Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays
Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205639
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– Das war die erste Offenbarung des Schicksals in meinem Leben.
Seine Stimme klang monoton, gleichmäßig, mit einer Nuance von selbstverständlicher Nachlässigkeit. Sie reizte sie, sie hatte etwas unsagbar Hypnotisierendes. Sie mußte ihn hören.
– Ich wußte auch nicht, was Schicksal ist. Aber jetzt weiß ich es. Sehen Sie, Fräulein Isa, ich gehe herum, ahnungslos; ich hielt mein Gehirn so fest in meinen Händen; es gab kein Gefühl, das ich nicht hätte unterjochen können; ja ... und nun plötzlich kommen Sie dazwischen, Sie, das seltsame Urbild meiner Seele, Sie die Idee, die ich schon früher in einem andern Dasein angeschaut habe, Sie, die Sie eigentlich das ganze Geheimnis meiner Kunst sind ... Kennen Sie meine Produktion?
– Ich liebe sie über Alles.
– Haben Sie sich selbst darin gefunden?
– Ja.
– Nun sehen Sie, ich war so fest und so hart, und nun kommen Sie mir in den Weg, und mein ganzes Leben wird in dieses eine Erlebnis eingeschlossen. Sie bekommen diese Macht über mich, daß ich an nichts Andres denken kann, Sie werden der Inhalt meines Gehirnes ...
– Nein, Falk, sprechen Sie nicht davon. Ich werde so müde von dem Gedanken, daß Sie sich durch mich unglücklich fühlen sollen ...
– Nein, Fräulein Isa, Sie irren sich. Ich bin glücklich, Sie haben mich zum neuen Menschen gemacht, Sie haben mir einen unerhörten Reichtum gegeben – ich verlange ja Nichts von Ihnen, ich weiß, daß Sie Mikita lieben ...
Isa fühlte wieder die Unruhe in sich hochwallen. Sie hatte Mikita ganz vergessen. Nein! Sie durfte nicht länger hier sitzen. Sie durfte nichts mehr hören. Sie erhob sich.
– Nun muß ich gehen.
– Bleiben Sie, bleiben Sie noch einen Augenblick.
Es war etwas, das sie niederzwang, aber sie mußte an Mikita denken. Die Angst und die Unruhe wuchs. Sie raffte sich auf.
Nein, nein, jetzt muß ich gehen; ich kann nicht länger sitzen, ich muß jetzt, ich muß – ich bin so müde ...
Falk unterdrückte mühsam ein nervöses Lachen.
IX.
Vor der Haustür blieben sie stehen.
Falk machte auf. Es war so schwer, das Schlüsselloch zu finden.
Endlich!
Sie trat in den Hausflur. Er folgte ihr. Sie blieben wieder stehen.
Was wollte er nur?
– Gute Nacht, Falk.
Er hielt ihre Hand fest und seine Stimme bebte.
– Mir ist, als müßten wir einen herzlicheren Abschied voneinander nehmen.
Die Tür war halboffen. Das Laternenlicht fiel in breitem Streifen auf ihr Gesicht.
Sie sah ihn so sonderbar, so sonderbar erstaunt an. Er fühlte Scham.
– Gute Nacht ...
Er hörte den Schlüssel von Innen klirren. Er horchte. Sie ging leicht und schnell die Treppe hinauf.
Nun ging er ein Stückchen.
Plötzlich schrie er unwillkürlich aus vollen Leibeskräften.
Was war denn das?
Wollte er seine Kraft in menschlichen Unwillkürlichkeiten auslösen?
Herrlich! Ein herrlicher Esel war er. Unangenehm! Wie täppisch dies mit dem herzlicheren Abschied!
Nein, wie komisch, wie unendlich komisch mußte sie ihn finden.
Er, der große, höhnende Verächter, plötzlich verliebt, wie ein kleiner Schulbube.
Gott, war das unangenehm, und noch diese Erinnerung dazu, die ihm plötzlich so peinlich wurde.
Er war damals volle 13 Jahre alt, als er die erste erotische Anwandlung bekam. Hatte er sich großartig gefunden! Diese tiefen, geistreichen Gespräche, die er mit dem Mädchen über Schiller und Lenau führte. Und die gelben Glacés, die er sich anschaffte ...
Da, eines Abends hatte ihn der Ordinarius auf einem Tête-à-tête ertappt.
Und am nächsten Tage ... wunderbar!
Es klingelte. Es war Zehn-Uhr-Pause.
Alles drängte hinaus.
– Falk, Du bleibst hier.
Ja, nun kam es.
– Komm her!
Er ging ans Katheder.
– Hol den Stuhl herunter!
Er holte ihn.
– Leg Dich!
Er legte sich.
Und nun sauste das starke Rohr durch die Luft, schwirrte und pfiff, immer schneller, immer schmerzhafter ...
Tat das weh!
Was lachen Sie, lieber Herr! Das ist eine große Tragödie. Ich habe selten so seelisch gelitten, wie damals ... Es ist vollendet dumm von Ihnen, daß Sie lachen. Verstehen Sies nicht, daß dies das Leben ist? Das Lächerliche neben dem Tragischen, das Gold im Kote, das unnennbar Heilige im Trivialen –ja, sehen Sie, das verstehen Sie nicht.
Hegel, der alte preußische Philosoph Hegel, er war ein klügerer Mann. Kennen Sie überhaupt Hegel? Ja, sehen Sie, seine ganze Philosophie ist ja nur die Frage, warum die Natur zu ihren herrlichsten Zwecken so unästhetische Mittel braucht, so z. B. das Geschlechtsorgan, das zum Zeugen und zur Absonderung von Stoffwechselprodukten dient.
Selbstverständlich ist es unendlich komisch, lächerlich komisch, ekelhaft komisch, aber so ist immer das Heiligste.
Falk geriet in Wut.
Also machen wir uns das klar: Die Liebe, ach ja, die Liebe: Zuerst ein seltsam verwirrtes Gesicht, dann glühende Faunsaugen, ferner Zittern in den Händen, wie wenn man meilenweite Depeschen telegraphierte ... Dann: Senkungen und Hebungen in der Stimme wie beim Skandieren Horazischer Oden, bald heiser, bald piepsend ... Dann eine Menge unwillkürlicher Bewegungen: Zugreifen und Zurücktaumeln, nicht ganz sicher auf den Beinen stehen, keuchen und prusten ... ist das nicht lächerlich? Ist das nicht im höchsten Maße lächerlich?
Und mir gegenüber sitzt Fräulein Isa mit ihrem liebenswürdigen, wissenden Lächeln, mit ihrem seltsamen Blick, und ermuntert mich dazu.
Nun, auf das Mimen СКАЧАТЬ