Название: Das schmale Fenster
Автор: Friedrich Haugg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844253658
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Der Flug übers Meer war hauptsächlich dunkel, zu sehen war nur die ununterbrochene Lichterkette an der Küste. Nach einer knappen halben Stunde wurde der Hubschrauber langsam und senkte sich auf einen kleinen Asphaltkreis im Nirgendwo. Das mit dem Herren und dem Auto wiederholte sich gleichartig. Martin bewunderte die Feinplanung, A-Hörnchen hätte es nicht besser machen können.
Schon bald kamen sie auf vertraute Straßen und Martin wusste jetzt, dass sie tatsächlich in St.Tropez waren. Vor dem Hotel Sub hielt der Wagen an.
„Checken Sie ohne Eile ein, Herr Hohenstein, um 21 Uhr treffen wir uns dann im L'Escale.“ Le Sub war gut (und teuer und gar nicht mondän), nur etwas laut, weil die Zimmer direkt auf die Flaniermeile vor der Jachtparade des alten Hafens gingen. Martin hatte noch ein wenig Zeit, ging hinunter ins Cafe de Paris und genehmigte sich in nostalgischer Versunkenheit ein Affligem, das süße, belgische Bier, das es wahrscheinlich nur hier gab und auch nur hier schmeckte. Es war die zweite Septemberwoche, so dass die protzigen mehrstöckigen Jachten noch die Aussicht versperrten und den Blick lenkten auf vollkommen gelangweilte Superreiche und deren Anhang, die einsam und verlassen auf den Decks Champagner von weiß gekleideten Stewards oder -essen serviert bekamen, die auch gleich wieder im Nichts verschwanden, um die Einsamkeit und Leere nicht zu stören. Gut und gerne ein paar Tausend Euro pro Tag drücken die ab, dachte Martin, nur um hier zu liegen. Er bedauerte diese Leute fast, weil sie, wie Kinder mit zu viel Spielzeug, gar nichts mehr mit sich anfangen konnten.
Eine Lücke gab es im Hafen. Er dachte schon, die Konjunktur wäre eingebrochen und hätte einige in den Ruin getrieben. Neugierig schlenderte er hin. Und da lag sie: Genie of the Lamp, sein Traum seit Jahrzehnten. Ein Traum, den er nie verwirklicht wissen wollte, um ihn nicht zu verlieren. Die Wally-Jacht war der Gegenentwurf zu den schwülstigen Motorjachten. Das Deck, am Heck nur leicht eingewölbt, eine einzige edle Mahagonifläche. Keine Beschläge, keine Winschen, kein Tauwerk störte den freien Blick. Nur ein riesiger Mast, in dem das Großsegel versteckt war und daran große LCD-Anzeigen für die wichtigsten nautischen Größen. Er sah, dass nur 2 Knoten Wind aus Nordwest herrschte, dass der Bug Richtung Nord zeigte und die Tiefe unter dem Kiel 3 Meter betrug und dass die derzeitige Geschwindigkeit Null war. Im gleichen, tief dunklen Grün wie die Außenhaut des Schiffs, der Stoff für zwei quadratische Sonnenschirme über einer eleganten Sitzgruppe. Sonst war da nichts, Menschen auch nicht. Die Beleuchtung so raffiniert, dass der Minimalismus geradezu aufdringlich die anderen Monsterschiffe ins Lächerliche zog. Er bekam Gänsehaut, so schön war der Anblick. Zu seiner Beruhigung dachte er daran, dass 'Gegenentwurf' nur für das Design galt, die Kosten waren maßstabsgerecht zu den Motorjachten.
Es war Zeit fürs Essen. Na ja, Essen war vielleicht nicht der angemessene Ausdruck. Das L'Escale kannte er schon viele Jahre. Es war ein zwar edles, aber sehr familiäres Lokal für die Spezialitäten des Meeres (nicht unbedingt des Mittelmeeres) gewesen, in dem er mit Susanne lernte, dass es tatsächlich ein großes Vergnügen sein kann, teilweise rohe Tiere zu verspeisen. Das dreistöckige Plateau L'Escale mit Austern satt, verschiedenen Muscheln, Meeresschnecken, Scampi, Garnelen, Krebsen und Nordseekrabben war legendär. Die Essigsauce zu den Austern gab es nur hier so perfekt abgestimmt. Vor ein paar Jahren ging das Lokal an die graue gastronomische Eminenz St.Tropez's über. Sie hieß nur 'Joseph' und hatte mittlerweile eine Reihe von Lokalen und vor allem in der Nachbarschaft des L'Escale eine VIP-Lounge. Das ist das, was Frankreich noch gebraucht hatte, damit die betuchten Gäste überall auf der Welt das identische Ambiente vorfänden und sich nicht an etwas anderes gewöhnen müssten. Das L'Escale hatte sich nicht sehr verändert, nur alles war jetzt Reinweiß, der Boden aus feinem, weißen Sand (wie praktisch zum Reinigen) und der Blick auf die Karte und die Tische sagte ihm, dass die Portionen kleiner waren und die Preise sich verdoppelt hatten. Auch schien ihm das Servicepersonal nun auf Augenhöhe mit den Gästen zu sein, der Gesichtsausdruck auf überheblich arrogant trainiert.
Er wurde hereingebeten, als ob man wüsste, wohin er wollte und war - ein wenig peinlich - der Erste. Kurz darauf kamen einige vornehme, ihm unbekannte Herren, die sich ihm vorstellten und bewundernd auf die Schulter klopften und deren Namen er gleich wieder vergessen hatte. Er hätte sich besser vorbereiten sollen, dann würde er wenigstens wissen, wer von ihnen für ihn wichtig sein könnte. Dann kam auch Maurus, der alle herzlich wie alte Freunde begrüßte. Im Schlepptau – er traute seinen Augen nicht – Frank. Wie um alles in der Welt kam Frank dazu, hier anwesend zu sein und er wusste auch davon nichts. Das war nicht gut, bewertete er die Situation sicher sehr richtig.
„Ich habe Herrn Dr. Thomsen dazu gebeten, weil MOS Smith von Pfizer hier ist und er sich vielleicht mit ihm ganz gut austauschen kann. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus.“ Das war sehr vage von Maurus. MOS hieß wohl Master of Science, wusste Martin gerade noch. Also der Abschluss, bei dem Studenten nie das Studentenleben kennen lernten, sondern schulartig in Rekordzeit ihren Grad erlangten ohne links und rechts schauen zu können. Und das soll jetzt überall eingeführt werden. Wegen der Kompatibilität. Die ganzen MOSs und BOSs taugten nichts und konnten noch nicht einmal was dafür.
„Aber das ist doch ganz selbstverständlich und kann von großem Nutzen sein,“ Martin hatte nicht das Gefühl, dass er selbst es war, der diese Worte von sich gab.
„Viele Grüße von Miriam,“ waren Franks zweite Wort an ihn und versetzten ihm schon wieder einen Stich.
„Danke, Frank, lange nicht gesehen. Wie geht es Miriam?“
„Danke, gut. Wir sind mittlerweile ein gutes Team“. Der nächste Stich. Wenn es so weiter gehen würde, wäre der Abend gänzlich im Eimer.
„Das ist prima. Grüße sie von mir, wenn du wieder zu Hause bist.“ Was für ein Schwachsinn.
„August ist leider immer wieder krank und ist auch bei der Arbeit eher unkonzentriert. Ich weiß gar nicht, was mit ihm los ist. Früher war er doch anders, ein Nerd, ja, aber sehr leistungsfähig.“
„Hat er sich denn gründlich untersuchen lassen? Vielleicht gibt es da ein größeres Problem.“
„Ich denke schon, beim Arzt war er oft genug und die Tees die er trinkt, Gott bewahre.“
„Du hast noch ein paar Leute eingestellt? Ich habe die Stellen genehmigt.“
„Eine ist noch offen, aber die anderen sind schon seit ein paar Monaten besetzt und alle haben sich prächtig eingearbeitet.“ Martin fühlte sich sehr unwohl, weil er sein altes Labor noch nicht einmal wieder besucht hatte.
Das Essen half ihm zwar, das Gespräch abzubrechen, aber das führte nur zum Smalltalk mit anderen Leuten, die er nicht kannte und er deswegen auch nicht wusste, was er wirklich sagen konnte oder sollte. Er war froh, als es zu Ende war und kam vom Regen in die Traufe. Es war doch tatsächlich ein Tisch in der VIP - Lounge reserviert worden. Die Musik, beziehungsweise das, was die so Musik nannten - es waren diese langweiligen, ununterscheidbaren Computerkompositionen - war gottlob so laut, dass der Smalltalk eine natürliche Einschränkung erfuhr. Als er um Mitternacht fühlte, dass er sich – ohne unangenehm aufzufallen – verdrücken konnte, war Maurus auch schon weg und Frank noch in glänzender Laune mittendrin. Martin fragte sich ernsthaft, ob er vielleicht doch falsch konditioniert war und sich ein großes Vergnügen im Leben entgehen ließ. Er beschloss, später darüber nachzudenken.
Am nächsten Morgen stand vor dem Hotel keine Limousine. Es wurde ihnen zugemutet, den zehnminütigen Anstieg zur Zitadelle zu Fuß zu gehen. In einem musealen Raum war die Veranstaltung. Das einzig Bemerkenswerte, fand Martin, war die Tatsache, dass die Organisatoren tatsächlich diesen illustren Ort mieten konnten. Mit Geld ging wohl alles. Nach zwei Stunden – netto- die einstündige Kaffee - und Smalltalkpause nicht gerechnet, hatte Martin, wohl im Gegensatz zu den anderen, nichts gehört, aus dem er einen persönlichen Vorteil ziehen konnte.
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