Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Dennis Bock
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811455566
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(3) Mit Ausnahme von § 248b StGB schützen die Eigentumsdelikte den Besitz als solchen nicht. Die Entziehung des Besitzes durch Wegnahme ist also straflos, wenn die Sache zurückgegeben werden soll, selbst wenn der Besitz für den Betroffenen von hohem Wert ist.[107] Gleiches gilt für Pfandflaschen: wer einem anderen eine sogenannte „Individualflasche“ wegnimmt, negiert bei ihrer Rückgabe nicht das Eigentum des Herstellers und macht sich – wenn ihm eine gegenteilige Absicht nicht nachweisbar ist – nicht strafbar.[108] Diese Rechtsprechung führt zu dem wenig nachvollziehbaren Ergebnis, dass in einem Beutel mit Pfandflaschen einige dem Eigentumsschutz unterfallen, andere hingegen nicht.[109]
(4) Die herrschende Lehre, die Raub und räuberische Erpressung als einander ausschließende, in einem Exklusivitätsverhältnis stehende Delikte begreift,[110] kann den Täter, der eine Sache ohne Zueignungsabsicht gewaltsam wegnimmt, nicht nach § 249 StGB bestrafen; lässt er sich die Sache hingegen geben, kann im erzwungenen Besitzverlust ein Schaden liegen, so dass §§ 253, 255 StGB eingreifen.
(5) Eine an die vollendete Wegnahme anschließende Gewaltanwendung zur Besitzerhaltung wird als räuberischer Diebstahl nach § 252 StGB bestraft. Wird hingegen die Rückforderung einer durch Täuschung entzogenen Sache mit Gewalt verhindert, so handelt es sich mangels weiteren Vermögensschadens regelmäßig um eine straflose Sicherungserpressung.[111]
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Sachliche Gründe für diese Selektivität des Vermögensschutzes sind nicht ersichtlich. So werden an die Strafbarkeit von Raub und räuberischer Erpressung (Konstellation 2) unterschiedliche Anforderungen gestellt (Zueignungsabsicht des Täters für § 249 StGB und ein negativer Gesamtvermögenssaldo für §§ 253, 255 StGB), obwohl sich die Tathandlungen in ihrem Unrechtsgehalt nicht unterscheiden und ihre Abgrenzung in der Regel von zufälligen situativen Umständen abhängt. Dass es sich hier um ungewollte Wertungswidersprüche handelt, zeigen die Bestrebungen, auftretende „Lücken“ durch weite Auslegung[112] oder die Schaffung neuer Tatbestände[113] zu schließen. Die im StGB vorgenommene Trennung zwischen Eigentum an beweglichen Sachen und sonstigen Vermögenspositionen ist keineswegs zwingend. So findet sich eine solche Unterscheidung etwa im US-amerikanischen Recht nicht: Bewegliches und unbewegliches Eigentum kann nach Sec. 223.2. des Model Penal Codes gleichermaßen Gegenstand des Diebstahls („theft“) sein.[114] Eine einheitliche Regelung von Angriffen gegen verschiedene Eigentums- und Vermögenspositionen vermeidet die Divergenzen, die im deutschen Recht durch die unterschiedliche Formulierung von §§ 242, 249 StGB und §§ 263, 253, 255 StGB entstehen. Die Gestaltung des deutschen Vermögensstrafrechts beruht hier auf einer tradierten, naturalistischen Unterscheidung von Vermögenswerten und folgt keiner überzeugenden normativen Logik.
1. Vermögensschaden und Dispositionsfreiheit
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Tatbestände zum Schutz des Vermögens im engeren Sinne setzen voraus, dass dem Opfer ein Vermögensschaden zugefügt wird (vgl. §§ 253, 263, 266 StGB). Die Bestimmung des Vermögensschadens ist in Rechtsprechung und Schrifttum hoch umstritten. Uneinigkeit besteht hier sowohl mit Blick auf die grundlegende Interpretation des Vermögensbegriffs (Rn. 11 ff.) als auch hinsichtlich einer Vielzahl von Einzelfragen der Saldierung und der Anerkennung spezieller Schadensarten, etwa beim Sportwettbetrug, dem Erfüllungs- oder dem Anstellungsbetrug.[115]
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Nach fast einhelliger Meinung ist der Vermögensschaden objektiv zu bemessen: Ein Schaden ist anzunehmen, wenn nach einer Saldierung der vermögenswerten Zu- und Abflüsse eine Minderung des Gesamtvermögens eingetreten ist.[116] Von §§ 263, 266 StGB nicht geschützt ist damit die Dispositionsfreiheit des Betroffenen über sein Vermögen,[117] solange kein negativer Saldo entsteht oder der Zugriff auf das Vermögen vollständig entzogen[118] wird. Das Erfordernis einer rechnerischen Vermögenseinbuße führt zu nicht unwesentlichen Einschränkungen des strafrechtlichen Schutzes vor Täuschungen. Veranlasst der Täter einen Anderen durch Vorspiegelung falscher Tatsachen zum Abschluss eines Vertrages, so macht er sich nach § 263 StGB nur strafbar, wenn sich Leistung und Gegenleistung wirtschaftlich nicht entsprechen. Die Täuschung über Umstände, die den Verkehrswert der Sache entscheidend mitbestimmen, erfüllt daher für sich genommen nicht den Tatbestand des Betruges. Verkauft der Täter etwa ein Plagiat als Original,[119] so liegt ein Schaden allein dann vor, wenn die übergebene Sache den vereinbarten Preis nicht wert ist; dass sie im Wert hinter dem versprochenen Original zurückbleibt, ist hingegen irrelevant, da das Ausbleiben eines erhofften Gewinns keinen Schaden darstellt.[120] Damit sind Geschäftsmodelle strafrechtlich nicht zu beanstanden, bei denen dem Kunden bewusst irreführend ein besonders günstiges Angebot suggeriert, aber das Produkt letztlich zum marktüblichen Preis verkauft wird.
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Dieses Ergebnis wird von den Vertretern der personalen Vermögenslehre zu Recht bestritten.[121] Sie verstehen Vermögen als das einer Person zustehende wirtschaftliche Entfaltungspotenzial und damit als Grundlage für die Freiheitsausübung durch finanzielle Mittel.[122] Auf diese Weise verschiebt die personale Vermögenslehre den Schwerpunkt des Vermögensschutzes von dem Erhalt des wirtschaftlichen Bestandes zu einer Gewährleistung individueller Dispositionsfreiheit.[123] Folgerichtig wird der Vermögensschaden nicht auf einen objektiven materiellen Verlust beschränkt, sondern bezieht auch Ausgaben ein, die aus Sicht des Vermögensträgers den vereinbarten Zweck verfehlen. Bei Lieferung eines Aliud wird die verfügungsbedingte Einbuße an wirtschaftlicher Potenz nicht durch einen für den Träger relevanten Gegenwert kompensiert. Seine Ausgabe bleibt eine Fehlinvestition, auch wenn er im Austausch eine zwar finanziell angemessene, aber von ihm nicht gewünschte Gegenleistung erhält.[124]
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Obwohl die herrschende wirtschaftliche Lehre den personalen Vermögensbetriff ablehnt, korrigiert sie in besonders gravierenden Fällen die Ergebnisse der objektiven Saldierung durch den Gedanken des „persönlichen Schadenseinschlags“.[125] Trotz eines marktgerechten Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung soll ein Vermögensschaden dann vorliegen, wenn (1) „dem Opfer Mittel entzogen werden, die für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner sonstigen Verbindlichkeiten sowie für eine angemessene Wirtschafts- und Lebensführung unerlässlich sind“, (2) „das Opfer zu weiteren vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird“ oder (3) „das Opfer die Gegenleistung nicht oder nicht in vollem Umfang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann.“[126] Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze beschränken sich jedoch auf wenige Ausnahmekonstellationen. So soll es auch bei dem Erwerb ungeeigneter Leistungen (Fallgruppe 3) an einem Vermögensschaden fehlen, wenn der Geschädigte für eine ihm unter Androhung von Gewalt verkaufte Sache „mit zumutbarem Einsatz“ einen kompensatorischen Gegenwert erzielen könnte.[127] Damit wird aber dem Opfer der Tat aufgegeben, den ihm zugefügten Nachteil durch eigeninitiative Weiterveräußerung des für seine Zwecke nutzlosen Gegenstandes abzuwenden.
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Der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre wird vorgehalten, dass sie durch die Lehre vom persönlichen Schadenseinschlag entgegen ihrer theoretischen Grundannahme die individuelle Dispositionsfreiheit schützen.[128] Zwar rekurriert das Modell auf wirtschaftliche Elemente, letztlich wird der Vermögensschaden jedoch durch СКАЧАТЬ