Die Reise nach Ameland. Thomas Hölscher
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Название: Die Reise nach Ameland

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750220447

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СКАЧАТЬ meinst du wirklich?

      Ja sicher.

      Also gut, reden wir über alles. Ich bin schwul.

      Er hatte es wirklich genau so gesagt, voller Zynismus und Aggressivität, und sekundenlang hatte es Lisa die Sprache verschlagen. Dann hatte sie lauthals angefangen zu lachen. Ah ja, du bist schwul! Sie hatte nicht mehr aufhören können zu lachen, und noch war es ein offenes und ehrliches Lachen gewesen über den mehr oder weniger misslungenen Scherz eines völlig Betrunkenen. Ich glaube wirklich, wir sollten jetzt endlich ins Bett gehen.

      In den nächsten zweieinhalb Stunden war Lisa das Lachen vergangen und zwar gründlich. Was für sie zunächst nur ein völlig abstruses Wort gewesen war, hatte durch immer neue Geständnisse seinerseits langsam und unerbittlich Konturen gewonnen, die letztlich nicht mehr in Frage zu stellen waren. Erinnerst du dich noch an den Samstag, als du mit Sven und Kai im Phantasialand warst? Da habe ich dir erzählt, dass ich für ein Wochenendseminar in unserer Filiale in Chemnitz gebraucht würde. Oder das Mitarbeitertreffen in Bad Homburg? Es hatte ihm schließlich ein sonderbares Vergnügen bereitet, mit der gehässigen Akribie eines Buchhalters jedes Detail hervorzukramen, um bei Lisa auch den allerletzten Zweifel auszuräumen. In Wirklichkeit war ich auch da bei Michel in Arnhem.

      Ich glaube es einfach nicht. Diesen Satz hatte Lisa sicherlich hundertmal gesagt. Ich kann das nicht glauben.

      Schließlich hatte sie es geglaubt, und anschließend, wie es ihre Art war, ihren Gefühlen keinen Zwang mehr auferlegt.

      Und irgendwann war dann der Vorwurf gekommen: Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das nicht immer schon gewusst hast! Letztendlich war sie völlig außer sich gewesen. Man wird doch nicht von einem Tag auf den anderen mal eben schwul.

      Ich glaube, irgendwie habe ich es immer gewusst.

      Es war natürlich eine unglückliche Formulierung gewesen; in den Gesprächen mit Michel hatte der irgendwann gesagt: Du hättest es also doch irgendwann in deinem Leben wissen können; aber da hast du es einfach nicht zugelassen.

      Lisa hatte seine Bemerkung jedenfalls endgültig in Rage gebracht. Was soll das denn heißen: Ich glaube, irgendwie habe ich es immer gewusst?

      Er wusste es selber nicht. Du hättest es zumindest schon lange wissen können: Nun kam ihm selbst diese Formulierung schon völlig überzogen vor.

      Es war da einfach nichts gewesen außer einem pubertären Ausrutscher, den, und das konnte man in der einschlägigen Literatur schließlich nachlesen, fast jeder erwachsene Mann einmal mitgemacht hatte.

      Er war 16 oder 17 gewesen, als er diesen Klaus Ferner kennen gelernt hatte, die ganze Sache hatte nicht einmal ein halbes Jahr gedauert, und schon als er den Dienst bei der Bundeswehr begonnen hatte, war alles vergessen gewesen. Es hatte einfach keine Rolle mehr gespielt, ein sexuelles Erlebnis in der Pubertät, etwas spät vielleicht wegen seiner katholischen Erziehung, aber ansonsten kam so etwas doch wohl häufiger vor. Irgendwann in den vergangenen Wochen hatte er sich aus welchem Grund auch immer im Bahnhofsbuchhandel einen Kinsey-Report über das Sexualverhalten der Menschen in den USA gekauft, hatte das umfangreiche Register systematisch durchgearbeitet und das Buch durchstöbert, und er hatte sich letztendlich bestätigt geglaubt: die meisten Jungen hatten ihr erstes sexuelles Erlebnis während der Pubertät mit einem anderen Jungen. So etwas war also geradezu die Normalität.

      Warum hast du mir nie davon erzählt? Irgendwann hatte Lisa nicht mehr locker gelassen.

      Weil es völlig bedeutungslos war.

      Das glaubst du doch selber nicht.

      Er hatte sich monatelang bereits den Kopf zerbrochen, weil er es selber nicht glauben konnte. Da musste doch schon vorher etwas gewesen sein! Aber da war nichts gewesen. Kein Spielkamerad, den er körperlich attraktiv gefunden, kein Schulfreund, in den er sich heimlich verknallt, keine Unbekannten, denen er auf der Straße hinterhergesehen hatte, nichts, gar nichts. Vielleicht seine Vorliebe für Westernhelden, er hatte als Kind kaum eine dieser Pferdeopern im Fernsehen versäumt; aber schließlich waren ihm seine Gedanken lächerlich vorgekommen. Wenn jedes männliche Wesen schwul war, nur weil es Western verkonsumierte, dann konnte es nicht mehr viele Heteros geben.

      Da war nichts gewesen. Nur dieser Klaus Ferner. Und im Rückblick bildete sein Zusammensein mit Klaus Ferner einen fest umrissenen Abschnitt in seinem Leben, klar und deutlich abgetrennt von allem, was vorher und nachher war. Ein pubertärer Ausrutscher eben, wie ihn Millionen anderer Männer auch erlebt hatten. Mit ein paar katholischen Gewissensbissen natürlich, aber ansonsten ohne jede Bedeutung und der Erinnerung nicht wert.

      So etwas kann es doch gar nicht geben, hatte Michel sofort widersprochen, einen Lebensabschnitt, der von allem abgeschnitten ist, was vorher und nachher war. Dazu hast du diese Zeit im nachhinein gemacht, weil sie dir nicht ins Konzept passte. Du kommst mir vor wie jemand, der für irgendeine Bewerbung seinen Lebenslauf fälscht, weil er ein halbes Jahr Arbeitslosigkeit nicht erklären kann oder will. Belügen kann man auf Dauer aber nur andere, sich selber nicht.

      Also hatte er sich wie ein vom Nikolaus gemaßregeltes Kind vorgenommen, von nun an ganz ehrlich zu sein, und anschließend festgestellt, dass es da kaum etwas zu erzählen gab. Und auch nun nahm er sich vor, sich noch einmal vorbehaltlos an diesen Klaus Ferner zu erinnern, nichts, aber auch gar nichts auszulassen, was dem Finden einer Wahrheit hinderlich sein könnte, die andere so ganz offensichtlich von ihm wie ein endlich abzulegendes Geständnis einforderten.

      Es gab für diese Zeit in seinem Gedächtnis einfach keine Story, die im Laufe der Zeit ein fester Bestandteil seines Lebenslaufs geworden wäre, die man bei Bedarf hervorkramen und zum Besten geben konnte, keine dramatische Entwicklung, auf die sich im Laufe der Zeit das gesamte Geschehen eines halben Jahres verdichtet hätte. Es gab gar keine Entwicklung. Eine Katastrophe gab es allerdings, aber auch die war letztlich nur eine von vielen Episoden, Eindrücken und Stimmungen, und wäre sie gleich zu Beginn eingetreten, dann hätte man sich den ganzen Rest getrost ersparen können.

      Das siehst du ganz falsch, hatte Michel gemeint, und das weißt du auch. Dieser Klaus war eine große Chance für dich. Du hättest dir einen großen Umweg ersparen können; aber du selber hast damals diese Entwicklung einfach nicht zugelassen.

      Meinst du mit Umweg etwa meine Frau und meine Kinder? Er war selber erstaunt gewesen, wie aggressiv er auf Michels Bemerkung reagiert hatte.

      Nach der Katastrophe hatte er Klaus nicht mehr wiedergesehen, ihre Trennung erweckte auch in der Erinnerung nur ein kaum zu ertragendes Gefühl von Scham, auf keinen Fall irgendeinen Schmerz über den Verlust, kein Gekränktsein, am ehesten noch Reue, und plötzlich faszinierte ihn die Frage, wie dieser Mann heute nach fast dreißig Jahren wohl aussehen würde, was er machte, ob er verheiratet war, Kinder hatte. Und wenn ja, ob für ihn die ganze Geschichte damals so wichtig war, dass er sie seiner Frau oder irgendjemandem sonst jemals erzählt hatte.

      Er konnte sich das nur schwer vorstellen. Dafür war dieser Klaus gar kein Typ gewesen. Dieser Menschenschlag tat einfach etwas, und dann behielt er das für sich. Solche Menschen hatten nie dieses weinerliche Mitteilungsbedürfnis, das für ihn selber gerade in der letzten Zeit so offensichtlich typisch war. Und obschon er augenblicklich wieder eine tiefsitzende Abneigung gegen diese Vorstellung verspürte, konnte er schließlich doch zugeben, dass das tatsächlich das bestimmende Moment in ihrer Beziehung gewesen war: Klaus war der Starke, der Überlegene, er selber war der Schwächling, der prinzipiell Unterlegene. Dass andere sie oft für Brüder gehalten hatten, hatte daran nie etwas ändern können. Für ihn war das so gewesen, und aus diesem masochistischen Verhältnis hatte er damals irgendein perverses Vergnügen ziehen können. Genau darin hatte die Faszination bestanden, die Klaus СКАЧАТЬ