Der Pferdestricker. Thomas Hölscher
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Название: Der Pferdestricker

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750219397

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СКАЧАТЬ einen Schwulen halten würden, das wusste er. Wenn auch nur bei einem von ihnen ein solcher Verdacht auftauchen sollte.

      Und dann war da plötzlich dieses Geräusch, das er sich nicht erklären konnte. Es hörte sich im ersten Augenblick an, als tippele eine Frau mit Stöckelschuhen aufgeregt über den gefliesten Gang vor dem Umkleideraum. Aber dann war ihm schnell klar, dass das Geräusch nicht durch den Gang eines Menschen verursacht worden sein konnte, weil dieser Mensch wegen der schnell aufeinander folgenden Schritte schon eine Art Stepptanz hätte aufführen müssen, um diese Geräusche zu verursachen. Und noch bevor er mit seinen Gedanken zu einer eindeutigen Zuordnung gekommen war, hatte sich das Geräusch in Richtung Duschraum bewegt und war schließlich irgendwo dort verschwunden.

      Dafür brach nun ein Lärm los, den er allerdings sehr eindeutig zuordnen konnte und der ihm in den letzten Wochen aus ihm selber zunächst unerklärlichen Gründen immer verhasster geworden war: Das laute und völlig ungenierte Gegröle und Gejohle seiner Mitspieler. Obschon er immer gewusst hatte, dass es Unsinn war, hatte er ein paar Mal ihr ausgelassenes Toben auf sich bezogen, hatte geglaubt, einen Vorgeschmack davon zu bekommen, wie es wäre, wenn sie herausfanden, dass er schwul war: In die Mitte würden sie ihn stellen, mit den Fingern auf ihn zeigen und sich mit eben diesem Gegröle und Gejohle über sein Malheur totlachen. Einmal war er mitten in der Nacht sogar schweißgebadet aus einem solchen Traum erwacht.

      Es waren vielleicht zwei oder drei Minuten vergangen, das Geschreie hatte sich ein wenig gelegt, als die ersten seiner Mitspieler die Tür zur Umkleide mit noch tropfnassen Haaren aufstießen und ihm lachend mitteilten, dass er etwas verpasst habe. Was, das wollten sie ihm nicht verraten, er solle doch selber sehen, sagten sie, und das führte bei ihm zu neuem Misstrauen. Möglicherweise war das eine Falle, würden sie dort auf ihn warten, um ihn zu blamieren, und als er daran dachte, spielte er den Desinteressierten und ließ noch einmal rund zwei Minuten vergehen, bis er sich schließlich langsam und fast widerwillig in Richtung Duschraum in Bewegung setzte wie jemand, der etwas ohnehin nur tat, um dem lästigen Gequengel kleiner Kinder keinen Vorwand mehr zu geben. Als er dann endlich die Tür zur Dusche öffnete, wollte er nicht glauben, was er sah: Mitten in dem vom heißen Wasser völlig vernebelten Raum stand ein schwarzes Pferd.

      Eigentlich war es kein Pferd, es war eher ein Pony, das auf dem gefliesten Boden inmitten der nackten Kerle und des wegen seines Erscheinens nun wieder anschwellenden Lärmpegels ganz offensichtlich selber nicht so recht wusste, was es da eigentlich verloren hatte. Weil fast zwanzig Menschen gleichzeitig auf ihn einzureden schienen, dauerte es eine Zeit lang, bis er verstanden hatte, dass dieses Vieh urplötzlich in der Dusche erschienen war, und da hatte sich schon einer der Leute erbarmt, hatte sich ein Handtuch um die Hüften gelegt, das Tier bei der Mähne gepackt, es über den Flur zur Tür gebracht und dort mit einem Klaps auf den Hintern aus dem Gebäude geworfen.

      Die folgenden Tage waren eine Tortur. Der Berger habe splitternackt unter der Brause auf dem Vieh gesessen, hatten sie ihm mitgeteilt und damit in ihm eine nicht enden wollende Flut geilster Bilder ausgelöst und vor allem ein kaum zu bewältigendes Gefühl aus Ungewissheit und der Überzeugung, irgend so etwas wie die größte und vielleicht einzige Chance seines Lebens endgültig verpasst zu haben. Die Ungewissheit versuchte er durch zunächst vorsichtiges, dann aber immer ungenierteres Nachfragen und den Gebrauch seiner Phantasie zu kompensieren; es bremste ihn jedes Mal erst die Angst, gleich könnten die Kerle skeptisch werden und wissen wollen, weshalb er denn immer nachfrage und ob er eigentlich schwul sei. Die Gewissheit, etwas Entscheidendes verpasst zu haben, war ihm ja ohnehin nicht neu; aber so hatte sie noch nie geschmerzt.

      Noch wochenlang träumte er davon, eher die Umkleide verlassen zu haben, den splitternackten Berger groß und schwer auf dem nassen Tier sitzen gesehen und mit der Kamera seines Handys abgelichtet zu haben. Ins Internet hätte er die Aufnahmen gestellt, und in seiner Phantasie malte er sich die überall fast ausschließlich auf Englisch abgegebenen Kommentare derjenigen aus, die für ihn in seiner Homophobie schon seit Jahren das Echo der Welt und das Maß aller Dinge, in Wahrheit aber nur eine kleine Minderheit geiler und verklemmter Voyeure waren. Dass sie unter einem derart geilen Arsch das Vieh beneideten, stand dann dort, dass der Kerl bei seinem nächsten Ritt doch sie nehmen solle, dass man besonders schätze, wenn dem geilen Kerl auf dem nassen Tierrücken die große Nülle auch noch hart werde und so weiter und so weiter.

      Die wirkliche Welt maß diesem Ereignis viel weniger Bedeutung bei: in einem winzigen Artikel wurde darüber als einem großen Jux in der Lokalpresse berichtet, und das auch nur, weil einer der Spieler mit einem freien Mitarbeiter der WAZ befreundet war, der absolut nicht mehr wusste, was er schreiben sollte, da es Sauregurkenzeit und dann auch noch die Vorstandsitzung eines Kaninchenzüchtervereins ausgefallen war.

      Prolog 3

      Mai/Juni 2001

      Kein ernst zu nehmender Mensch glaubt noch, dass Kinder und Jugendliche wegen der Schule lernen; sie lernen trotz der Schule. Zumindest war sie seit langem insgeheim davon überzeugt, und manchmal machte ihr diese Vorstellung geradezu Angst.

      Nicht dass sie Schüler deshalb für intelligente Wesen hielt; sie hielt sie für eine dumme, träge und wurstige Masse und hatte sie über die Jahre und Jahrzehnte niemals für etwas anderes gehalten. Sie wussten zwar viel, konnten viele Dinge, um die sie sie manchmal insgeheim sogar beneidete; aber alles in allem wussten sie eben das Falsche, perfektionierten zumeist nur ihre technische Intelligenz und blieben darauf reduziert, eigneten sich eine oft unangreifbare Bauernschläue an, glaubten – je länger sie im Schuldienst war - immer ungenierter, sich allen traditionellen Bedeutungen entziehen zu können, ohne sich auch nur ein einziges Mal ernsthaft damit auseinandergesetzt zu haben.

      Sie war Oberstudienrätin für Latein und Französisch an einem humanistischen Gymnasium in Essen und hatte sich in den letzten Monaten schon des öfteren ganz diskret zu der Frage kundig gemacht, wie lange sie mit ihren 58 Jahren diesem Beruf noch nachgehen musste. In Gesprächen mit ihren wenigen Bekannten – fast ausnahmslos Lehrer – war des öfteren zur Sprache gekommen, dass man als Unterrichtender an einem Gymnasium noch die beste aller möglichen Karten gezogen hatte; der Job an einer Haupt- oder Gesamtschule vor allem im Essener Norden musste eine Tortur, die rapide steigende Zahl von Nachkommen sogenannter bildungsferner Haushalte gar nicht zu bändigen sein. Es wurden dann Horrorgeschichten erzählt von Kollegen, die im Unterricht sogar tätlich angegangen worden waren, und all diese Geschichten hatte sie mit der notwendigen Empörung zur Kenntnis genommen, sie in Wirklichkeit aber nicht geglaubt. Sie hatte sie einfach nicht glauben wollen, weil diese Vorstellung ihr eine geradezu bodenlose Angst einflößte und sie sich statt dessen lieber einredete, dass gerade sie es war, die den härtesten aller möglichen Jobs zu erledigen hatte und dafür auch völlig zu Recht am meisten Geld von allen Lehrern bekam: Auch Gymnasiasten waren heutzutage schon lange nichts anderes mehr als die allgemeine respektlose und frechdumme Masse, die nur noch Rechte und keinerlei Pflichten hatte, aber ihre wenn auch immer bescheidener werdende Intelligenz machte sie viel gefährlicher als dieses hirnlose und schmutzige Pack, das sich in den letzten Jahren anscheinend aus allen unterentwickelten Regionen der Welt in deutschen Schulen verabredet hatte, um dort das Chaos zu veranstalten. Nach zehn Jahren, die ihnen eine völlig unfähige und ignorante Kultusbürokratie als Schulpflicht verordnet hatte, war diese Charge in aller Regel nicht einmal in der Lage, die Sprache des Landes, in dem sie ihr Unwesen trieb, fehlerfrei zu sprechen. Diese Dinge wusste sie zwar nicht aus eigener Erfahrung, aber schließlich brauchte man nur den Fernseher einzuschalten oder die Zeitung aufzuschlagen, um derartige Dinge zu wissen. Wörter wie Latein und Französisch sagten solchen Leuten natürlich gar nichts. Aber das war auch völlig überflüssig, da sich dieses Gesocks ohnehin mit nichts anderem beschäftigte als damit, sich so schnell wie möglich zu reproduzieren. Und wenn sie an solche Dinge dachte, dann war sie manchmal sogar froh an einem humanistischen Gymnasium zu unterrichten, wirkte diese Schulform doch immer noch wie eine Art Filter, der den sozialen Abschaum außen vor hielt. Die Zugangsberechtigung war die soziale Herkunft, nicht unbedingt die Intelligenz СКАЧАТЬ