Название: Die verlorene Handschrift
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Doch die größte Ueberraschung stand dem Doctor noch bevor, seine stille Arbeit wurde durch den seligen Frater Tobias selbst unterstützt, ja durch das Lebensende dieses frommen Märtyrers gleichsam geweiht. Die Freunde stiegen nämlich nach Rossau hinab, von dem Landwirth, den ein Geschäft zur Stadt führte, begleitet. Der Landwirth führte die Freunde zum Bürgermeister und ersuchte diesen, den Herren, als zuverlässigen Männern, vorzulegen, was etwa in dem städtischen Bereich von alten Schriften vorhanden sei. Der Bürgermeister, ein ehrlicher Gerber, fuhr in seinen Rock und brachte die Gelehrten zunächst vor das alte Klostergebäude. Es war nicht viel daran zu sehen, ein neues Dach, innerer Umbau, nur die Mauern standen noch, kleine Beamte des Landesherrn wohnten in den Zellen. Ueber das Rathsarchiv stellte der Bürgermeister die Muthmaßung auf, daß wohl nicht viel darin sein werde, er empfahl die Herren in dieser Angelegenheit dem Stadtschreiber und ging selbst nach dem Schießhause, um sich nach schwerem Regierungsact eine Partie Solo anzuthun. Der Stadtschreiber neigte sich respectvoll vor seinen Collegen von der Feder, ergriff ein rostiges Schlüsselbund und öffnete das kleine Gewölbe des Rathhauses, wo alte Acten in dicker Staubhülle die Zeit erwarteten, in welcher ihr Stillleben unter dem Stampfer einer Papiermühle enden würde. Die Stadtschreiberei wußte ein wenig unter den alten Papieren Bescheid, begriff auch vollständig die Wichtigkeit der Mittheilungen, welche von ihr erwartet wurden, versicherte aber der Wahrheit gemäß, daß durch zwei Stadtbrände sowie durch Unordnung in früherer Zeit jede alte Nachricht verloren sei. Man kannte auch keinerlei Aufzeichnung in einem Privathause, nur in der gedruckten Chronik einer Nachbarstadt waren einige Notizen über das Schicksal Rossaus im dreißigjährigen Kriege erhalten. Darnach war der Ort durch einige Jahre ein Trümmerhauf und fast unbewohnt gewesen. Im Uebrigen lebte das Städtchen geschichtslos fort, und der Stadtschreiber betheuerte, man wisse hier nichts von der alten Zeit und kümmere sich gar nicht darum. Vielleicht sei in der Residenz etwas über die Stadt zu erfahren.
Die Freunde schritten unermüdlich von einem klugen Mann zum andern und frugen wie im Märchen nach dem Vogel mit goldenen Federn. Zwei Erdmännchen hatten nichts gewußt, jetzt blieb noch das dritte. Sie ließen sich also zu dem katholischen Pfarrer führen. Ein kleiner alter Herr empfing sie mit tiefen Bücklingen, der Professor setzte ihm auseinander, daß er über die letzten Schicksale des Klosters Auskunft suche, vor Allem, was aus einem der letzten Mönche, dem ehrwürdigen Bruder Tobias Bachhuber, in seinen Jahren geworden sei.
»Aus so entlegener Zeit werden keine Totenscheine verlangt,« versetzte der Geistliche, »ich kann den hochverehrten Herren deshalb kenerlei Bescheid versprechen. Dennoch, wenn es Ihnen nur darum zu thun und Sie nichts der Kirche Nachtheiliges aus alten Schriften eruiren wollen, bin ich gewillt, denselben das älteste der vorhandenen Bücher zu präsentiren.« Er ging in eine Kammer und brachte ein langes schmales Buch hervor, dem der Moder des feuchten Raumes die Ränder beschädigt hatte. »Anhier sind einige Notata meiner im Herrn ruhenden Vorgänger, vielleicht daß den verehrten Herren dieses dienen kann. Weiteres bin ich nicht im Stande, weil Aehnliches nicht mehr vorhanden.«
Auf dem Vorsetzblatt stand ein Verzeichniß geistlicher Würdenträger des Ortes in lateinischer Sprache. Eine der ersten Notizen war: »Im Jahre des Herrn 1637 im Monat Mai ist der verehrungswürdige Bruder Tobias Bachhuber, der letzte Mönch hiesigen Klosters, an der Seuche der Pestilenz gestorben. Der Herr sei ihm gnädig.« Der Professor wies dem Freunde schweigend die Stelle, der Doctor schrieb die lateinischen Worte ab, sie gaben dankend das Buch zurück und empfahlen sich.
»Und die Handschrift liegt doch in dem Hause,« rief der Professor auf der Straße. Der Doctor dachte an die drei Kreuze und lächelte vor sich hin. Er war keineswegs mit den taktischen Maßregeln einverstanden, welche er seinen Freund zur Rettung des Codex ausführen sah. Wenn der Professor behauptete, daß ihre einzige Hoffnung auf dem Antheil beruhe, den sie nach und nach dem Hausherrn beibringen könnten; so hegte der Doctor den Verdacht, daß sein Freund zu dieser langsamen Kriegführung nicht durch reinen Eifer für die Handschrift gebracht werde.
Der Landwirth aber beobachtete über die Handschrift ein hartnäckiges Schweigen; warf der Doctor einmal eine Anspielung hin, so verzog der Wirth spöttisch das Gesicht und lenkte das Gespräch sogleich auf etwas Anderes. Das durfte so nicht bleiben. Der Doctor beschloß, jetzt, wo seine Abreise bevorstand, eine Entscheidung zu erzwingen. Als die Männer am Abend im Garten zusammen saßen und der Landwirth in heiterer Ruhe auf seine Obstbäume sah, begann der Doctor den Angriff. »Ich gehe nicht von hier, mein Gastfreund, ohne Sie an unsern Contract erinnert zu haben.«
»An welchen Contract?« frug der Landwirth wie ein Mann, der sich an nichts erinnert.
»Wegen der Handschrift,« fuhr der Doctor entschlossen fort, »die bei Ihnen verborgen liegt.«
»So? Sie sagten ja selbst, es sei Alles hohl. Da wird uns nichts übrigbleiben, als das Haus vom Dach bis zum Keller nieder zu reißen; ich dächte, damit warteten wir bis zum nächsten Frühjahr, wo Sie wieder zu uns kommen sollen. Denn wir müßten in diesem Falle doch in den Scheunen wohnen, und die sind jetzt voll.«
»Das Haus mag vorläufig stehen bleiben,« sagte der Doctor, »wenn Sie aber immer noch meinen, daß die Mönche ihr Klostergut wieder herausgeholt haben, so steht dieser Ansicht ein Umstand entgegen. Wir haben in Rossau ermittelt, daß der wackere Bruder, der im April die Sachen hier versteckt hatte, schon im Mai an der Pestilenz gestorben ist. Laut Angabe des Kirchenbuches; hier ist die Stelle.«
Der Landwirth sah in die Brieftafel des Doctors, klappte sie wieder zu und sagte: »Dann haben seine Herren Mitbrüder das Eigenthum herausgeholt.«
»Das ist kaum möglich,« versetzte der Doctor, »denn er war der letzte seines Klosters.«
»Dann also haben’s andere Stadtleute geholt.«
»Aber die Einwohner der Stadt haben sich damals verlaufen, der Ort lag Jahre lang verwüstet, menschenleer, in Trümmern.«
»Hm,« begann der Landwirth in guter Laune, »die Herren Gelehrten sind strenge Mahner und wissen auf ihrem Recht zu bestehen. Sagen Sie also geradeheraus, was wollen Sie von mir? Sie müßten mir doch vor allem eine einzelne Stelle angeben können, die nicht nur Ihnen verdächtig ist, sondern die auch nach gemeinem Urtheil etwas zu verschließen scheint, und das sind Sie zuverlässig nicht im Stande.«
»Ich weiß eine solche Stelle,« erwiederte der Doctor dreist, »und ich stelle Ihnen gegenüber die Vermuthung auf, daß der Schatz dort liegt.«
Der Professor und der Landwirth sahen erstaunt auf ihn. »Folgen Sie mir in den Keller,« rief der Doctor.
Ein Licht wurde angezündet, der Doctor führte zu dem Verschlage, in welchem der Wein lag. »Wie kommst du zu der siegesfrohen Zuversicht?« frug ihn der Professor leise auf dem Wege.
»Ich argwöhne, daß du deine Geheimnisse hast,« versetzte der Doctor, »laß mir die meinen.« Geschäftig räumte er die Flaschen aus einer Ecke, leuchtete an den Stein und schlug mit einem großen Schlüssel an die Mauer, »die Stelle ist hohl und der Stein bezeichnet.«
»Es ist richtig,« sagte der Landwirth, »dahinter ist ein leerer Raum; und er ist jedenfalls nicht klein. Aber der Stein ist einer von den Grundsteinen des Hauses, und nirgend ist sichtbar, daß er einmal aus seiner Lage gerückt wurde.«
»Nach so langer Zeit würde man das schwerlich erkennen,« warf ihm der Doctor entgegen.
Der Landwirth untersuchte selbst die Mauer. »Eine große Platte liegt darüber, es ist vielleicht möglich, den bezeichneten Stein von der Stelle zu heben.« Er überlegte eine Weile und fuhr endlich fort: »Ich sehe, ich muß Ihnen einen Preis zahlen. Ich will damit die erste Stunde unserer Bekanntschaft ausgleichen, die mir immer noch auf der Seele liegt. Und da wir drei hier wie СКАЧАТЬ