Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh
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СКАЧАТЬ frostig aus dem dünnen Jäckchen hervorguckten.

      Ein anderes Mal tat er bei der Lektüre des Wandsbecker Boten, den ich unter seiner Anleitung ins Englische übersetzte, eine Äußerung, die so wild und roh war, daß ich ihm erklärte, ich wollte nun keine Stunden mehr bei ihm haben und er solle mir nicht mehr auf mein Zimmer kommen. In wildem Zorn hatte er mich verlassen. Da, gegen Mitternacht, hörte ich, wie kleine Steinchen gegen mein Fenster geworfen wurden. Mein Freund stand unten und forderte mich auf, herunterzukommen; er habe mir etwas zu sagen. Ich tat es, und wir gingen fast bis zum Anbruch des Morgens auf dem Petersplatz auf und ab. Er bekannte, daß er bei seinem Vorsatz, mit eigener Kraft und mit eigener Vernunft Gottes Wort zu treiben und Gottes Reich zu bauen, aus der Friedelosigkeit nicht herauskomme, und versprach, es sollte anders mit ihm werden.

      Vor seinem Abschied aus Basel versammelte er seine Kollegen aus dem Studentenheim und forderte sie aufs ernstlichste auf, nicht so zu studieren, wie er es gemacht habe; dabei würden sie alle verloren gehen. Er pries ihnen als das einzige Mittel der Seligkeit die freie Gnade Gottes an. Als ich ihn spät abends an seinen Postwagen brachte, sagte er zu mir: „Du siehst mich nicht wieder, oder ich bin ein anderer Mensch geworden.”

      Nun nach drei Jahren sollte ich ihn wirklich wiedersehen. Er hatte in seiner ersten Stelle in der Schweiz gegen die Sünden der Regierung, namentlich ihre Sonntagsentheiligung, so geeifert, daß er infolgedessen seines Amtes entsetzt worden war. Aber Bremer Kaufleute, die ihn hatten predigen hören, hatten seine Berufung in jenes dem Staate Bremen gehörige Dorf durchgesetzt. Ich war neugierig, wie ich meinen Freund, den ich als einen blutarmen Bruder Studio verlassen hatte, nun als Pastor wiederfinden würde. Man hatte mich in Bremen schon darauf aufmerksam gemacht, daß er seine Schwester bei sich habe, ein armes Schweizer Landmädchen, das ihm den Haushalt führe, und daß er mit ihr etwas tyrannisch verfahre aus Angst, sie könne vornehm und hoffärtig werden.

      Ich traf meinen Freund, wie er mit strahlender Freude eben seine Hühner fütterte. Während er mich durch seinen großen Obstgarten führte, kletterte er plötzlich auf einen Apfelbaum, der voll Früchte hing, und mit gespreizten Beinen oben im Baum stehend, rief er: „Alle diese Äpfel sind mein.” Dann sprang er in ein Kartoffelfeld und rief wieder: „Alle diese Kartoffeln sind mein.” Den blutarmen Schweizerknaben, der sein ganzes Leben mit Hunger und Not gekämpft hatte, nun im Besitz eines so prächtigen Pfarrhofes zu sehen und all seine Freude zu teilen, war wirklich schön. Seine Schwester hatte uns mit aller Sorgfalt ein Mittagbrot bereitet, und ich hatte es durchgesetzt, daß sie, die sonst nur als Magd aufgewartet hatte, mit uns zu Tische saß. Am Nachmittag sollte auf dem Filialdorf eine Kindtaufe sein. Als ich nun bei Tisch die Schwester fragte, ob sie uns nicht dahin begleiten wolle, war mein Freund mit seiner Geduld am Ende. Er sprang wütend vom Tisch auf und schrie mich an: „Ich wollte, daß du zu Hause geblieben wärest. Meine Schwester soll nicht mit auf Kindtaufen gehen; dann will sie auch feine Kleider haben, und das geht nicht.” Ich war auch nicht faul und sagte: „Ich kann den Weg zu deiner Tür wohl finden. Geht deine Schwester nicht mit, dann nehme ich Abschied.” Da lenkte er ein.

      Ehe wir uns zur Kindtaufe aufmachten, kamen noch Leute, die nach Amerika auswandern wollten. Für diese Auswanderer herrschte die schöne Sitte, daß sie vor ihrem Abschied noch einmal im Pfarrhause das Abendmahl feierten. Vom Nebenzimmer aus hörte ich die Beichtrede meines Freundes über die Worte: „Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen greulich. Der Herr aber ist noch größer in der Höhe.” Da zeigte sich die ganze gewaltige Größe des Mannes. Mit erschütterndem Ernste konnte er Buße predigen und in die tiefsten Abgründe des menschlichen Herzens hinabsteigen, aber ebenso gewaltig dann auch von der Gnade Zeugnis ablegen, die viel größer ist als unsere Sünde.

      Wir hatten dann einen schönen Weg durch Feld und Wald zur Kindtaufe und einige friedsame Abend- und Morgenstunden, in denen mein Freund ganz besonders köstlich und kräftig den Reichtum der Gnade Gottes zum Gegenstande seiner Andachten und Gespräche machte. Dann ließ er mich in Frieden pilgern. Gott hat an diesem merkwürdigen Mann noch viel und ernst zu arbeiten gehabt, bis wirklich die Gnade das stolze Herz zerbrochen und die Schlacken im Schmelztiegel ausgeschmolzen hatte.

      Als ich von da zu meiner lieben alten Mutter nach Velmede zurückgekehrt war, fand ich einen Brief eines andern Baseler Freundes vor, der mir mitteilte, daß er eben in Straßburg sein Examen bestanden habe und bereit sei, meiner Einladung zu folgen und mich in Westfalen aufzusuchen. Es war mein Freund Jules Steeg, mit dem ich in Basel auf eine merkwürdige Weise zusammengeführt worden war. Für jenen unglücklichen Pfarrersohn, der später in der Fremdenlegion so schmerzlich endete, hatte ich in demselben Hause, wo ich in Basel wohnte, ein Zimmer gemietet. Ich hoffte, ihn so etwas mehr unter Augen zu haben und ihm in seiner Not gründlicher beistehen zu können. Aber die Sache hatte sich zerschlagen. Da jedoch das Stübchen einmal gemietet war, so war ich in das nahe Studentenheim gegangen und hatte gebeten, den ersten Studenten, der eine Wohnung suche und sie im Studentenheim nicht mehr bekommen könne, zu mir zu schicken.

      Wenige Stunden darauf trat ein zartes Männchen bei mir ein, bräunlich wie David, mit schwarzen Haaren, aber herzinnig freundlichen Antlitzes, das nicht nur große Intelligenz, sondern auch Feuer der göttlichen Liebe verriet, das aus seinen Augen strahlte. Er fragte in seinem gebrochenen Deutsch nach dem leeren Zimmer, und wir waren schnell eins, daß er bei mir einziehen solle. Sein Vater war im Nassauischen Schuhmacher gewesen und von dort nach Paris gewandert. Dort war er hängen geblieben und hatte eine französische Katholikin geheiratet. Das einzige Kind aus dieser Ehe war dieser Jules. Er wäre vermutlich, wie die meisten Kinder aus gemischten Ehen, in der katholischen Kirche erzogen worden, wenn nicht der rastlose Eifer des Pariser Pfarrers Meyer die Familie entdeckt und die mittellosen Eltern bewogen hätte, den munteren Knaben in dem von Pastor Meyer geleiteten Pensionate der Kirche Billettes aufziehen zu lassen. Er wurde von Pfarrer Meyer konfirmiert, machte mit Hilfe einiger wohltätiger Freunde die höhere Schule in Paris durch und langte nun auf seinem ersten Wege aus seiner Heimatstadt voll glühenden Durstes, das Wort Gottes gründlich erforschen zu können, in Basel an.

      Es dauerte nicht lange, da waren wir beide innige Freunde. Während er mir half, mein Französisch wieder aufzufrischen, wurde ich hauptsächlich sein deutscher Lehrer, und zwar besonders an der Hand der deutschen Lutherbibel, die wir bei unserer täglichen Bibellektion mit dem hebräischen und griechischen Text verglichen. Die Herrlichkeit der Schrift nahm damals das ganze Herz meines Freundes ein, und ich sehe ihn noch, wie er des Morgens einmal in meine Stube gehüpft kam, seine Bibel vor Freude und Lust fest an seine Brust drückend, sodaß ich in ihm recht das Vorbild hatte von dem, was Luther von sich sagt, daß er ein Doktor gewesen sei, hurtig und lustig zur Heiligen Schrift.

      Zugleich war er ganz erfüllt von der Schönheit des geistigen Weinberges, den Gott in Paris, seiner Vaterstadt, mitten in die Wüste hineingepflanzt hatte. Er wurde nicht müde, mir von seinem Pfarrer Meyer zu rühmen und von den durch ihn erweckten Seelen, die in den elenden Gassenkehrer- und Lumpensammlerquartieren von Paris Brunnen gegraben hatten, von deren sprudelndem Wasser es grünte und blühte. Sein großes Verlangen war, dort einmal arbeiten zu dürfen. Er hatte auch seinem Pastor Meyer von unserer Freundschaft geschrieben, und dieser hatte mir schon nach Basel durch ihn sagen lassen, ob ich nicht, statt zu den Heiden in Indien oder Afrika zu gehen, meinen Landsleuten, die im Pariser Heidentum zu versinken drohten, helfen wolle.

      Steegs Freund war der bereits oben erwähnte Schwalb (später Pastor in Bremen). Dieser stammte aus einer armen jüdischen Familie, war, wie Steeg, durch Pastor Meyer in das Pariser Pensionat aufgenommen und von wohltätigen Gliedern der Gemeinde bis zum Studium der Theologie gefördert worden. Er hatte ein Jahr vor uns in Basel studiert und war von da nach Straßburg übergesiedelt, kam aber einige Male zum Besuch seines Freundes Steeg herüber. So lernte ich ihn kennen, und wir machten einmal einen gemeinsamen Weg zu Vater Zeller nach Beuggen.

      Bei unserm Gespräch merkte ich wohl, daß der fröhliche Glaube, den Schwalb aus Paris mitgebracht hatte und der in Basel tiefer gegründet worden war, ins Wanken gekommen war. Er konnte seine Vernunft schlecht gefangen geben unter den Gehorsam des Glaubens, und ich sah öfter einen finsteren und СКАЧАТЬ