Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag страница 36

Название: Die verlorene Handschrift

Автор: Gustav Freytag

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn:

isbn:

СКАЧАТЬ der ihr gegenüber saß, und die geistige Arbeit vieler Jahrhunderte erschien ihr wie ein überirdisches Wesen, das mit menschlichem Munde in ihrem Hause Unerhörtes verkündete.

      Aber es war nicht das Wissen allein. Wenn sie wie aus der Tiefe den Blick zu ihm erhob, sah sie ein strahlendes Auge, den freundlichen Zug um die beredten Lippen, und sie fühlte sich unwiderstehlich zu dem warmen Leben des Mannes gezogen. Dann saß sie ihm als stille Hörerin gegenüber. Wenn sie aber in ihr Zimmer trat, kniete sie nieder und verbarg das Antlitz in ihren Händen, sie sah ihn dann vor sich und brachte ihm in der Einsamkeit ihre Huldigung dar.

      So erwachte sie zum Leben. Es war eine Zeit der reinen Begeisterung, eines selbstlosen Entzückens, das der Mann nicht kennt und das nur dem Weibe wird, einem reinen, unwissenden Herzen, dem plötzlich bei gereifter Kraft das Größte des Erdenlebens die empfängliche Seele einnimmt.

      Und sie sah, daß ihr Vater in seiner Art unter dem Einfluß desselben Zaubers stand. Am Mittagstisch, der sonst so schweigsam war, floß jetzt die Unterhaltung wie aus lebendigem Born, an den Abenden, wo er sonst müde über der Zeitung gesessen hatte, wurde das Gespräch zuweilen bis auf die erste Nachtstunde hinausgezogen, Vieles wurde erörtert, oft wurde gestritten, immer war der Vater, wenn er seinen Nachtleuchter vom Tische nahm, in heiterer Stimmung, mehr als einmal wiederholte er auf und ab gehend noch sich selbst einzelne Reden des Gastfreundes. »Er ist in seiner Art ein ganzer Mann,« sagte er, »Alles sicher und fest gefügt, man weiß immer, wie man mit ihm dran ist.«

      Einigemal ängstigte sie, was er aussprach. Zwar vermieden die Freunde, was die innige Gläubigkeit der Hörerin verletzen konnte, aber aus den Reden des Professors klang zuweilen eine fremdartige Auffassung ehrwürdiger Lehre und der menschlichen Pflichten heraus. Und doch war wieder so edel und gut, was er behauptete, daß sie sich dagegen mit ihren Gedanken nicht zu wehren wußte.

      Er war oft heftig in seinen Ausdrücken; wo er verurtheilte, that er das mit starken Worten, auch im Gespräch brach er wohl heraus, daß der Doctor und sogar der Vater zurückwichen. Und sie ahnte, daß in seinem Haupte sich die Welt anders darstellte als bei den meisten Menschen, stolzer, edler, entschiedner. Und wenn er von Andern viel verlangte, wie Einem natürlich ist, der mehr mit abgeschlossenen Bildungen als mit dem werdenden Leben verkehrt, da wurde ihr wohl bange, wie man vor seinen Augen bestehen könne. Aber derselbe Mann war wieder so bereit, alles Gute anzuerkennen, und er freute sich wie ein Kind, wenn er erfuhr, daß sich Jemand brav und stark erwiesen hatte.

      Er war ein ernster Mann, und doch war er Liebling der Kinder geworden, fast noch mehr als der Doctor. Sie vertrauten ihm ihre kleinen Geheimnisse, er besuchte sie in der Kinderstube und gab ihnen nach Jugenderinnerungen Anweisung, wie sie einen großen Papierdrachen machen sollten, er malte selbst die Augen und den Schnurrbart und schnitt die Quaste des Schwanzes, und ein froher Tag war’s, als der Drache das erste Mal auf dem neuen Stoppelfelde aufstieg. Wenn der Abend kam, dann saß er, von den Kindern umgeben, wie ein Rebhuhn unter den Küchlein, Franz kletterte auf die Stuhllehne und zauste an seinem Haar, an jedem Knie lehnte eines der Größern; dann wurden Räthsel aufgegeben und Geschichten erzählt, und wenn Ilse zuhörte, wie er mit den Kindern kleine Reime nachsprach und lehrte, dann schwoll ihr das Herz vor Freude, daß ein solcher Geist so zutraulich mit der Einfalt verkehren konnte, dann spähte sie in sein Antlitz und sah hinter den festen Zügen des Mannes ein Kindergesicht herausleuchten, lachend und glücklich, und sie konnte sich ihn denken, wie er selber ein kleiner Bube gewesen war, der auf dem Schoße seiner Mutter saß. – Glückliche Mutter!

      Da kam die Stunde unter den Garben, die gelehrte Unterredung, welche mit Tacitus anfing und mit einem stummen Bekenntniß der Liebe endigte. Die selige Heiterkeit seines Angesichts, der bebende Klang seiner Stimme hatten den dünnen Schleier zerrissen, der ihr das eigene wogende Gefühl barg. Sie wußte jetzt, daß sie ihn liebte, heiß und unendlich, und sie ahnte, daß er empfand, wie sie selbst. Der ihr so groß gegenüberstand, er hatte sich zu ihr herabgeneigt, sie hatte seinen warmen Athem, den schnellen Druck seiner Hand gefühlt. Als sie dahinging durch das Feld, strömte ihr die Glut in die Wangen, und was sie umgab, Erde und Himmel, Flur und sonniger Waldessaum, das floß vor ihr in leuchtende Wolken zusammen. Mit beflügeltem Fuß eilte sie hinab in den Waldgrund, wo das Baumlaub sie umhüllte. Jetzt erst fühlte sie sich allein, und ohne es zu wissen, faßte sie einen schlanken Birkenstamm und schüttelte ihn mit voller Kraft, daß der Baum laut rauschte und seine Blätter auf sie herabstreute. Und sie hob die Hände zu dem goldenen Licht des Himmels und warf sich nieder auf den Moosgrund. In heftigen Athemzügen hob sich ihre Brust und die kräftigen Glieder zuckten von der inneren Erregung. Wie vom Himmel herab war die Leidenschaft in das junge Weib gesunken und faßte ihr Leib und Seele mit unwiderstehlicher Gewalt.

      Lange lag sie so, braune Sommerfalter spielten ihr um das Haar, eine kleine Eidechse fuhr ihr über die Hand, weiße Dolden der Waldblumen und die Zweige der Hasel neigten sich über sie, als wollten die kleinen Kinder der Natur das heiße Leben der Schwester verdecken, welche zu ihnen gekommen war in dem seligsten Schreck ihres Lebens.

      Endlich hob sie sich auf die Knie, schlug die Hände zusammen, sie dankte dem lieben Gott für ihn und bat für ihn.

      Gesammelt trat sie in das offene Thal, nicht mehr das ruhige Mädchen von sonst, ihr eigenes Leben und was sie umgab, glänzte in neuen Farben, und ein neues Fühlen fand sie in der Welt. Sie verstand die Sprache des Schwalbenpaares, welches um sie kreiste und mit zwitscherndem Ton pfeilschnell an ihr vorüberfuhr. Es war die wonnige Freude am Leben, welche den kleinen Leib durch die Luft schnellte, und was die Vögel zu ihr sprachen, war ein schwesterlicher Jubelruf. Sie antwortete auf den Gruß der Arbeiter, welche vom Felde heimgingen, und sie sah auf eine der Frauen, welche die Garben angelegt hatte, und wußte genau, wie ihr zu Muthe war. Auch die Frau hatte als Mädchen einen fremden Burschen geliebt, es war eine lange unglückliche Neigung gewesen mit vielen Schmerzen, jetzt aber ging sie getröstet neben ihm nach Hause, und als sie mit ihrer Herrin sprach, sah sie stolz auf ihren Begleiter. Und Ilse fühlte, wie glücklich die arme ermüdete Frau war. Und als Ilse in den Hof trat und die Stimme der Mägde hörte, welche vergebens auf sie gewartet hatten, und das ungeduldige Brummen der Rinder, das wie ein Vorwurf an die säumige Herrin klang, da schüttelte sie leise das Haupt, als wenn die Mahnung nicht mehr ihr gelte, sondern einer andern.

      Als sie wieder aus den Wirthschaftsräumen in das goldene Abendlicht trat, mit beflügeltem Schritt, das Haupt gehoben, sah sie erstaunt den Vater neben seinem Reitpferd stehen, bereit zum Aufsitzen, und vor ihm in ruhigem Gespräch den Doctor und den Mann, welchem entgegenzutreten sie in diesem Augenblicke verlegen scheute. Sie näherte sich zögernd. »Wo säumst du, Ilse,« rief der Landwirth, »ich muß fort,« und, in das bewegte Gesicht der Tochter blickend, setzte er hinzu, »es ist nichts Großes. Ein Brief des kranken Oberförsters ruft mich in das Forsthaus, es ist einer von den Hofleuten angekommen, und ich kann mir denken, was sie von mir wollen. Ich hoffe zur Nacht zurück zu sein.« Und dem Doctor nickte er zu: »Wir sehen uns noch vor Ihrer Abreise.« Er trabte dahin und Ilse dankte im Herzen der neuen Botschaft, die ihr leichter machte, ruhige Worte mit den Freunden zu sprechen. Sie folgte neben ihnen dem Wege, auf dem der Vater dahinritt, und bemühte sich, in gleichgültigem Gespräch die Unruhe zu verbergen. Und sie erzählte von dem Jagdschloß im Walde und von der Einsamkeit, in welcher der greise Oberförster unter den Buchen des Forstes hause. Aber es war doch eine spärliche Rede, jedes der ehrlichen Herzen war mächtig bewegt, der Professor und Ilse vermieden einander in die Augen zu blicken, auch dem Freunde gelang nicht, durch leichte Scherze die Leidenschaftlichen in das kleine Treiben dieser Welt herab zu ziehen.

      Da wies Ilse plötzlich mit der Hand auf einen Hohlweg zur Seite, aus welchem mehre schwarze Köpfe auftauchten. »Sehen Sie dort die Indianer der Frau Oberamtmann.« In schnellem Schritt zog eine Reihe wilder Gestalten, eine hinter der andern; voran ein kräftiger Mann in braunem Kittel und verschossenem Hut, einen dicken Stab in der Hand; hinter ihm zwei jüngere Männer, ein bepacktes kleines Pferd führend, auf dem ein Affe in rother Jacke saß; dann Weiber mit Kindern auf dem Rücken; um den Trupp liefen halbnackte Buben und Mädchen, lange schwarze Haare hingen ihnen um die braunen Gesichter СКАЧАТЬ