Die Reise nach Ameland. Thomas Hölscher
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Название: Die Reise nach Ameland

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750220447

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СКАЧАТЬ und es bedeutet nicht das, was mit mir los ist.

      Und wie nennst du das, was mit dir los ist? Bei dieser Frage hatte er zum ersten Mal geglaubt, zumindest für Sekunden dieses überlegene Grinsen in Michels Gesicht entdeckt zu haben, und er hatte nichts gesagt.

      Ich mach mir Sorgen um dich.

      Das brauchst du nicht. Dazu besteht kein Grund.

      Doch.

      Es goss mittlerweile wieder in Strömen, so dass selbst die weißen Fahrbahnmarkierungen oft nicht mehr sichtbar waren. Der Regen und der Kanal auf der rechten Fahrbahnseite vermittelten ihm den Eindruck, durch eine gigantische Wasserwüste zu fahren, und fast wäre er an dem Hinweisschild in Richtung Schagen vorbeigefahren. Als er die Geschwindigkeit abrupt verringerte, hupte jemand hinter ihm mehrfach. Es klang gereizt, und wütend zeigte er den beiden im Regen verschwimmenden Scheinwerfern den Vogel.

      Als dann plötzlich das Ortsschild von Schagen auftauchte, erschrak er fast. Hätte ihm heute morgen jemand gesagt, dass er am heutigen Tag noch nach Schagen fahren würde, er hätte nur gelacht. Schagen? Wo liegt das denn? Was soll ich da überhaupt?

      Und wie nennst du das, was da mit dir los ist? Genau diese Frage hatte auch Lisa ihm heute morgen gestellt, und auch da war er aggressiv geworden.

      Er lachte resigniert. Wie nennst du das, was mit dir los ist! Das war doch völlig egal! Wichtig war nur die Realität, und die blieb immer die gleiche, aussichtslos und unfassbar, ganz gleichgültig, welche Worte man sich dafür ausdachte: Er war ein verheirateter Mann, hatte eine Frau und drei Kinder und ging mit einem Schwulen ins Bett. Und er war heute einfach weggegangen von zu Hause, ohne genau sagen zu können, weshalb eigentlich.

      Weshalb eigentlich? Das hatte er Lisa heute morgen schließlich doch noch unmissverständlich beigebracht: Ich bin schwul, hatte er gesagt und war sich dabei vorgekommen wie ein drittklassiger Schauspieler an einem Provinztheater. Nein, ich habe keine homosexuellen Tendenzen in mir, war er Lisas Einwänden mit auswendig gelernten Worten begegnet. Ich bin schwul, und das musst du einfach einsehen.

      Lisa hatte es nicht geglaubt. Sie hatte es einfach nicht geglaubt. Wenn es eine andere Frau wäre, hatte sie fassungslos gesagt, dann täte das zwar weh, aber ich könnte wenigstens etwas damit anfangen. Aber so? Ich glaube, du weißt selber nicht, was du da sagst.

      Kurz hinter dem Ortsschild hielt er den Wagen direkt vor einem Stadtplan an einer Bushaltestelle an, deren Glasscheiben ringsum ganz offensichtlich mutwillig zerstört worden waren. Im strömenden Regen blickte er anschließend auf das verwirrende Labyrinth aus Wegen, Straßen, Ortsteilen. Die Namen sagten ihm nichts. Gar nichts.

      Nach kurzer Zeit war seine Kleidung völlig durchnässt, und er hatte nur noch einen Wunsch: endlich nach Hause fahren zu können.

      Dann kam ihm schlagartig noch zu Bewusstsein, dass es nun auch zu spät war, um in irgendeinem Geschäft noch Alkohol zu kaufen, ohne den er die letzten Wochen nicht hatte leben können. Den er gegen den Widerstand des eigenen Körpers zumeist mit großem Widerwillen hemmungslos in sich hineingeschüttet hatte, weil er immer weniger hatte sagen können, aus welchem Grund er sich den nächsten Tag überhaupt noch antun sollte.

      Es war Dienstag, der 6. Februar 1996.

      2

      Genau so hatte er sich dieses Zimmer vorgestellt. Ein Bett, ein klappriger Kleiderschrank, ein kleines Tischchen, dessen gesamte Oberfläche von einem alten Fernseher eingenommen wurde, Toilette und Dusche in einem winzigen Anbau. Es war zwar sauber, dennoch machte alles einen alten, verbrauchten Eindruck und roch muffig nach Feuchtigkeit und Schimmel. Die Stadt lag zu weit vom Meer entfernt, als dass sich hier eine typische Bleibe für Touristen lohnen konnte. Von seinem Fenster aus sah er auf die menschenleere Fußgängerzone von Schagen.

      Es würde nicht lange dauern, und es musste ihn in diesem Kabuff der große Katzenjammer überfallen.

      Schon die Anmeldung war auf eine Art und Weise verlaufen, die er bereits wieder als für sich selber typisch empfand. Er war eine Zeit lang noch durch die ihm unbekannten Straßen gefahren und hatte darin schließlich keinen Sinn mehr gesehen. Wo sollte er die Suche nach Michel beginnen? Er hatte nicht die geringste Vorstellung davon. Und nachdem er zweimal im strömenden Regen die Fußgängerzone durchquert hatte, war er schließlich in dieses alles andere als seriös wirkende Hotel gegangen. Die mürrische Frau an der Rezeption schien völlig überrascht gewesen zu sein, dass sich überhaupt ein Gast in dieses Etablissement verirren konnte.

      Do you have a single room for one night? Für ein paar Augenblicke hatte der Gebrauch der fremden Sprache in ihm ein unerwartetes und undefinierbares Glücksgefühl hervorgerufen. Wie der erste Schritt weg von seiner erbärmlichen Existenz, die er keine Sekunde länger mehr ertragen wollte. Und nachdem die Frau ihn informiert hatte, wieviel ein Zimmer mit Dusche und Toilette pro Nacht kostete, hatte sie nach seinem Pass gefragt, als könne man jemandem wie ihm auf keinen Fall trauen.

      Ach, Sie sind Deutscher, hatte sie dann auch schließlich in fast akzentfreiem Deutsch gesagt, und es hatte für ihn geklungen wie: Sagen Sie das doch gleich, und verstellen Sie sich nicht.

      Er schaltete den Fernseher ein und stellte fest, was er ohnehin vermutet hatte: das Gerät war nicht verkabelt, er konnte durch das Hantieren an der Senderwahl lediglich drei niederländische Programme in schlechter Bildqualität empfangen und schaltete das Gerät wieder aus. Er sah auf seine Armbanduhr; es war kurz vor neun.

      Und dann erschrak er darüber. Obschon er todmüde war, war es auf jeden Fall viel zu früh, um schon ins Bett zu gehen, und plötzlich türmte sich die zur Verfügung stehende Zeit vor ihm auf wie ein bedrohlicher Berg.

      Nervös lief er im Zimmer auf und ab. Auf der kleinen Konsole neben dem Bett entdeckte er ein Radio; er schaltete das Gerät ein, aber die seichte Unterhaltungsmusik machte ihn aggressiv, so dass er es sofort wieder ausschaltete. Er warf sich auf das Bett und starrte an die Zimmerdecke.

      Jetzt mussten sie längst zu Abend gegessen haben. Wahrscheinlich hatte Lisa die Jungen schon ins Bett geschickt, machte den Abwasch in der Küche und ließ dabei den Fernseher im Wohnzimmer laufen. Andauernd würde sie auf die Uhr schauen und sich fragen, ob Vera wenigstens heute einmal pünktlich um 22 Uhr zu Hause war. Seit sie Jochen kennengelernt hatte, war sie kaum noch zu Hause.

      Der Gedanke an Jochen war ihm mehr als unangenehm. Das habe ich wirklich nicht erwartet, hatte auch Lisa nach Jochens Besuch zugegeben. Der junge Mann hatte sein Abitur gemacht, absolvierte gerade eine Lehre als Bankkaufmann, und obschon er fast vier Jahre älter war als Vera, hatte Lisa ihn als den idealen Schwiegersohn bezeichnet. Sie hatte es wie im Scherz gesagt, es aber doch genau so gemeint. Dann hatte sie nur gelacht: Na, warten wir mal ab. Ihm war seit jenem Abend nicht mehr zum Lachen gewesen, wenn er an Jochen nur dachte.

      Was würde Lisa eigentlich den Kindern sagen, wenn sie fragten, wo er blieb? Schließlich gab es zwischen den Zwillingen und ihm feste Rituale, ohne die sie nicht dazu zu bewegen waren, ins Bett zu gehen. Habt ihr Papa schon einen Kuss gegeben?

      Nein.

      Dann mal los!

      Nein, du musst mitkommen.

      Manchmal gaben sie schon Ruhe, wenn er sie in ihr Zimmer gebracht hatte, sie in ihr Etagenbett gekrochen waren, er dann rief: Alle Mann an Bord? und das Licht ausschaltete; meist aber nicht. An manchen Abenden schafften sie es, ihn drei- oder viermal noch auf ihr Zimmer zu lotsen. Manchmal platzte ihm auch der Kragen: Jetzt bin ich es aber leid! Ihr geht СКАЧАТЬ