Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Dennis Bock
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811455566
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Die Constitutio Criminalis Carolina blieb in weiten Teilen Deutschlands bis ins 18. Jahrhundert hinein die wesentliche Rechtsquelle für das Strafrecht und den Strafprozess.[39] Geprägt vom Rationalismus der Aufklärung (→ BT Bd. 5: Wittig, § 30 Rn. 18), verfestigte sich in der Rechtslehre allmählich die Forderung nach einer Neugestaltung der Strafgesetze.[40] Gesetzliche Tatbestände sollten durch eine klare Umschreibung der strafwürdigen Handlungen eindeutig bestimmt werden. Auf dieser Grundlage entwickelten sich im Zuge der deutschen Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts zahlreiche Gesetzgebungswerke.[41] In diesen Vorschriften finden sich erste Vorläufer des räuberischen Diebstahls. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 sowie das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 gehörten zu den richtungsweisenden Gesetzeskodifikationen im Strafrecht und können daher exemplarisch für eine Betrachtung der Entwicklung herangezogen werden.
b) Bayerisches Strafgesetzbuch 1813
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Die Entstehung und inhaltliche Ausgestaltung des Bayerischen Strafgesetzbuches beruhte maßgeblich auf der Arbeit Feuerbachs.[42] Sein 1807 fertiggestellter und nach kommissarischer Prüfung 1810 veröffentlichter Entwurf sah in Art. 244 die Einführung eines Tatbestandes des räuberischen Diebstahls vor, der wie folgt lauten sollte: „Wer absichtlich mit Waffen versehen auf einen bloßen Diebstahl ausgegangen ist (Art. 231 Nr. 5) und nachdem er ertappt worden, sich dieser Waffen zur Schreckung oder Misshandlung wirklich bedient hat, ist als Räuber zu strafen. Dasselbe gilt von jenem Anderen, welcher bei einem Diebstahl ertappt, um das entwendete Gut in Sicherheit zu bringen, an eine Person tätliche Hand angelegt hat. Wenn aber ein auf der Tat ertappter Dieb, welcher vorher mit Waffen absichtlich nicht versehen war, sich bloß zur Sicherung seiner Person verteidigt, so hat dieses auf die Bestrafung nur insoweit Einfluss, als die Gesetze wider Körperverletzung oder Tötung dabei in Anwendung kommen.“ Diese Fassung wurde wortwörtlich unter Art. 235 des sodann 1813 in Kraft getretenen Bayerischen Strafgesetzbuches übernommen und stellt den ersten konzeptionellen Vorgänger der heutigen Vorschrift dar.[43] Bemerkenswert ist Feuerbachs exakte Abgrenzung zwischen Raub- und Diebstahlshandlung sowie seine Differenzierung der möglichen Fallkonstellationen. In den amtlichen Anmerkungen zum Gesetz wurden diese Unterscheidungen insofern verwässert, als zur Begründung der Vorschrift primär auf die Wesensgleichheit des Tatbestandes zum Raub verwiesen wurde.[44] Bereits wenige Jahre nach Krafttreten des Gesetzes wurde seine Revision vorgenommen. Es folgten eine Reihe von Reformentwürfen,[45] die schließlich mit der Ratifizierung des Strafgesetzbuches vom 10. November 1861 ihren Abschluss fanden. Der Tatbestand des räuberischen Diebstahls wurde nunmehr in Art. 274 Nr. 4 mit der Formulierung „[…] wenn der auf frischer Tat ergriffene oder auf der Flucht verfolgte Dieb eine Person vergewaltigt oder an Leib und Leben bedroht hat, um mit dem gestohlenen Gute oder einem Teile desselben zu entkommen […]“ als qualifizierter Diebstahl erfasst. Erstmals wurde hier neben der Gewalt auch die Drohung als Mittel zur Erhaltung der Beute berücksichtigt. Interessant erscheint zudem die Behandlung des Delikts als Qualifikation zum Diebstahl, was wiederum auf eine Rückkehr zur dogmatischen Abgrenzung zum Raub schließen lässt. Im Kommentar zu den Gesetzesmotiven wurde diesbezüglich auf die Abweichungen im Zeitmoment der Tathandlung und Zweck der Gewaltanwendung verwiesen.[46]
c) Preußisches Strafgesetzbuch 1851
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Das dem preußischen Strafgesetzbuch vorausgehende Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1749 kannte noch keine dem räuberischen Diebstahl ähnliche Bestimmung. Das ALR enthielt eine Vielzahl von Deliktstypen, die durch keine klare Systematik aufeinander abgestimmt waren, was in der Rechtsanwendung häufig für Verwirrung sorgte.[47] Um dem entgegenzuwirken wurden im Laufe der Jahre zahlreiche ergänzende Edikte und Verordnungen erlassen.[48] Maßgebliche Vorschrift zur Konkretisierung des Diebstahls war § 22 der Circularverordnung wegen Bestrafung der Diebstähle und anderer Verbrechen vom 26. Februar 1799.[49] Dort hieß es: „Als Räuber wird derjenige bestraft, der um einen Diebstahl zu begehen, einen oder mehrere Menschen durch Schläge oder durch Binden […] oder sonstige Misshandlungen abhält, die beabsichtigte Entwendung zu verhindern oder sich des Täters zu bemächtigen.“ In der Praxis wurde die Verordnung auch für Fälle herangezogen, in denen es erst nach Vollendung des Diebstahls zu einer Gewaltanwendung gekommen war.[50] Diese Auslegung ging nicht mit dem Wortlaut konform, der sich mit dem Passus „um einen Diebstahl zu begehen“ explizit auf den Zeitpunkt vor Vollendung des Diebstahls bezog. Dass man trotzdem an der Anwendung festhielt, zeigte die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung.
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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchs in Preußen das Bemühen um eine Strafrechtsreform.[51] Die Entwicklung des räuberischen Diebstahls hin zu einem eigenständigen Delikt lässt sich anhand der in den 1830er und 1840er Jahren entstandenen Reformentwürfe nachverfolgen. Dabei fällt auf, dass vor allem die systematische Einordnung Schwierigkeiten bereitete. So sah der Entwurf von 1830 eine Einführung als qualifizierten Diebstahl vor,[52] während man den räuberischen Diebstahl im Entwurf von 1833 als besondere Form des Raubes behandelte.[53] Auch hinsichtlich der Reichweite des Tatbestandes herrschte Uneinigkeit. Gemäß dem Staatsentwurf von 1843 sollte der „auf frischer That“ verfolgte Täter ebenso wie der beim Diebstahl betroffene Täter als Räuber bestraft werden.[54] Diese Ansicht stieß in der zeitgenössischen Rechtslehre auf deutliche Kritik.[55] Dabei wurde insbesondere gerügt, dass Entwendung und Gewalttätigkeit unter Umständen sehr weit auseinanderliegen können.[56] Im Entwurf von 1845 war aus diesem Grund nur noch der Passus „auf frischer That betroffen“ enthalten, womit man eine deutliche Einschränkung des Tatbestandes beabsichtigte.[57] Wie die in diesem Punkt wechselnden Fassungen der späteren Reformentwürfe belegen, blieb die Frage nach der raum-zeitlichen Eingrenzung des räuberischen Diebstahls dennoch nach wie vor umstritten.[58] Letztendlich wurde der räuberische Diebstahl (§ 230 II) mit folgender Formulierung in das preußische Strafgesetzbuch von 1851 aufgenommen: „Wer bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist einem Räuber gleich zu achten.“ Damit entschied man sich dafür, den räuberischen Diebstahl in die Raubbestimmungen aufzunehmen – eine Einordnung, die bis heute beibehalten wurde. Ein weiterer interessanter Aspekt für die heutige Bewertung des Delikts ergibt sich aus den Überlegungen der Gesetzgebungskommission bei der Frage nach den Gründen für eine Gleichstellung des später gewalttätig werdenden Diebes mit dem Räuber.[59] Goltdammer verwies diesbezüglich darauf, dass „der Erfolg für den Bestohlenen, die subjektive Strafbarkeit des Angeschuldigten und die Gefahr für die öffentliche Sicherheit in diesem Falle dieselbe sei“.[60]
5. Weitere Entwicklung bis heute
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Die Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahr 1866 und die Verabschiedung einer Bundesverfassung ermöglichten die Entstehung einer einheitlichen Rechtsordnung innerhalb der norddeutschen Einzelstaaten. Dies beinhaltete auch eine bundesgesetzliche Regelung des Strafrechts. Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes übernahm im Wesentlichen die Bestimmungen des preußischen Strafgesetzbuches.[61] Im Wortlaut des räuberischen Diebstahls (§ 252 StGB) wurde lediglich die Formulierung „einem Räuber gleich zu achten“ durch „gleich einem Räuber zu bestrafen“ ersetzt, damit erhielt der Tatbestand seine bis heute gültige Ausgestaltung.[62] Das Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes galt ab 1871 – ab 1872 als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich – sodann im gesamten Reichsgebiet. Reformbestrebungen in den 1920er Jahren konnten sich ebenso wenig durchsetzen wie neuere Entwürfe aus der Nachkriegszeit.[63] Eine mittelbare СКАЧАТЬ