Die Reise nach Ameland. Thomas Hölscher
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Название: Die Reise nach Ameland

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750220447

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СКАЧАТЬ ihn pausenlos mit dem peinlichsten Blödsinn vollgequatscht. Und schon kurz nachdem Jochen sich nach dem Abendessen verabschiedet und mit Vera zusammen das Haus verlassen hatte, waren seine Phantasien angefangen, die ihn einfach nicht mehr losließen. Sag mal, was ist denn eigentlich mit deinem Alten los?, fragte Jochen in diesen Phantasien, und wenn diese Phantasien glimpflich verliefen, beließ er es bei der Bemerkung: Der hat ja echt 'ne tolle Macke!

      Der Regen hatte inzwischen aufgehört, die ersten Hinweisschilder auf Amsterdamer Stadtteile tauchten auf.

      Es war seltsam: seit ein paar Monaten verband sich der Name Amsterdam bei ihm mit einer ganz tief sitzenden Angst. Mehrfach hatte Michel ihn gebeten, doch mal mit nach Amsterdam zu kommen; da spiele die wirkliche Musik, nicht in Arnhem, und erst recht nicht im Ruhrgebiet. Mit Händen und Füßen hatte er sich gegen diese Vorschläge gewehrt.

      Früher hatte diese Stadt etwas ganz anderes für ihn bedeutet. Und auch für Lisa.

      Schon dreimal hatte er mit Lisa und den Kindern den Sommerurlaub in Holland verbracht. Oben im Norden, kurz vor den Helder, hatten sie einen Bungalow gemietet. Beim letzten Mal, es musste vor zwei Jahren gewesen sein, hatten sie Bekannte gebeten, auf die Kinder aufzupassen, und er war für einen Abend mit Lisa allein nach Amsterdam gefahren. Es war ein unvergesslicher Abend geworden; sie waren in mehreren Lokalen gewesen, hatten erstaunt festgestellt, dass diese Stadt für sie beide einmal das gleiche bedeutet hatte, und allem Augenschein zum Trotz war für einen Abend lang John Lennon noch nicht tot gewesen, hatte noch Sergeant Pepper`s Lonely Hearts Club Band gespielt, hatten Jimmy Hendrix und Jennis Joplin gezaubert, und erst als die anderen Gäste einer Kneipe deutlich zu verstehen gegeben hatten, dass sie nun nicht auch noch zum hundertundersten Mal Joan Baez oder Bob Dylan aus der Musicbox hören wollten, waren sie zurückgefahren. Wir gehören doch eigentlich zu einer schlimmen Generation, hatte Lisa Tags darauf am Strand zu ihm gesagt. Wir sind egoistisch und autoritär, viel autoritärer als unsere Eltern, und wir weigern uns einfach, älter zu werden. Dann hatte sie gelacht, und dieser Augenblick gehörte zu den vielen kleinen Dingen, die Lisa und ihn verbanden und die man anderen ohnehin nicht erklären konnte.

      Ist es möglich, dass man 16 Jahre lang eine Ehe führt und drei Kinder in die Welt setzt, wenn solche Kleinigkeiten, die man mit jedem x-beliebigen Schulkameraden gemeinsam empfinden kann, die Basis für alles ist? Er hatte sich in den letzten Wochen über solche Fragen den Kopf zerbrochen und war zu keinem Ergebnis gekommen, das er selber hätte akzeptieren können. Das einzige, das immer da gewesen war, war sein schlechtes Gewissen: Was du da tust ist nicht in Ordnung! Hör sofort damit auf! Am schlimmsten war es gewesen, wenn er zumeist mitten in der Nacht und außerdem völlig betrunken in der Küche gesessen und sich gefragt hatte, was denn nun eigentlich mit ihm los sei.

      Und genau diese Frage hatte ihm vor ein paar Tagen auch der neue Geschäftsführer gestellt. Nach dem Frühstück in der Kantine hatte der sich neben ihn gesetzt.

      Was ist eigentlich mit Ihnen los, Herr Dr.Weber?

      Wie meinen Sie das?

      Haben Sie Probleme?

      Glauben Sie, dass ich die auf der Arbeit ausplaudern würde?

      Nein, das glaube ich natürlich nicht; aber es ist nun mal meine Aufgabe, Sie darauf aufmerksam zu machen, wenn Sie Ihre Dienstpflichten nicht so erfüllen, wie das von Ihnen erwartet wird.

      Es war ihm heiß geworden, er hatte sofort gewusst, dass er augenblicklich einen roten Kopf bekommen hatte.

      Es ist doch wohl ein Scherz, wenn wir unsere Kursteilnehmer auf das absolute Alkoholverbot aufmerksam machen und unsere Dozenten sich nicht daran halten, hatte sein Vorgesetzter ihn im Flüsterton wie bei einer unverbindlichen Plauderei wissen lassen und dabei doch eine Entschiedenheit zum Ausdruck gebracht, die ihm einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Was er darauf geantwortet hatte, das wusste er nicht mehr.

      Kurz vor Amsterdam bog er in Richtung Haarlem ab. Von der auf einer erhöhten Trasse geführten Bahn aus sah man auf das Häusermeer der Amsterdamer Vororte. Ab und zu flogen nun große Verkehrsmaschinen in geringer Höhe über die Bahn, und dann war auf der linken Seite das riesige Areal des Flughafen Schiphol zu erkennen. Als in äußerst geringer Höhe und mit ohrenbetäubendem Lärm ein Flugzeug die nun von Lärmschutzwällen eingeengte Bahn überflog, traf es ihn wie ein Schlag: Es grenzte doch an ein Wunder, dass dieser riesige Metallvogel irgendwo dort in dem hell erleuchteten Gewirr aus Straßen, Häusern, Fabriken und Masten noch einen Platz zum Landen finden sollte. Es gab einfach keinen Raum mehr, schoss es ihm durch den Kopf, keine Möglichkeit. Es gab nur noch dieses krankhafte Hin und Her zwischen Zielen, die wie diese Gegend den Aufenthalt gar nicht mehr lohnten, weil alles ausschließlich auf das Rasen zwischen vermeintlichen Zielen angelegt war. Es war ein Wahnsinn, dachte er, und dann nahm der plötzlich wieder verstärkt einsetzende Regen seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

      Kurz vor Alkmaar stockte der Verkehr wegen einer Baustelle, die Bahn wies erhebliche Mängel auf, und die Schilder am Straßenrand verlangten, dass man die Geschwindigkeit auf 60 reduzierte. Für einen Augenblick glaubte er sich auf der A3, kurz vor dem Oberhausener Kreuz. Dort waren es Bergschäden, und die permanente Flickschusterei hatte den Zustand der Strecke im Laufe der Jahre wahrscheinlich eher verschlechtert als verbessert. Wenn er in den vergangenen Wochen von Michel gekommen war, hatte das plötzliche Schlagen der Räder auf der holprigen Fahrbahn ihn immer aus seinen Gedanken gerissen und ihm angekündigt, dass er nun fast zu Hause war. Aber erst fast, und es war ihm noch stets genügend Zeit geblieben, sich etwas einfallen zu lassen für den Fall, dass Lisa fragen sollte: Wo kommst du denn jetzt erst her? Sie hatte es aber nur zwei- oder dreimal gefragt, und jedes Mal war er noch bei Kollegen gewesen oder hatte sich noch um Praktikumstellen in irgendwelchen Betrieben kümmern müssen.

      Weißt du, was das Schlimmste ist?, hatte Lisa heute Morgen gefragt und eine Antwort ganz offensichtlich gar nicht erwartet. Dass du mich so bewusst und gemein belogen hast. Hast du wenigstens ein schlechtes Gewissen gehabt bei deinen Lügengeschichten?

      Lass mich doch mit deinem katholischen Gerede zufrieden!, hatte er nur zu sagen gewusst. Er hatte es nicht einmal fertig gebracht, Lisa einzugestehen, dass das permanente schlechte Gewissen die schlimmste Erfahrung der letzten Monate gewesen war.

      Du bist wirklich ein mieses Schwein.

      Er trat das Gaspedal tief nach unten und schoss mit viel zu hoher Geschwindigkeit an der Reihe der langsam fahrenden Wagen vorbei; seine plötzliche Angst vor einer Radarkontrolle kam ihm lächerlich vor, typisch eben für den kleinen mickrigen Spießer, der er war. Für das miese Schwein. Have you seen the little piggies crawling in the dirt?

      In Alkmaar endete die Autobahn, und schließlich hielt er am Rand der breiten und hell erleuchteten Umgehungsstraße an, weil er nirgendwo ein Hinweisschild mit dem Namen Schagen entdecken konnte. Gereizt überflog er die Straßenkarte, versuchte sich ein paar Namen bis zu seinem Ziel einzuprägen und warf schließlich die inzwischen reichlich ramponierte Karte wütend auf den Beifahrersitz.

      Als die Umgehungsstraße auf die am Nordholland-Kanal entlanglaufende Straße stieß und die letzten Häuser der Stadt hinter ihm lagen, schaltete er das Radio ein. Augenblicklich gingen ihm die aufdringlichen Werbespots auf die Nerven, er drehte gereizt an dem Knopf für die Senderwahl, erfuhr irgendwo auf Niederländisch, dass es inzwischen halb sieben geworden war, und schaltete das Radio wieder aus.

      Weshalb tat er sich das alles eigentlich an?, dachte er wütend. Weshalb war er von Arnhem nicht einfach nach Hause gefahren? Dann erst kam ihm die Absurdität dieses Gedanken wieder zu Bewusstsein. Es gab kein Zurück mehr, und dieses Zuhause gab es erst recht nicht mehr. Und auf gar keinen Fall hatte er mit allem gebrochen, um nun auch noch Michel zu verlieren.

      Irgendwie musste das СКАЧАТЬ