Название: Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren
Автор: Steffen Stern
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811436589
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5. Keine Strafbarkeit erbetener Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch
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Der 2. Strafsenat des BGH hat in einem viel beachteten Grundsatzurteil zur Sterbehilfe am 25.06.2010 entschieden, dass die Behandlung eines unheilbar erkrankten Patienten straflos abgebrochen werden darf, wenn dies dessen zuvor geäußertem Willen entspricht. Bei bewusstlosen Patienten sei allein deren mutmaßlicher Wille maßgeblich. Freigesprochen wurde ein Anwalt, der seiner Mandantin zugeraten hatte, den Ernährungsschlauch ihrer seit Jahren im Wachkoma liegenden Mutter zu durchtrennen[33].
Teil 1 Einführung › B › IV. Reformbestrebungen
1. Überlegungen zur weiteren Verschärfung von Jugendstrafen
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Auf der Agenda steht auch die weitere Verschärfung des Jugendstrafrechts[34]. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag vom Oktober 2009 vereinbart, im Jugendstrafrecht die Höchststrafe für Mord auf 15 Jahre anzuheben[35]. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 16/13142) auf eine Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 16/8146) hervorgeht, ist nicht beabsichtigt, das Strafmündigkeitsalter herabzusetzen.
2. Härtere Strafen für Hassdelikte
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Der Bundesrat hat am 02.03.2012 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Aufnahme menschenverachtender Tatmotive als besondere Umstände der Strafzumessung verabschiedet, das durch Änderung des § 46 StGB eine härtere Bestrafung von Täter erreichen will, die aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Motiven gehandelt haben[36].
3. DNA-Wiederaufnahme zuungunsten Freigesprochener?
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Aus aktuellem Anlass war über eine Erweiterung der Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten eines Freigesprochenen nachgedacht worden. Im Dezember 1993 kam es in Düsseldorf zu einem Überfall auf eine Videothek. Der Täter fesselte die Angestellte, stülpte ihr eine Plastiktüte über den Kopf und verschloss diese mit Klebeband so fest am Hals, dass die 28-Jährige qualvoll erstickte. Ihr Mörder flüchtete mit 650 DM aus der Tageskasse. Der mutmaßliche „Videothekenmörder“ Werner P. wurde kurz darauf gefasst, aber 1994 vom Gericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. 2006 wurde bei einem Routineabgleich an einem Klebeband, das als Mordwerkzeug gedient hatte und 1993 am Tatort – in der Videothek – gefunden worden war, genetisches Material des 1994 freigesprochenen Mannes gefunden. Dieser hatte 80.000 DM Entschädigung für die „zu Unrecht“ erlittene Untersuchungshaft erhalten.
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Mord verjährt zwar nicht, doch wer einmal rechtskräftig freigesprochen wurde, darf infolge Strafklageverbrauchs später nicht noch einmal wegen desselben Tatvorwurfs angeklagt werden. Die Bundesländer Bayern und NRW haben daraufhin einen Gesetzesentwurf für Fälle eingebracht, in denen der zu Unrecht Freigesprochene mit Hilfe neuer wissenschaftlich anerkannter Untersuchungsmethoden doch noch überführt werden kann[37]. Die Diskussion um die Einführung eines dieser Situation Rechnung tragenden neuen Wiederaufnahmegrundes ist mittlerweile verstummt, nachdem der Tatverdächtige Werner P. verstorben ist.
Anmerkungen
Köhne, Mord und Totschlag – Die notwendige Reform der vorsätzlichen Tötungsdelikte, NStZ 2007, 165; s. auch Kreuzer, StV 2007, 598.
Vom 26.01.1998, BGBl. I, 160; hierzu Schöch, NJW 1998, 1257.
6. StrRG vom 26. 01.1998, BGBl. I, 164 ff.; Überblick bei Stächlin, StV 1998, 98 und Kreß, NJW 1998, 633 sowie Sander/Hohmann, NStZ 1998, 273.
Polizeiliche Kriminalstatistik Bundesrepublik Deutschland, Berichtsjahr 2003 (BKA 2004), S. 133. Erheblich zugenommen haben allerdings erneut die erfassten Fälle gefährlicher und schwerer Körperverletzung; S. 231.
Überblick Rn. 1451.
Gesetz zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung und begleitende Regelungen v. 22.10.2010, BGBl. I 2300.
EGMR Urt. v. 17.12.2009 – 19359/04, NStZ 2010, 263 = StV 2010, 181, rechtskräftig seit 10.05.2010.
Abdruck im Wortlaut Rn. 2966.
Hierzu ausführlich Rn. 2965.
BVerfG Urt. v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326 = NStZ 2011, 450 = StV 2011, 470.
Näheres Rn. 1464.
BTDrs. 173/12, s. Rn. 1461.
Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen, 40. StÄG vom 22.03.2007 [BGBl. I S. 354]; hierzu Mosbacher, NStZ 2007, 665