Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Dennis Bock
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811455566
isbn:
45
Gegen das Argument, die vorliegend vertretene Ansicht würde zu einer vom Wortlaut her nicht angezeigten unterschiedlichen Auslegung der Nötigungsmittel in § 240 StGB einerseits und § 253 StGB andererseits führen und den mit vis absoluta handelnden Täter im Rahmen des § 253 StGB privilegieren, lässt sich einwenden, dass in den meisten Fällen der vis absoluta die Raubdelikte, §§ 249 ff. StGB, greifen und (in denjenigen wenigen Fällen, in denen dies nicht so ist) der Gesetzgeber diesbezüglich gerade eine bewusste Entscheidung in diese Richtung getroffen hat. Zudem ist es auch nicht zwingend, dass der mit vis absoluta vorgehende Täter die Rechtssphäre des Opfers in schwerwiegenderer Weise beeinträchtigt als der lediglich willensbeugende Täter.[109]
1. Einführung
46
In gleicher Weise wie der Raub, so ist auch die Erpressung durch die Kombination eines Angriffs auf einen Sachwert und einen Angriff auf einen Persönlichkeitswert charakterisiert. Beim Sachwert geht es bei der Erpressung jedoch um das „Vermögen“ (= Vermögensverschiebungsdelikt), während es beim Raub um das „Eigentum“ geht (= Eigentumsverschiebungsdelikt). Der Persönlichkeitswert lässt sich – wie bei § 240 StGB – als „Willensfreiheit“ bezeichnen. Im Gegensatz zum Betrug wird die Vermögensverschiebung bei der Erpressung also durch eine Nötigung (und nicht durch eine Täuschung) erreicht.[110]
47
Der erpresserische Angriff auf das Vermögen kann nur funktionieren, wenn zugleich ein wertvolleres Rechtsgut als das Vermögen bedroht wird, wobei der Täter seinem Opfer die Abwendung dieser Bedrohung durch die Hinnahme eines Vermögensschadens als dem „kleineren Übel“ ermöglicht. Die Erpressung tangiert also in aller Regel drei Rechtsgüter: (1) Das Vermögen als eigentliches Ziel des Täters; (2) alternativ ein wertvolleres Rechtsgut, welches der Täter durch Gewalt oder Drohung beeinträchtigt und (3) die Willensfreiheit, weil das Opfer durch die Drohung mit der Beeinträchtigung des wertvolleren Rechtsgutes zur Hinnahme eines (Vermögens-)Schadens veranlasst werden soll. Der Tatbestand des § 253 StGB erfasst vom geschützten Rechtsgut her allerdings nur den Angriff auf das Vermögen und den Angriff auf die Willensfreiheit.[111] Nicht unmittelbar einschlägig ist die Bedrohung des oben unter (2) genannten „wertvolleren Rechtsguts“. Falls die Bedrohung dieses wertvolleren Rechtsguts ausnahmsweise schon einen versuchten Angriff auf dieses Rechtsgut darstellt (z.B. eine versuchte Tötung als „Druckmittel“), besteht mit § 253 StGB Tateinheit.
2. Die Nötigungsmittel
48
Der Täter muss gegenüber dem Opfer ein besonderes Nötigungsmittel zum Einsatz bringen. Das Gesetz nennt dabei in § 253 StGB die Nötigungsmittel „Gewalt“ oder „Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Diese Elemente sind identisch mit denjenigen der (einfachen) Nötigung, § 240 StGB, weswegen an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann.[112]
49
Insbesondere die bei der Nötigung diskutierten Probleme der Weite des Gewaltbegriffs[113] tauchen auch bei der Erpressung in gleicher Weise wieder auf. Wer allerdings, wie hier, für das Vorliegen einer Erpressung in Abgrenzung zum Raub eine (freiwillige) Vermögensverfügung des Opfers verlangt,[114] muss vis absoluta als Nötigungsmittel ausschließen.[115] Als Tatmittel der Gewalt kommt also nur vis compulsiva in Betracht. Diese Frage stellt sich allerdings bei der einfachen Erpressung nicht, da vis absoluta ohnehin nur gegenüber „Personen“ eingesetzt werden kann und in diesem Fall dann nur die räuberische Erpressung einschlägig sein könnte.[116] Bei der einfachen Erpressung, § 253 StGB, kann daher Gewalt stets nur in Form der vis compulsiva und auch nur derart ausgeübt werden, dass sie, wie z.B. durch die Einwirkung auf Sachen, mittelbar gegen den Körper des Opfers wirkt.[117] Denn ein Wesenselement der Gewalt ist die physische (und nicht nur rein psychische) Zwangswirkung auf das Opfer.[118] Beispiele sind das Abdrehen von Strom, Heizung und Wasser[119] bzw. das Ausräumen einer Wohnung,[120] um den Mieter zum Auszug zu bewegen.[121] Eine Gegenansicht sieht in einer solchen mittelbaren Einwirkung auf den Körper des Opfers, die mit einer körperlichen Zwangswirkung verbunden ist, aber bereits eine Auswirkung von Gewalt gegen eine Person selbst, sodass eine Gewalt durch die Einwirkung auf Sachen nie tatbestandmäßig sein kann (und höchstens eine konkludente Drohung darstellt).[122] Eine solche konkludente Drohung (und keine Gewalt) kann aber auch in denjenigen Fällen angenommen werden, in denen es an der physischen Zwangswirkung fehlt, wie z.B. beim Zerkratzen des Autos oder der Tötung lieb gewonnener Haustiere.[123] Der Einsatz besonders schwerwiegender Nötigungsmittel (Gewalt gegen eine Person, Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben) kann dagegen zu § 255 StGB führen.[124] Eine konkludente Drohung kann ferner auch darin liegen, dass ein von einem Dritten bereits zugefügtes Übel lediglich erneut ausgenutzt wird.[125]
50
Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines Übels, auf dessen Eintritt der Drohende einen Einfluss zu haben vorgibt.[126] Dabei ist zu beachten, dass sich die Drohung bei der einfachen Erpressung nicht auf eine Gefahr gegen Leib oder Leben des Opfers beziehen darf (sonst läge eine räuberische Erpressung vor). Es müssen also andere Rechtsgüter oder Interessen betroffen sein, wie z.B. die Freiheit, die Ehre oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch die Drohung mit dem Verlust der Arbeitsstelle fällt hierunter.[127] Ferner kann auch die Ankündigung, jemanden durch eine Presseveröffentlichung bloß zu stellen und dadurch dessen Ruf zu schädigen, ein empfindliches Übel darstellen.[128] Auch die Zufügung seelischen Leids kann ein empfindliches Übel bedeuten.[129] Die Drohung kann dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.[130] Dabei ist darauf hinzuweisen, dass das Gesetz nicht allgemein von einem „Übel“, sondern von einem „empfindlichen Übel“ spricht. „Empfindlich“ ist ein Übel nur dann, wenn der angedrohte Nachteil von solcher Erheblichkeit ist, dass seine Ankündigung geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren.[131] Dies ist dann nicht der Fall, wenn von dem Bedrohten in seiner Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält.[132] Die Drohung muss also geeignet sein, einen besonnenen Menschen in der konkreten Situation zu dem vom Täter verlangten Verhalten zu bestimmen.[133] Dies wird insbesondere bei der „Bedrohung“ von staatlichen Repräsentanten häufig nicht der Fall sein, wie z.B. in dem Fall, in dem einem Staatsanwalt angedroht wird, Beweismittel in einem Strafverfahren nur gegen Entgelt herauszugeben.[134]
51
Fraglich ist, ob das angedrohte Übel auch in einem Unterlassen bestehen kann. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn den Betreffenden eine Verpflichtung zum Tun trifft.[135] СКАЧАТЬ