Der Pferdestricker. Thomas Hölscher
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Читать онлайн книгу Der Pferdestricker - Thomas Hölscher страница 32

Название: Der Pferdestricker

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750219397

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СКАЧАТЬ fort: Die Nachbarstadt Essen hatte den traurigen Rekord inne, die am schnellsten schrumpfende Großstadt Europas zu sein.

      Natürlich wusste Westermann alles das, aber er hatte nun einfach keine Lust dazu, sich zum zigsten Mal in dieser Woche Gerbers wüste Beschimpfungen der angeblich völlig unfähigen Politiker in Berlin, Düsseldorf und sonstwo anzuhören, und die Hasstiraden des Kollegen gegen alle Ausländer waren ihm in den letzten Wochen schon ein paar Mal zuviel geworden. Raus mit diesen fiesen Schnorrern! Was wollen die denn jetzt noch hier? Wir brauchen die Kanaken nicht. Unsere eigenen Leute haben keine Arbeit mehr, und die fressen sich bei uns den Arsch fett und setzen einen Kanaken nach dem anderen in die Welt!

      Mit fast quälender Langsamkeit passierten sie den Bahnhof Zoo, einen Haltepunkt, der sich zwar nach Großstadt anhörte, in Wahrheit aber nur ein paar Mal am Tag einen Zug vorüberschweben sah, der von Wanne-Eickel nach Dorsten oder von Dorsten nach Wanne-Eickel unterwegs war. Von der in hohem Bogen über Emscher und Kanal führenden Münsterstraße sah Westermann, dass über dem vor Jahrzehnten einbetonierten und zur Kloake umfunktionierten Fluss ein leichter Nebelschleier hing. „Gequirlte Scheiße", sagte er leise. „Da kannst du mit dem Hundeschlitten drüber fahren."

      Gerber lachte. „Erzähl einem echten Gelsenkirchener nicht, dass seine Stadt gequirlte Scheiße ist! Mit so einem Gewächs aus dem Sauerland werden wir hier immer noch fertig."

      Nun lachte auch Westermann. „Was soll das denn heißen?"

      „Sei froh, dass ich solche Naturburschen wie dich mag, die noch von einem Baum zum anderen hangeln."

      „Und du hast heute nacht wieder einmal die Gelegenheit, einem solchen Naturburschen aus der Provinz die Großstadt zu zeigen", lachte Westermann. „Gelsenkirchen liegt mir zu Füßen. Na bitte."

      Eigentlich war dieser Gerber doch ein ganz netter Mensch, dachte Westermann, als sie dann nach links in die Balkenstraße abbogen, eine Straße, die hier schon seit Jahren vierspurig ausgebaut, aus Kostengründen aber nachts nie beleuchtet ist. Er war ganz nett, aber in den letzten Monaten hatte es ihn wohl auf dem falschen Bein erwischt. Die Frau war ihm weggelaufen, und das hatte der Kerl einfach nicht verkraftet. Und nun versuchte er, alles und jeden für seine Misere verantwortlich zu machen.

      „Lass uns mal hier nach links abbiegen", sagte Westermann, als sie die Kreuzung mit der Adenauer-Allee erreicht hatten. Nach rechts wiesen die Hinweisschilder auf die nahe Schalke-Arena hin, in der in ein paar Wochen bereits einige Spiele der Fußballweltmeisterschaft stattfinden würden.

      „Warum sollen wir nicht nach rechts fahren?", widersprach Gerber, nachdem er den Wagen allerdings schon auf die Linksabbiegerspur gelenkt hatte. „Lass uns doch mal den lieben Asylanten einen kleinen Besuch abstatten." Gerber lachte gehässig. „Würde mir Spaß machen, unsere Freunde aus aller Welt zu beschützen."

      Direkt neben den Resten des alten Parkstadions lag ein großes Lager des Katastrophenschutzes, in dessen Baracken seit Jahren immer wieder Aussiedler und Asylbewerber untergebracht waren.

      „Eben", sagte Westermann kurz. „Es würde dir Spaß machen. Deshalb fahren wir ja nach links."

      Die Reaktion des Kollegen kam prompt. „Was soll denn das heißen?"

      Westermann verdrehte gelangweilt die Augen. „Jetzt fahr schon!", meinte er, als die Ampel auf Grün umsprang.

      „Was soll das denn eigentlich heißen?", rief Gerber noch einmal und machte keinerlei Anstalten, den Wagen von der Stelle zu bewegen.

      Erst als Westermann sagte: „Mach doch jetzt keinen Scheiß, Schorsch!", gab Gerber Gas, und der Wagen bog nach links. Das Thema war damit aber für ihn noch keinesfalls erledigt. „Was soll denn das heißen, dein blödes Gequatsche?", rief er aufgebracht. „Darf man in diesem Land seine Meinung schon nicht mehr sagen? Diese Kanaken haben hier nichts zu suchen! Gar nichts haben die hier zu suchen! Man sollte sie alle rausschmeißen."

      „Ist doch gut, Schorsch", sagte Westermann. „Ich habe doch gar nichts gesagt."

      „Hast du eben doch!", widersprach Gerber.

      „Ist doch alles okay. Du hast doch völlig Recht." Mittlerweile überquerten sie wiederum die Emscher, und wieder sah Westermann auf die Nebel über dem schnurgeraden Wasserlauf. Es sah aus, als solle in dieser engen Röhre das Gemisch aus Wasser und Scheiße zum Kochen gebracht werden. „Du hast doch Recht", wiederholte er noch einmal und dachte: Und ich habe meine Ruhe. Es hatte keinen Sinn, sich mit dem Kollegen anzulegen. Es war ein offenes Geheimnis in der Dienststelle, dass Gerber sich seit ein paar Wochen einfach nicht mehr im Zaum hatte und vor ein paar Tagen vom Dienstgruppenleiter sogar auf sein offensichtliches Alkoholproblem angesprochen worden war. Natürlich hatte Gerber die Vorwürfe empört zurückgewiesen; aber das taten die Spritis alle. Gerber war schließlich nicht der einzige Kollege mit diesem Problem. Ihm war nahegelegt worden, sich mit seinem sozialen Ansprechpartner in Verbindung zu setzen und umgehend eine Änderung dieses Zustandes herbeizuführen. Anderenfalls drohten disziplinarische Maßnahmen.

      Vor ein paar Tagen hatte Gerber ihm davon erzählt, weil es ihm natürlich klar gewesen war, dass ohnehin alle Kollegen auf der Dienststelle davon wussten. „Stell dir vor: Disziplinarische Maßnahmen drohen diese Scheißer mir an! Jeder Kanake kann hier tun und lassen, was er will, und mir drohen sie disziplinarische Maßnahmen an!"

      „Vielleicht ist es doch so, Schorsch. Vielleicht trinkst du wirklich zuviel in der letzten Zeit.“

      „Ach, du bist doch verrückt geworden! Das soll wohl ein Witz sein!"

      Natürlich soff Gerber wie ein Loch.

      Und dann war da die eigene Feigheit gewesen. Die Angst davor, dem Kollegen sagen zu müssen, dass es eben kein Witz war: Besonders an warmen Tagen hatte er Gerbers Fahne nur mit ganz nach unten gedrehter Seitenscheibe ertragen können. Natürlich war es auch anderen Kollegen aufgefallen, und die hatten ihn mit gemeiner Häme auch noch verarscht. Sieh bloß zu, dass euch die Polizei nicht kontrolliert oder der Schorsch eure Karre vor einen Baum parkt!

      Aber mehr hatte niemand gesagt, und wahrscheinlich war es auch gar keine Feigheit von seiner Seite gewesen, dachte Westermann nun. Es war Gleichgültigkeit. Sollte dieser Polizeihauptmeister Georg Gerber doch machen, was er wollte; er selber hatte schließlich mit dem Kerl nichts zu tun. Jedenfalls nicht mehr lange. Er zählte bereits die Tage, bis er den Kommissarslehrgang an der Fachhochschule in Dortmund beginnen konnte und diese perverse Fahrerei mit dem Streifenwagen durch Gelsenkirchen ein Ende haben würde. Man musste weiß Gott keine besonderen Ansprüche haben, um diesen Dienst und diese Stadt so schnell wie möglich wieder verlassen zu wollen.

      In Höhe der Einmündung der Uferstraße in die Uechtingstraße hatte Westermann immer noch Befürchtungen, dass der Kollege wegen der unerträglichen Langeweile einen Streit mit ihm vom Zaun brechen könnte; aber nun war Gerber ruhig, und für einen Augenblick hatte Westermann die Befürchtung, der Kollege sei nun beleidigt und rede gar nicht mehr mit ihm.

      Von der Uechtingstraße bogen sie nach links ab in die Parallelstraße, und weil ihm die plötzliche Stille fast peinlich wurde, sah Westermann angestrengt aus dem Fenster, als gäbe es hier irgend etwas Interessantes zu entdecken.

      Selbst mit einer überdurchschnittlichen Phantasie hätte man sich keine klischeehaftere Vorstellung über das mittlere Ruhrgebiet ausmalen können, als diese Straße sie erfüllte. Nur wenige hundert Meter nach der Einmündung in die Uechtingstraße endet die Bebauung aus backsteinernen Koloniehäusern, und die Straße verliert sich in einem unbeschreiblichen Durcheinander aus Bahnlinien, Industriebrachen und verwilderten Grünflächen. Als sie die einspurige Brücke СКАЧАТЬ