Название: Handbuch des Aktienrechts
Автор: Hans-Peter Schwintowski
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811443150
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Das also war und ist das Langfrist-Programm. Praktisch alle aktienrechtlichen Änderungen seit Beginn der 90er Jahre bis ins Jahr 2016 und die für die Zukunft geplanten Maßnahmen lassen sich unter dieses Programm subsumieren – und viel ist auch schon erreicht worden,[83] wenn auch nicht immer in ganz gerader Linie, sondern in permanenten Pendelbewegungen.[84]
5.6 Die Shareholder Value Doktrin
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Die in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verbreitete Shareholder Value Doktrin[85] hatte programmatischen Charakter. Das KonTraG insgesamt stand unter der Wirkung dieser Doktrin. Das Gesetz hat allerdings nicht die Wertsteigerung zu Gunsten der Aktionäre um ihrer selbst willen als Ziel (das wäre kein taugliches rechtspolitisches Ziel), sondern hat umgekehrt die Ausrichtung der Unternehmenspolitik und des Handelns der Organe auf den „Shareholder Value“, besser: auf „Wertsteigerung“, benutzt, um die Unternehmen zum Wohl des Ganzen – und damit natürlich auch aller Stakeholder – ertragsstärker und wettbewerbsfähiger zu machen. Das Streben nach Schaffung von zusätzlichen Werten sollte wieder in den Mittelpunkt des unternehmerischen Handelns und Denkens gestellt werden. Auch wenn der Begriff „Shareholder Value“ heute aus der politischen Mode gekommen ist, so haben die genannten rechtspolitischen Ziele, für die dieser Begriff verwendet wurde, immer noch ihre Berechtigung. Das maßlose Zusammenkaufen von Umsatz unter Erosion der Erträge führt in die falsche Richtung. Ertragskraft sichert Zukunft.
Freilich hat die übertriebene „Shareholder Value Doktrin“ auch negative Folgen gehabt. So hat der massive Druck des Kapitalmarkts zu immer höheren Gewinnausweisen Fehlanreize zum „Accounting for Growth“[86], zur Absenkung des Eigenkapitals wegen der damit verbundenen Erhöhung der Eigenkapitalrendite (Return of Equity – ROE) und zu kreativer Bilanzgestaltung gesetzt. Heute richtet sich die Wirtschaftspolitik mehr auf eine „nachhaltige“ Entwicklung der Unternehmen und auf den Stakeholder Value aus.
Der große Schweizer Wirtschaftsrechtler Forstmoser hat zur Auflösung des Gegensatzes der beiden Glaubenslehren in seiner Abschiedsvorlesung[87] ausgeführt: „Mehrwert für die Aktionäre kann letztlich nur geschaffen werden, wenn das Unternehmen gute Mitarbeiter gewinnt, wenn es bei seinen Kunden und Lieferanten anerkannt ist und wenn es ihm – im Falle von Großunternehmen – gelingt, ein unternehmensfreundliches politisches und gesellschaftliches Umfeld zu sichern. Und ebenso klar ist, dass der Gewinn der Nährboden einer jeden unternehmerischen Tätigkeit und dadurch auch die Basis für eine Förderung aller am Unternehmen Interessierten ist.“ Die Gegensätze lösen sich also auf, wenn man das langfristige Unternehmensinteresse als Leitlinie wählt.
5.7 Reform in kleinen Schritten – Aktienrechtsreform in Permanenz?[88]
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Auch wenn sich also ein grundsätzlicher Reformbedarf plausibel erklären lässt, bleibt doch die Frage: Weshalb erleben wir seit Mitte der 90er Jahre immer wieder kleine Aktienrechtsnovellen und „Reförmchen“? Warum macht der Gesetzgeber nicht eine große Reform? Assmann überschreibt das als „Vom Kodifikationsideal zu Partialänderungen.“[89] Dazu kann man folgendes zu bedenken geben: Nach der Reform von 1965 war, wie oben bereits ausgeführt, lange Zeit gesetzgeberisch wenig geschehen. Der Schwerpunkt lag in dieser Zeit mehr auf der Rechtsfortbildung durch Wissenschaft und Rechtsprechung und auf notwendigen Richtlinienumsetzungen. Dort, wo es ohne Gesetzgeber nicht geht, hatte sich ein Reformstau aufgebaut. Ab Anfang der 90er Jahre hat dann der Gesetzgeber die Zügel wieder aufgenommen.[90]
Die Aktienrechtsreform von 1965 ging noch vom Leitbild der großen Kodifikation aus. Große Kodifikationen benötigen viel Zeit. Wir konnten und können uns einen Reformstillstand über mehrere Jahre heute nicht mehr erlauben. Dafür ist der Veränderungsdruck auch aus dem Ausland auf unser System zu hoch. Des Weiteren vollziehen sich die Veränderungen der äußeren Rahmenbedingungen nur allmählich und fließend und die gesetzgeberische Reaktion darauf sollte geschmeidige Kursanpassung und nicht ruckartiger Pfadwechsel sein (vgl. z.B. die behutsamen gesetzgeberischen Schritte zur Erschwerung des Geschäftsmodells der erpresserischen Aktionäre von UMAG bis ARUG). Zuletzt ist festzustellen, dass die Corporate Governance Reform in Deutschland ein gesellschaftlicher Lernprozess ist, der nach und nach zu einem Umdenken und zu einer grundlegenden Veränderung der Einstellung führt – das erfordert viel Überzeugungsarbeit und einen breiten Diskurs aller Beteiligten. Ein schrittweises Vorgehen macht die Anpassungen leichter vermittelbar und verdaulich. Vieles, was zu KonTraG-Zeiten noch heiß umkämpft war, ist heute Selbstverständlichkeit. Manche sehen sich bei dieser Reform in kleinen Schritten auf einem Flickenteppich wandeln. Sie verkennen, dass es nicht darauf ankommt, ob die Reform in einer oder mehreren Ausgaben des Bundesgesetzblatts verkündet wird, sondern darauf, dass den Änderungen insgesamt eine Strategie zugrunde liegt, ein Plan erkennbar ist und dass sie sich harmonisch in ein kohärentes Gesamtsystem einfügen.
5.8 Deutscher Corporate Governance Kodex
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Die Regierungskommission Corporate Governance, die sog. Baums-Kommission,[91] hatte die Einsetzung einer weiteren Kommission zur Formulierung eines Corporate Governance Kodex[92] für die Unternehmungsleitungen deutscher börsennotierter Gesellschaften empfohlen.[93] Sehr viele Vorschläge der Baums-Kommission bezogen sich auf denkbare Inhalte und Anwendungsbereiche solcher Verhaltensregeln eines künftigen Kodex. Die Regierung griff den Vorschlag der Corporate Governance-Kommission gerne und umgehend auf. Die „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“, kurz: „Kodex-Kommission“, wurde im September 2001 von der Justizministerin Däubler-Gmelin eingesetzt. Die Einsetzung einer solchen Kodex-Kommission zur Formulierung von Corporate Governance-Standards war neu in Deutschland.[94] Wir finden aber vielfältige Modelle hierfür im Ausland.[95]
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Die Kodex-Kommission legte die erste Fassung des Deutschen Corporate Governance-Kodex im Jahr 2002 vor. Das TransPuG von 2002[96] führte unter anderem das Comply-or-Explain-Prinzip in § 161 AktG ein, die gesetzliche Flankierung zur Einsetzung der Corporate Governance Kommission und zur Alleinstellung der Kommission СКАЧАТЬ