ihm die Stimme, aus seinen Augen fielen Tränen auf das Papier.

      »Der arme Junge! Er hatte die Todesahnung. Und die trügt niemals im Felde, unmittelbar vor einer Schlacht. Es ist eine alte Geschichte. Vorgestern schrieb er, heute kämpfen sie. Vielleicht ist er schon in diesem Augenblick unter den Toten! Er hätte es freilich hinter sich; er hätte ausgelitten, auch mit dem braven Herzen. Auch mit dem wilden, trotzigen Herzen! O, o, es wäre ihm besser, als wenn er noch lebend unter den Toten daläge, verlassen, verstümmelt, mit den blutenden Wunden, allein mit der Verzweiflung des Schmerzes, des doppelten Schmerzes, des dreifachen, der Wunden der Verlassenheit, des zerrissenen Herzens. Armer, armer Junge! Und sie, die ihn in den Tod jagte! Und -«

      Aus dem Couvert, in dem der Brief lag, hatte er mit diesem zugleich ein zweites Papier hervorgezogen.

      Er nahm es in die Hand, besah es lange.

      »Sein Testament! Ob ich es lese? Er wünschte es. Und warum sollte ich nicht?«

      Er öffnete es — das Testament — er las es, las es langsam, still für sich. Tränen traten ihm nicht wieder in die Augen, aber er sah so besonders gerührt, fast feierlich aus.

      Er steckte Testament und Briefe wieder in ihre Couverts und brachte alles in die Brusttasche zurück, aus der er es genommen hatte.

      Er kam in Münster an, der Hauptstadt der preußischen Provinz Westfalen, dem Sitze der obersten Zivil- und Militärbehörden der Provinz. Er musste lange in den langen Straßen der Stadt fahren, bis er an der Post auf dem Domhofe ankam. In allen Straßen sah er nur bleiche, ängstliche Gesichter. Die Post war von Hunderten von Menschen belagert.

      Auch in den Heiden in der Nähe von Münster hatten Landleute schon am frühen Morgen die ferne Kanonade gehört. Die Nachricht war in die Stadt gebracht.

      Wie in ganz Preußen, so war auch in Westfalen und besonders in Münster alles, was die Waffen tragen konnte, im Frühjahre des Jahres 1815 mit der vollen Begeisterung der Jahre 1813 und 1814 zum zweiten Male in das Feld gezogen, das dreizehnte Landwehrregiment, das des Münsterlandes, gehörte zu den vollzähligsten der Armee. In der Stadt Münster war vielleicht keine Familie, die nicht einen Angehörigen in seinen Reihen hatte. Da war jene Nachricht in die Stadt gekommen; da sah man in den Straßen nur angstvolle Gesichter; da waren jene Hunderte zur Post geströmt.

      Telegraphen gab es damals in Deutschland noch nicht.

      Nur Posten oder Reisende, die vom Rhein, oder Kuriere, die vielleicht unmittelbar vom Schlachtfelde kamen, konnten Näheres über eine wirkliche Schlacht bringen; sie mussten alle zunächst bei der Post anlangen. Sie konnten freilich nicht fliegen wie jene Töne unter der Erde, aber Angst und Sorge fragen nicht nach dem Können, auch die brennende Neugierde nicht.

      »Woher, Schwager?« wurde dem Postillion zugerufen.

      »Der Herr kommt vom Rhein«, antwortete der Postillion. »Er muss es eilig haben, denn er hat auf jeder Station einen Krontaler Extratrinkgeld gegeben, damit die Meile in einer halben Stunde gefahren werde.«

      »Ein Kurier, der nach Berlin geht!« hieß es. »Unmittelbar vom Schlachtfelde!«

      Der Wagen des Domherrn wurde umdrängt.

      »Ist die Schlacht gewonnen? Haben wir gesiegt? Hat man keine Nachricht von dem dreizehnten Landwehrregiment?«

      »Ob er von meinem Sohn, meinem Joseph, etwas weiß?« fragte eine alte arme Frau ihre Nachbarin.

      »Wenn ich wüsste, ob mein Mann lebt!« erwiderte die Nachbarin, eine junge Frau, aber auch arm, ein blasses Kind von einem Jahre in den Armen.

      »Ich weiß von nichts, von gar nichts, Ihr guten Leute«, rief der Domherr aus dem Wagen heraus.

      Er rief es nicht zornig, nicht ärgerlich.

      »Arme Leute!« sagte er. »Da stehen sie in der eigenen Not und in der Angst um die fremde Not, und die fremde Not ist wieder ihre eigene! Und wofür das alles? Die Narren, die verblendeten Narren! Was geht denn sie das Bourbonentum, das Königtum an? — Schnell die Pferde, Johann!« rief er seinem alten Diener zu und legte sich in die Ecke des Wagens zurück, um nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören, keine Angst, keine Not, keine Narrheit.

      Die Pferde kamen. Es ging weiter. Er blieb in seiner Ecke liegen.

      Nach einer Stunde musste er doch wieder sehen.

      Er СКАЧАТЬ