Mütter. Anja Bagus
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Название: Mütter

Автор: Anja Bagus

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isbn: 9783944180786

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СКАЧАТЬ „LV“ bedruckte Tasche am Ende ihres Armes baumeln ließ. Einen einzigen Wortwechsel hatte es bisher zwischen ihnen gegeben, als sie ihre Unterlagen mit den Worten „Kannst du da mal eben drauf aufpassen?“ auf Thors Arbeitstisch gelegt hatte und sofort weitergegangen war. Auf dem obersten Papier hatte er ihren Namen gelesen. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen, als sie ein paar Minuten später alles wieder abholte und ihm bezaubernd lächelnd ein „Danke“ zuhauchte. Seitdem sah er sie fast jeden Tag am Kopierer stehen, und von seinem Schreibtisch aus musste Thor sie einfach anschauen, so oft es möglich war. Nun begegneten sie sich außerhalb der Bibliothek und da sonst kein Mensch zu sehen war, mussten sie sich unweigerlich beachten. Er konnte sehen, dass sie den Kopf gesenkt hielt, während sie auf ihn zukam. Bloß nicht hinschauen, aber es auch bloß nicht verpassen, falls sie schaut, schoss ihm immer wieder durch den Kopf. Er wollte es und wollte es nicht, kam sich klein und unbedeutend vor angesichts dieser Frau, die ihn eigentlich gar nicht ansehen konnte, ansehen sollte, weil … nun, der Grund lag wohl im Aufbau dieses Universums selbst, das so viel weniger magisch war, als all die anderen, die Thor kannte. Wieso nur war ausgerechnet er im unmagischsten aller existierenden Universen gelandet? Fiona hatte sich bis auf wenige Meter genähert, da schaute sie plötzlich hoch und lächelte. Thors Herz schien stehen zu bleiben und er quetschte ein heiseres „Hallo“ aus seiner Kehle. Als er daraufhin auf ihren Lippen eine leichte Bewegung sah, die ein „Hallo“ zu formen schien, strömte ein wohliger Schauer durch seinen ganzen Körper. Er sah ihr noch einmal hinterher und war sich sicher, dass auch sie sich kurz zuvor nach ihm umgedreht hatte.

      „Jetzt, da mein Ex endlich weg ist, können wir uns wieder häufiger treffen“, sagte Vanessa, als sie später nebeneinander an ihren Arbeitstischen saßen und Ruhe eingekehrt war, „das war ja fürchterlich mit seiner Eifersucht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ich nur zuhause gesessen.“

      „Wir haben uns ja immerhin noch auf der Arbeit gesehen.“

      „Ja, aber das wird jetzt wieder anders. Lass uns wieder DVD-Abende machen, so wie früher. Du warst der einzige, mit dem das wirklich Spaß gemacht hat.“

      Thor erinnerte sich gut an die Abende mit Vanessa, nachdem sie seine Arbeitskollegin geworden war: die gemeinsame Zeit auf dem Sofa; das Beobachten, das Näherrutschen, die Hoffnungen und Träume, die diese Abende immer wieder in ihm genährt hatten und die vielen Stunden, in denen er sich Gedanken darüber gemacht hatte, wie er Vanessa dazu bringen könnte, sich in ihn zu verlieben. Als er sie kennengelernt hatte, konnte er es kaum glauben, wie perfekt sich ihre Vorlieben und ihre Charaktere ergänzten. Doch letztlich war es nur Schmerz. Immer wieder. Thor musste an das Bild vom „Dies Academicus“ denken, das er in seinem Bilderrahmen gespeichert hatte. Es war das einzige, auf dem er und Vanessa zusammen zu sehen waren und der Tag, an dem das Bild entstanden war, für ihn der Höhepunkt einer Reihe von Treffen mit ihr. Er hätte schwören können, dass es sich jenes Mal um eine Art Rendezvous gehandelt hatte. Wie gut erinnerte er sich noch an das schwarze Kleid, das sie getragen und um wie viel hübscher sie dadurch auf ihn gewirkt hatte. In einem Festzelt auf dem Campus war eine Leinwand aufgebaut gewesen, weil ein Spiel der Weltmeisterschaft in Brasilien übertragen wurde. Sie saßen nebeneinander. Vanessa sang aus vollem Hals „Atemlos durch die Nacht“ und hatte den Arm um ihn gelegt; das erste und das letzte Mal. Danach hatte sich ein Poetry-Slammer neben sie gesetzt und sie die nächste Zeit so gut unterhalten, dass die beiden zur zweiten Halbzeit des Spiels nicht mehr zurückgekommen waren. Die Beziehung hatte nicht lange gehalten, ebenso wie die mit ihrem letzten Freund. Doch Thors Hoffnungen, ihre gemeinsamen Interessen würden die perfekte Basis für eine Beziehung bilden, wie so viele Frauen in so vielen Situationen ja immer wieder betonten (obwohl sie genau wie Thor sehr gut wussten, dass sie hier nur einem Idealbild zusprachen und in Wahrheit sehr viele niedere Instinkte ihre Auswahl diktierten), waren mit jeder von Vanessas Kurzzeitbeziehungen mehr und mehr ausgeblutet. Irgendwann hatte er sie aufgegeben.

      „Die Abende waren wirklich schön“, sagte er.

      „Ich fand’s echt super. Einfach so alle drei Herr der Ringe hintereinander oder Star Wars. Das kann ich mit niemandem sonst machen, weil die ganze Welt denkt, DVD-Abend bedeutet ficken.“

      „Ja, das verstehe ich auch nicht.“

      „Im besten Fall denken sie noch, es ist ein Date. Meine Güte! Ich bin eine Frau und ich will schön ausgeführt werden, Essen oder Kino, und dann bis zur Haustür gebracht werden und nichts passiert außer, dass der Typ sagt, er ruft mich die nächsten Tage an und dann warte ich und frage meine beste Freundin, wann er sich wohl melden wird. Das ist echt. Ich meine, eine Beziehung, die auf der Couch beginnt, kann ja wohl nichts sein. Da sitzt man hinterher noch häufig genug!“

      Thor versuchte noch später im Kopf ihre Worte wie kleine, lästige Insekten abzuwehren, um die Gedanken an die schmerzvolle Vergangenheit loszuwerden. Als er schließlich am Abend nach Hause kam, fand er eine Nachricht von seiner Mutter vor, in der stand, dass sie gegen zehn Uhr wieder zuhause sei. Er ließ sich müde auf sein Bett fallen und war insgesamt zufrieden mit seinem Tag. Der Bilderrahmen zeigte wieder das eigentümliche Bild des Ritters, der ihm so ähnlich sah. Plötzlich fiel es ihm auf. Heute hatte er die Dinge selbst in die Hand genommen, alle hatten auf ihn gehört und alles hatte funktioniert. Er war tatsächlich wie der Feldherr auf dem Foto gewesen.

      Da sprang er vom Bett auf, zog die Speicherkarte aus dem Rahmen, um zu überprüfen, ob sich das Bild wirklich auf der Karte befand. Er konnte es nicht finden. So schob er die Karte wieder in den Rahmen und wartete. Wie groß war sein Erstaunen, als zwar nicht das Bild des Kriegers auf dem Pferd erschien, stattdessen aber ein anderes, auf dem derselbe Mann von einem König zum Ritter geschlagen wurde. Es musste eine ehrenvolle Zeremonie gewesen sein. Der Ausdruck im Gesicht des Königs zeigte Stolz und Hochachtung; der des Mannes Respekt und Demut – so, wie man nur aussehen kann, wenn man weiß, dass man eine Auszeichnung wirklich verdient hat.

      Und wieder war jenes Gesicht zweifellos sein eigenes. Thor entfernte den Stick aus dem Rahmen und durchsuchte ihn wiederum von vorne bis hinten, von oben bis unten. Dann versuchte er, im Internet Bilder von sich aufbäumenden Pferden oder Ritterzeremonien zu finden. Vielleicht hatte irgendjemand sein Gesicht in so ein Bild montiert und es dann auf seinen Stick geladen, um ihm einen Streich zu spielen. Er fand nichts. Immer wieder lud er die Bilder auf den Rahmen und immer wieder erschien das Bild der Zeremonie. Schließlich stellte er den Rahmen auf seinen Nachttisch, um das Bild zu betrachten, und schlief irgendwann spät nachts endlich ein.

      Am nächsten Tag wurde er zu seinem Abteilungsleiter ins Büro gerufen. Thor verließ nervös seinen Arbeitsplatz, befürchtete er doch, für den gestrigen Tag eine Rüge zu bekommen, weil er sich mit den Studenten angelegt hatte. Ja, sie sollten immer höflich sein, dachte er, egal was sie sich von den Leuten auch anhören mussten; sollten immer sachlich bleiben und sich möglichst alles gefallen lassen, denn sonst würde sich am Ende noch jemand beschweren. Was für eine Katastrophe! Man kann nie vorsichtig genug sein; darüber schien sich die gesamte Führungsebene der Bibliothek stets einig.

      Doch sein Abteilungsleiter war überraschenderweise allerbester Laune. Er gratulierte ihm zu seinem Einsatz und eröffnete, dass er ihn zum Leiter des Beratungsteams machen wolle, da er offenbar in Krisensituationen einen kühlen Kopf behalte und der Sache mit den Internetproblemen ohne zu zögern auf den Grund gegangen sei. Tatsächlich bekäme er dafür sogar mehr Geld und einen eigenen Schreibtisch. Er wäre zudem nicht mehr verpflichtet, die ganz späten Schichten zu übernehmen und könne jeden Tag pünktlich Feierabend machen. Mit den Worten, er sei froh, einen solchen Mitarbeiter in seinem Team zu haben, entließ der Abteilungsleiter ihn wieder.

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