Название: Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren
Автор: Steffen Stern
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811436589
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Crime profiling hat allerdings auch in der Bundesrepublik schon zu vereinzelten Ermittlungserfolgen geführt. Durch Analyse seines von Psychologen detailgenau zusammengefügten Charakterbildes konnte vor mehreren Jahren die Polizei eine wirksame Strategie entwickeln, den ausgebrochenen „Heidemörder“ Thomas Holst zu veranlassen, sich freiwillig den Strafverfolgungsbehörden zu stellen.
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Ist der Täter gefunden, stellt sich die Frage nach der subjektiven Tatseite. Welche Vorstellungen oder Affekte haben ihn beherrscht? War er uneingeschränkt schuldfähig? Ist er als potenziell gefährlich einzustufen? Hier sind die Psychowissenschaften gefragt. Längst nicht in jedem Fall sind sich die Psycho-Sachverständigen in der Beurteilung der Täterpersönlichkeit oder des Tatgeschehens einig.
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In Ausübung seiner Kontroll-, Entlastungs- und Schutzfunktion hat der Verteidiger, ausgehend von der Sachdarstellung des Mandanten, jeden auch nur ansatzweise zweifelhaft erscheinenden Befund akribisch zu überprüfen. Hierbei gehört das Studium einschlägiger Fachliteratur ebenso zum Handwerkszeug wie die Konsultation von Experten. Immer wieder sind in Schwurgerichtsverfahren schwerwiegende Versäumnisse, Fehleinschätzungen und Irrtümer von Sachverständigen oder Kriminaltechnikern aufzudecken. Aufklärungsdefiziten ist mit Ermittlungsanträgen oder eigenständigen Nachforschungen zu begegnen. Das Aufspüren von Entlastungsbeweisen kann in Kapitalstrafsachen von überragender Bedeutung sein und im Wirken der Verteidigung einen breiten Raum einnehmen[20]. Schließlich ist nach eingehender Beratung mit dem mord- oder totschlagsverdächtigen Beschuldigten verantwortlich zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er sich zur Sache äußert bzw. an Explorationen mitwirkt – wohl eine der schwierigsten Fragen überhaupt. Inhalt, Umfang, Zeitpunkt und Form der Einlassung entscheiden womöglich über den Verfahrensausgang und somit über die Zukunft des Mandanten.
Anmerkungen
BGH Urt. v. 20.05.2003 – 5 StR 592/02; Zum Todesbegriff siehe Rn. 152 ff.
Zur Todesursächlichkeit einer Handlung siehe Rn. 176 ff.
Vgl. Blankenburg/Sessar/Steffen, Die Staatsanwaltschaft im Prozess strafrechtlicher Sozialkontrolle, 1978, S. 262.
Vgl. etwa BGH Urt. v. 03.03.2000 – 2 StR 388/99, NStZ-RR 2000, 329 = StV 2000, 556.
BGH Urt. v. 08.04.1960 – 4 StR 2/60, BGHSt 14, 213 [217] = NJW 1960, 1261.
Lesenswert OLG Oldenburg Urt. v. 26.02.1996 – Ss 486/95, NStZ-RR 1996, 240.
BGH Urt. v. 24.01.2003 – 2 StR 215/02, BGHSt 48, 183 = NStZ 2003, 444 = StV 2003, 269.
Siehe im Einzelnen BGH Urt. v. 11.12.2008 – 4 StR 376/08, NStZ 2009, 404 = StV 2009, 509.
Siehe Näheres hierzu Rn. 501.
Siehe Näheres hierzu Rn. 277.
Siehe Näheres hierzu Rn. 2128.
Zur Verteidigung in Geständnis-Widerrufs-Fällen vgl. Stern, StV 1990, 563.
StatBA – Gesundheit – Todesursachen in Deutschland, 2010, S. 1.
BGH Urt. v. 28.10.2010 – 4 StR 285/10, NStZ-RR 2011, 50.
Jüngling, Kriminalistik 1986, 524: „Um 2500 Jahre verschätzt“.
Hierzu etwa Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, 1980, S. 66/67.
BGH Beschl. v. 27.10.2005 – 1 StR 218/05, NStZ-RR 2006, 48 = StV 2006, 62.
Harbort, Ein Täterprofil für multiple Raubmörder, Kriminalistik 1998, 481; Pead, Psychologische Täterprofile, Kriminalistik 1994, 335.