Название: Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren
Автор: Steffen Stern
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811436589
isbn:
104
Mittlerweile liegt der Regierungsentwurf eines „Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung“ vom 30.03.2012[12] vor, das, sofern es die parlamentarischen Hürden nimmt, am 01.06.2013 in Kraft treten soll.
3. Sonstige Gesetzesänderungen mit Bezug zum Kapitalstrafrecht
105
Daneben hat es aber auch seit 2005 weit weniger spektakuläre Gesetzesänderungen gegeben, deren Wirkung bis ins Schwurgerichtsverfahren hineinreicht. In nicht geringer Zahl kommt es im Vorfeld von tödlich endenden Beziehungsdramen zu Nachstellungen und Bedrohungen durch eifersüchtige Männer, die von ihrer Intimpartnerin verlassen worden sind. Das seit 2002 geltende Gewaltschutzgesetz (GewSchG) hat mit dem neuen § 238 StGB[13] seine konsequente Flankierung gefunden. Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unter dem englischen Begriff „Stalking“ diskutierte unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmtes Drohen im Sinne des § 238 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 StGB.
106
Zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber mit Gesetz vom 17.07.2007[14] durch einen geänderten § 126a Abs. 2 S. 2 StPO endlich auch für einstweilig Untergebrachte die besondere Haftprüfung eingeführt hat. Zugleich ist durch Änderung des § 64 StGB der Rechtsprechung des BVerfG[15] und des BGH[16]. Rechnung getragen worden, wonach Voraussetzung einer Anordnung nach § 64 StGB die positive Feststellung einer konkreten Erfolgsaussicht sei.
107
Weitreichende Konsequenzen für Kapitalstrafverfahren hat das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 mit sich gebracht, das am 01.01.2010 in Kraft getreten ist[17]. Der festgenommene Beschuldigte, der nach bisher geltendem Recht erst zu Beginn seiner Vernehmung als Beschuldigter über seine Rechte zu belehren war, muss künftig unverzüglich nach seiner Festnahme umfassend über seine Rechte aufgeklärt werden – und dies in schriftlicher Form. Überdies ist ihm im Ermittlungsverfahren nicht erst nach Monaten, sondern bereits zu Beginn der Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger beizuordnen[18]. Und auch das Akteneinsichtsrecht des Untersuchungsgefangenen wurde den Vorgaben des EGMR entsprechend ausgebaut.
108
Seit Wiedereinführung einer 1999 ausgelaufenen Kronzeugenregelung können die Gerichte jetzt wieder bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung anderer Taten beitragen, die Strafe mildern oder ganz von Strafe absehen[19]. Gegenüber einem Mörder kann das Gericht die Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten dadurch honorieren, dass es anstelle der eigentlich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe nur eine zeitige Freiheitsstrafe zwischen 10 und 15 Jahren verhängt (§ 46b Abs. 1 S. 1 StGB).
Teil 1 Einführung › B › II. Ausbau von Opferrechten
II. Ausbau von Opferrechten
109
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Verletzten und Zeugen im Strafverfahren (2. Opferrechtsreformgesetz) vom 29.07.2009[20], das am 01.10.2009 in Kraft getreten ist und an das Opferrechtsreformgesetz von 2004 anknüpft, sind die im Strafverfahren bestehenden Rechte von Geschädigten und Zeugen erneut erweitert worden. Die ursprünglich – ganz nebenbei – in den Gesetzentwurf aufgenommene Verpflichtung, einer polizeilichen Vorladung Folge zu leisten (§ 163 Abs. 4–E–), hat zum Glück keine parlamentarische Mehrheit gefunden. Eine Erscheinungs- und Aussagepflicht besteht also weiterhin nur bei richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Vorladungen.
Teil 1 Einführung › B › III. Neuere Rechtsprechungstendenzen
1. Vollstreckungslösung bei konventionswidriger Verfahrensverzögerung
110
Mit der Grundsatzentscheidung des Großen Senats, rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen im Wege einer Vollstreckungslösung zu kompensieren[21], ist nun bei der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe ein Härteausgleich für erledigte, an sich gesamtstrafenfähige Vorstrafen im Wege der Anrechnung per Vollstreckungsfiktion zu gewähren[22].
2. Keine Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldeter Trunkenheit
111
Der sich vor 10 Jahren ankündigende Rechtsprechungstrend, noch weniger Nachsicht mit Mord- und Totschlagsverdächtigen zu üben, hat sich verfestigt. Es hatte sich schon klar abgezeichnet: Von Ausnahmefällen abgesehen[23] kommt nach der neueren Rechtsprechung des BGH bei selbstverschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung in der Regel nicht mehr in Betracht[24].
3. Keine unbedingte Unverwertbarkeit bei fehlender qualifizierter Belehrung
112
Der unbelehrt einvernommene Beschuldigte ist nunmehr zu Beginn der Folgevernehmung zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hinzuweisen, dass wegen der bis dahin unterbliebenen Belehrung die zuvor gemachten Angaben unverwertbar seien (sog. qualifizierte Belehrung)[25]. Da der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung aber nach Auffassung des BGH nicht dasselbe Gewicht hat wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln[26].
113
Es bedarf keiner Hervorhebung, dass sich mit dieser Rechtsprechung ein dramatischer Rückschritt vollzieht. Mit seiner über alle Strafsenate hinweg abgestimmten Grundsatzentscheidung vom 27.02.1992[27], ein Verwertungsverbot für Belehrungsfehler unabhängig von der Schwere des Vorwurfs und losgelöst davon anzuerkennen, ob es sich um eine bewusste Belehrungsfinte oder ein bloßes Versehen des Beamten gehandelt hat, hatte der 5. Strafsenat in verdienstvoller Weise erstmals eine konsistente Lösung gefunden, die Rechtssicherheit bot und den Rechtsanwender von schwierigen, oftmals willkürlich anmutenden Abwägungen zum „Unrechtsbewusstsein“ des jeweiligen Beamten befreite. Es ist in keiner Weise einleuchtend, dass ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur „qualifizierten“ Belehrung anders zu behandeln ist als sonstige ganz „normale“ Belehrungsmangelfälle[28].
4. Keine Entlastungsmöglichkeit durch freiwilligen Polygraphentest
114
Nach wie vor ist nach Auffassung des BGH[29] der freiwillige, vom Tatverdächtigen zu seiner Entlastung beantragte Polygraphentest als Beweismittel weder geeignet noch СКАЧАТЬ