Название: Handbuch des Aktienrechts
Автор: Hans-Peter Schwintowski
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Wirtschaftsrecht
isbn: 9783811443150
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4.1 Corporate Governance – ein Thema mit Tradition
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Eine Diskussion um die Optimierung des Regelwerks zu Führung, Kontrolle und Einfluss bei börsennotierten Unternehmen gibt es in Deutschland schon so lange wie die AG existiert. Unter dem Schlagwort Corporate Governance wurde die Diskussion seit Beginn der 1990er Jahre öffentlich geführt und mündete in den Erlass des KonTraG und in der Folgezeit eine Vielzahl von Reformgesetzen. Auslöser waren ursprünglich und immer wieder Unternehmenskrisen, die heute schon zur Wirtschaftsgeschichte des Landes gehören.[62]
4.2 Philipp Holzmann und die Wiederkehr der Corporate Governance Diskussion
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Im Jahr 2000 kam – nach der jahrelangen Diskussion um das KonTraG eigentlich überraschend – eine erneute Corporate Governance-Diskussion über Deutschland. Auslöser war auch diesmal wieder eine Unternehmenskrise, es handelte sich vor allem um Philipp Holzmann – und dieser Fall warf bei näherer Betrachtung auch tatsächlich ganz erhebliche Fragezeichen zur Corporate Governance auf (ein Bauunternehmen, das auf eigene Rechnung milliardenschwere Großprojekte beginnt, die sich offenbar von Anfang an nicht rechnen, verheimlichte Mietgarantien, Defizite im Controlling und in der Rechnungslegung). Man konnte politisch zwar sagen, das KonTraG sei durch diese Krise nicht widerlegt, sondern habe nur noch nicht die Zeit gehabt, zu greifen.[63] Aber die politische Diskussion war wieder da. Die politische Corporate Governance Diskussion und Gesetzgebung ist stets skandalgetrieben.
4.3 Die Regierungskommission Corporate Governance
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Auf Initiative des Kanzleramts wurde im Mai 2000 die Regierungskommission Corporate Governance eingesetzt.[64] Sie hatte mit Theodor Baums einen herausragenden Wissenschaftler als Vorsitzenden. Sie war zudem überwiegend mit hochrangigen Praktikern aus Industrie, Versicherungs- und Kreditwirtschaft, neuen Medien, Gewerkschaften und Börse besetzt. Sie legte ihren zahlreiche Aspekte des Aktienrechts und der internationalen Entwicklung abdeckenden Bericht im Juli 2001 vor.[65]
4.3.1 Brain Storming
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Die Regierungskommission Corporate Governance beschränkte sich thematisch nicht auf den Kern der bisherigen Corporate Governance-Diskussion, wie etwa Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat. Die Kommission wählte vielmehr einen sehr breiten Ansatz und machte in einer Art Brain Storming eine Umfrage bei allen maßgeblichen Verbänden und vielen in- und ausländischen Experten.[66]
4.3.2 Vielzahl punktueller Änderungsvorschläge
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Die Kommission empfahl keine Gesamtreform des deutschen Aktienrechts, sondern nur eine Revision in zahlreichen Einzelpunkten; insgesamt waren es ca. 150 Vorschläge. Interessanterweise hat die High Level Group der EU-Kommission (sog. Wintergruppe) in der Folgezeit denselben Ansatz gewählt. Es war (und ist) nicht die Zeit der großen Kodifikationen.
Unter dem Eindruck der Empfehlungen der Kommission folgten nach dem Gesetz für kleine Aktiengesellschaften, dem KonTraG, dem StückAG und dem NaStraG Schlag auf Schlag weitere Novellen. Woran liegt es, dass unser Aktienrecht in so vielen Punkten reformbedürftig war und ist? Gibt es einen Plan, der hinter der Corporate-Governance-Gesetzgebung seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts steht? Diesen Fragen soll im nächsten Abschnitt (5) nachgegangen werden.
1. Kapitel Geschichte und Zukunft des Aktienrechts › III. Bisherige Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland › 5. Leitlinien der aktienrechtlichen Corporate Governance Gesetzgebung der 90er Jahre und des beginnenden 21. Jahrhunderts
5.1 Die Arbeit am Deutschen Corporate Governance System
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Das Deutsche Corporate Governance-Regelwerk ist ein System. Systemhaftigkeit bedeutet Komplementarität der Systemelemente und Konsistenz der Merkmalausprägungen.[67] Bei jeder Änderung einer einzelnen Komponente muss man die Auswirkung auf alle anderen bedenken. Vereinfachend wird oft das deutsche System „interner“ dem angloamerikanischen System „externer“ (verstärkt auf Marktkontrollen setzender) Corporate Governance gegenübergestellt.[68] Jedenfalls hat unser System in der Vergangenheit, also vor allem in den Wirtschaftswunderjahren, gute Ergebnisse ermöglicht und auch die Finanzkrise der Jahre 2008 f. sehr gut überstanden. Das hat das Selbstbewusstsein vor allem gegenüber Kritik aus dem anglo-amerikanischen Bereich deutlich gestärkt.
5.2 Die Ursachen des Reformbedarfs
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Unser deutsches aktienrechtliches Corporate Governance System ist auf dem Boden ganz bestimmter ökonomischer und gesellschaftlicher Bedingungen gewachsen.[69] In dem Maße, wie die äußeren Bedingungen sich verändern, entsteht kontinuierlich Anpassungs- und Reformbedarf. Unabhängig von vorübergehenden Börsenhaussen und -baissen lassen sich folgende langfristige Veränderungen der äußeren Systembedingungen festhalten:
– | Die Globalisierung der Weltwirtschaft und die Internationalisierung der Finanzmärkte; |
– | Eine Verschiebung weg von der Fremd- und Innenfinanzierung und dem Hausbankenverhältnis hin zur Eigenkapitalfinanzierung über die Börse. |
– | Spiegelbildlich dazu veränderte sich das Verhalten der Anleger; der Trend ging weg vom Sparbuch hin zur Risikokapitalanlage und bei der Altersversorgung hin zur Kapitalstockfinanzierung. |
– | Deutsche Unternehmen befanden sich bisher zumeist im Kontrollbesitz von Großaktionären (Familien, Banken, Versicherungen, wechselseitige Beteiligungen). Wir konstatieren in den letzten 25 Jahren ein Aufbrechen der sog. Deutschland-AG, einen Rückzug der Banken aus den industriellen Beteiligungen, eine Veränderung der Aktionärsstruktur hin zu einem höheren Anteil von Streubesitz oder Beteiligungen von Private-Equity-Fonds, vermehrte Börsengänge (jedenfalls bis zum Platzen der Neuer-Markt-Euphorie um 2001), sowie einen wesentlich höheren Anteil ausländischer Aktionäre, insbesondere institutioneller Anleger, darunter auch sog. Aktive und aktivistische Investoren (Hedgefonds etc.). |
5.3 Die Wirkungen des veränderten Umfeldes
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Bekanntlich ist die politische Corporate Governance Debatte in Deutschland weniger grundlagen-theoretisch als skandalgetrieben. Das erklärt den amplitudenförmigen Diskussionsverlauf. Skandale und Unternehmenskrisen sind aber nur die äußeren Anlässe, der wahre Motor des andauernden Reformprozesses beruht auf den oben beschriebenen Änderungen der ökonomischen Einflüsse auf unser System. Das erfordert keinen radikalen Umbruch, aber allmähliche Anpassungen. Aus diesen Verschiebungen СКАЧАТЬ